Die Hand meiner Mutter

 

Karin, Marion, Ingrid und ich spielten, wie fast an jedem Tag, in unserem Innenhof am Aschhaus Geschichtenball.

Die Hoftüren, über die man durch das Treppenhaus die Straße erreichen konnte, waren meistens abgeschlossen, damit wir Kinder nicht auf die Straße laufen konnten.

Wir hatten in diesem Hof alles was wir brauchten, sogar zwei Klettergerüste und eine Sandkiste.

Karin Rieck konnte die spannendsten Geschichten erzählen.

Wenn sie den Ball runter fallen ließ, kam die nächste von uns dran.

Der Müll im Aschhaus roch bestialisch.

Gefesselt von unseren Geschichten bemerkten wir den Gestank nicht mehr.

„ Es war einmal eine dicke alte Frau……..“, sagte ich gerade, als das Küchenfenster in der dritten Etage unseres Mietshauses aufflog.

Meine Mutter lehnte sich heraus und schrie:“   M O N I K A  !“

Ich lief zum Fenster:“ Was ist denn schon wieder?“

„  Ich habe die Milch für die Pfannkuchen vergessen, lauf mal schnell zum Milchmann!“

Eingewickelt in Zeitungspapier flog die verbeulte Blechmilchkanne mit dem Heiermann aus dem Fenster.

In Windeseile erledigte ich die mir aufgetragene Aufgabe, Widerreden waren zwecklos.

Die Geschichten am Aschhaus hatten ihren Lauf genommen, ich hatte das meiste verpasst, und war wütend.

Karin sagte:“ Wir müssen uns etwas überlegen wegen Deiner Mutter!“

Fragend schauten Marion, Ingrid und ich sie an:“ Was meinst Du damit?“

Am nächsten Tag, dasselbe Theater. Ich wollte gerade anfangen, meine Geschichte von gestern weiter zu erzählen, als wieder das Fenster aufflog, und meine Mutter meinen Namen rief.

Blitzschnell ergriff Karin meine Hand und zog mich um die Ecke des Aschhauses.

„ Was machst Du?“

Karin legte den Finger an ihren Mund.

Dann kamen Marion und Ingrid dazu.

Karin lief zu meiner Mutter ans Fenster.

„ Monika ist nicht da!“

„ Was soll das heißen, sie ist nicht da?“

Schnell lief Karin zu uns zurück.

Weiter gings im Text.

Ich war glücklich, verpasste ich doch heute nicht die Fortsetzung von Karins aufregender Geschichte, und endlich konnte ich auch mal meine Geschichte weiter erzählen.

Wurden die Gaslaternen angezündet,  mussten wir rauf.

Ein bisschen mulmig war mir schon, als ich die Treppenstufen zu unserer Wohnung hinaufstieg.

Ich klingelte.

Meine Mutter öffnete die Wohnungstür.

„ Wo warst Du heute Nachmittag!“

„ Wo soll ich denn gewesen sein?“

Eine schallende Ohrfeige landete auf meiner Wange, die Finger der Hand meiner Mutter konnte ich noch tagelang auf meinem Gesicht spüren.

 

( © Monika Zelle 27.11.2018 )

 

Vor meinem Vaterhaus steht eine Linde

 

Mein Urgroßvater besaß eine prächtige Mühle bei Schleswig an der Schlei, inmitten der hügeligen Landschaft Schleswig Holsteins.

Neben der Mühle, ein großes Gutshaus und ein Gestüt.

Die Knechte und Mägde sorgten dafür, dass alle Arbeiten reibungslos getan wurden.

Meine Urgroßmutter freute sich über die Köchin und mein Großvater über die Kinderfrau, die er über alle Maßen liebte.

Vor dem Gutshaus stand eine riesige Linde, davor eine Bank, auf der mein Großvater gerne träumte.

Mit seinem Pferd und dem Wagen fuhr mein Großvater jeden Tag über eine von Platanen gesäumte Allee in die Schule.

Die Kinderfrau winkte ihm hinterher, lang noch konnte sie seine weißblonden Haare sehen.

Mein Großvater war sehr begabt. Er besuchte das Gymnasium in Schleswig, und sang im Chor.

 

Mein Urgroßvater ging nach getaner Arbeit jeden Abend in den Dorfkrug.

Dort spielte er Karten mit den Bauern der Umgebung, die alle ihr Korn bei ihm mahlen ließen.

Meiner Urgroßmutter gefiel das gar nicht.

„Das gehört zum Geschäft“, sagte er dann nur.

Meine Urgroßmutter wurde immer schmaler.

Eines Tages stand der Gerichtsvollzieher vor der Tür.

Mein Urgroßvater hatte Haus und Hof verspielt.

Bald darauf verstarben meine Urgroßeltern.

Haus und Hof kamen unter den Hammer, mein Großvater zu seinem Onkel in die Schlachterlehre nach Hamburg.

Ihm wurde jedes mal schlecht, wenn er die Schweinehälften vom Haken nehmen und zerteilen musste, und das Blut an seiner weißen Gummischürze herunter rann.

Mein Großvater war so unglücklich, wie nie in seinem Leben. Er war 14 Jahr alt.

Die Musik von Mozart und Bach liebte er sehr.

Er wollte doch sein Abitur machen, und Musik studieren.

Nun wohnte er bei seinem Onkel, einem grobschlächtigen Mann, in einer kleinen Kammer, die nur zwei mal drei Meter zählte, und auch im Winter nicht beheizt wurde.

Er, der verwöhnte Junge, mit einem riesigen Zimmer in einem Gutshaus mit einer riesengroßen Linde davor.

Ach ja, die Linde.

Wenn mein Großvater seinen Kummer nicht mehr aushielt, wanderte er durch die Straßen von Hamburg, und sang mit seiner klaren Stimme:

„ Vor meinem Vaterhaus steht eine Linde

Vor meinem Vaterhaus steht eine Bank

Und wenn ich sie einst wiederfinde

Dann bleibe ich ein leben lang“.

Wie oft hat meine Mutter mir dieses Lied vorgesungen.

Ich liebe es genau so sehr, wie mein Großvater es einst liebte.

 

 

( © Monika Zelle 20.11.2018 )

 

 

 

 

 

 

 

Seifenkistenrennen

Seifenkistenrennen

Der Geruch von Schmieröl gehörte zu unserem Leben wie die Luft zum Atmen.

Wir waren eine Schrauberfamilie wie sie im Buche stand.

Alle Männer hatten den Beruf des Autoschlossers erlernt.

Fahrbare Untersätze waren ihre Leidenschaft.

Ich sehe meine Mutter noch an der Ruffel die Blaumänner waschen.

Und dann gewann mein Bruder 1950 mit 14 Jahren das Seifenkistenrennen am Venusberg in Hamburg.

Wochenlang hatte mein Vater mit ihm zusammen die Seifenkiste gebaut, aus Errsatzteilen, die er aus Restbeständen von seiner Arbeit mitgebracht hatte.

Und nun stand mein Bruder da, strahlend, einen Lorbeerkranz um den Hals, ein junger Mann, dem das Leben zu Füßen lag.

Er war mein Held.

Ich war gerade mal drei Jahre alt, schaute auf zu meinem Bruder, der mich oft am Kopf packte, und sagte:

„ Willst Du mal den Hamburger Michel sehen?“

Der 1. Preis war ein Luftgewehr, das mein Bruder sofort gegen ein Kofferradio eintauschte.

Waffen waren in unserer Familie verpönt.

Dann trat auch er eine Lehre als Autoschlosser bei Opel Lausse in Rahlstedt an.

Der Geruch von Schmieröl wurde stärker.

Zur bestandenen Gesellenprüfung bekam mein Bruder ein Moped von meinen Eltern geschenkt.

Von nun an versäumte ich es nicht, vor unserer Haustür zu stehen, um ihm zuzuschauen, wie er mit seinem Freund Kalle Schnoor um die Ecken sauste, und Wettrennen veranstaltete.

Später hatten dann beide eine NSU.

Ein einziges Mal durfte ich bei Kalle hinten drauf mitfahren.

Kalle war Boxer und im Milleu zu Hause.

Seine kleine Schwester Gerhild war meine Freundin.

Meine Eltern verboten später den Umgang.

Als mein Bruder sich einen Porsche kaufte, obwohl er schon eine Familie mit zwei Kindern hatte, durfte ich ein Einziges mal mit ihm durch den Freihafen fahren.

Ich war glücklich.

Der Porsche musste dann aber stantepe einer Familienkutsche weichen.

Zusammen mit unserem Nachbarn Ferdinand Koch, einem Taxenkutscher, wollten mein Vater und mein Bruder eine Tankstelle mit dazugehöriger Werkstatt kaufen, und sich selbständig machen, doch ihnen fehlte der Mut, und die Unterstützung der Frauen.

Mein Sohn wäre sehr gerne in die Fußstapfen seines Onkels getreten.

Davon konnte ich ihn erfolgreich abhalten.

Von einem Motorrad nicht.

Jetzt fährt er damit den Venusberg hinunter, von dem ich nur einige Schritte entfernt wohne, den Michel stets im Blick.

Die Bilder meines Bruders mit seiner Seifenkiste und dem Lorbeerkranz hängen in unseren Räumen, der Duft von Schmieröl auch.

 

( © Monika Zelle 30.10. 2018 )

 

Kostgänger

 

Günther Wolff, ein angeheirateter Cousin, kam jeden Tag in seiner Mittagspause zu uns zum Mittagessen, warum auch immer.

Meine Mutter bereitete ein vorzügliches Mal, und es gab sogar Kaffee und Kuchen zum Nachtisch.

Günther Wolff, ein außergewöhnlicher Möbeltischlermeister, selbständig, der seinesgleichen suchte.

Er baute für mich einen Klappschreibtisch, mit einer roten resopalbeschichteten Platte, und einem hellblauen Rand, den er aus Platzgründen an die Wand meines schmalen Zimmers schraubte.

Ich fand ihn toll. Den Schreibtisch natürlich.

Dazu baute er mir einen rotgepolsterten Wiegehocker. Sehr hübsch.

Der Hocker.

Nach dem opulenten Essen schaute ich meistens aus unserem Fenster in der dritten Etage unseres Mietshausen den Fußballspielen auf dem Sportplatz zu.

Günther Wolff stellte sich dann mit seiner zweiten Tasse Kaffee in der rechten Hand ziemlich dicht hinter mich, so, dass ich seinen Atem in meinem Nacken spürte.

Den Geruch von Holzleim in meiner Nase.

Freundschaftlich legte er seine freie linke Hand auf meine linke Schulter.

Weil ich frech zu ihm wurde, meinte meine Mutter, ob ich nicht netter zu ihm sein könne.

War es wegen des Schreibtisches?

Oder des Hockers?

Günther Wolff war 20 Jahre älter als ich.

Und, ich hatte einen Freund.

Dieter.

Dieter war 2 Jahre jünger als ich.

Ich glaube, meine Mutter war etwas verliebt in Günther Wolff.

Sie war 15 Jahre älter als er.

Sollte ich mal mit meinem Vater reden?

Nach dem Fußballspiel setzte ich mich an meinen neuen Schreibtisch und übte Maschineschreiben und Stenografie.

Ich besuchte eine Berufsfachschule.

Günther Wolff war dann wieder in seine Werkstatt abgetaucht, die keine fünf Minuten von uns entfernt lag.

Eines Tages stand er wieder dicht neben mir am Fenster, und kam mir mit seinem Gesicht ziemlich nahe.

Ich verpasste ihm eine Ohrfeige.

Von nun an schmeckte das Essen nicht mehr so gut.

 

 

( © Monika Zelle 6.11.2018 )

 

 

 

 

 

Herd aus Fenster zu?

 

Hat sie wirklich den Herd ausgeschaltet?

Sie steht an der Bushaltestelle und überlegt.

Sie muss zurück.

War die Ampel jetzt rot oder grün.

Die Autos hupen.

Menschen schütteln mit dem Kopf.

Kinder rufen „ Rotgänger Totgänger!“

Sie rennt weiter nach Hause.

Haustür aufschließen.

In die Küche gehen.

Nachschauen.

Der Herd ist aus.

Hatte sie doch extra einen Aufkleber von der Polizei an der Haustür:

„ Herd aus? Fenster zu?“

Sie geht erneut zur Bushaltestelle.

Steigt in den Bus.

Teilnahmslos winkt der Busfahrer sie durch.

Hatte er überhaupt ihre Fahrkarte gesehen?

„ Reeperbahn“, erklingt es aus dem Lautsprecher.

War der Herd jetzt aus oder nicht?

Schnell steigt sie aus dem Bus und rennt zur gegenüberliegenden Haltestelle.

Wartet. Fährt zurück.

Rennt nach Hause. Die Micheluhr fest im Blick.

Hetzt die Treppe zu ihrer Wohnungstür hoch.

Schließt auf.

In der Küche, der Herd ist aus.

Jetzt muss sie sich aber beeilen, wenn sie noch rechtzeitig zu ihrem Kurs kommen will.

Wieder im Bus kommen ihr erneut Zweifel.

Sei fragt den Herd:

„ Habe ich Dich jetzt ausgeschaltet oder nicht?“

Der Herd kann ihr natürlich nicht antworten, soweit kommt es noch.

Sie ist verzweifelt.

Richtig verzweifelt.

Wieder zurückfahren.

Tränen rinnen ihr übers Gesicht.

Der Herd ist natürlich abgestellt.

Sie schüttelt ihr greises Haupt.

Würde sie es zum Kurs noch schaffen?

Sie bezweifelt es.

Ein Taxi nehmen?

Aber würde der Fahrer es noch rechtzeitig schaffen?

Bestimmt nicht.

Soll sie es dennoch versuchen?

Sie ruft sich ein Taxi.

Der Taxifahrer überfährt jede rote Ampel.

Nun soll er umkehren.

Der Herd ist bestimmt noch an.

Sie hat vergessen ihn auszustellen, dessen ist sie sich sicher.

( © Monika Zelle  16.10.2018 )

 

 

Heideland

 

Jetzt stehe ich vor dem Zaun.

Wie einsam und verlassen mein Heideland ist.

Alles zugewachsen.

Ah, da sind ja noch die Hütten.

Völlig verfallen.

Die Geburtstagsfeiern im Sommer, legendär mit ihren Tortenschlachten.

Die ganze Familie, versammelt an den Tapeziertischen mit den weiß gestärkten Tischdecken, die am Vortage noch von Wind und Sonne getrocknet wurden.

Eine bunte Gesellschaft, je später der Nachmittag, desto lustiger.

Meine Onkel, alle spielten sie ein Instrument, Balalaika, Querflöte, Gitarre.

Meine Mutter spielte Mundharmonika, und wir Kinder sangen dazu.

Meistens Volkslieder aus aller Welt, viele aus Russland.

Waren die Lieder verklungen, und der letzte Tropfen Portwein, den Onkel Paul von See mitgebracht hatte, ausgetrunken, wollte Tante Erna immer zum Brunsberg wandern.

Im Dunkeln. Keiner wollte mit. Alle waren müde, und wollten nach Hause zum Flidderberg, und zur Tannenallee.

Ach ja, hier war ich auch mit meiner ersten großen Liebe.

Wir lagen im Zittergras, schauten in die Wipfel der hohen Kiefern.

Dieter, mit Gitarre und Elvistolle.

Ob die Bücher noch da waren, wo mein Vater sie 1933 in einer Stahlkiste vergraben hatte?

Bücher von Heinrich Heine, Erich Kästner, Bert Brecht, Kurt Tucholski.

Wie oft hatten wir sie schon gesucht.

Wahrscheinlich steht die Hütte meiner Mutter darauf, da muss es ungefähr gewesen sein.

Viele Kinder waren wir seinerzeit, eine ganze Fußballmannschaft.

Fußball haben wir gespielt, jeden Tag, nur in der Mittagspause von 13 bis 15 Uhr war Ruhe.

Dann gingen wir in den Wald, Bickbeeren sammeln. 50 Pfennige das Pfund hat der Grünhöker uns dafür gegeben.

Ausbeutung.

Hängt da etwa noch der Leinenbeutel an der Pforte?

Dann hielt der Milch-und Bäckerwagen immer an.

Frische Brötchen, frische Milch, frische Eier.

Tante Gertrud kam dann zu uns, um sich vier Eier für den Kuchen auszuleihen.

Jedes Mal. Sie kann aus 50 Pfennig eine Mark machen, höre ich meinen Vater noch sagen, aber backen kann sie.

Fünfzig Jahre Heideland.

Bei Wind und Wetter.

Später mit meinen Kindern, die Geburtstage auch legendär.

Gezeltet haben sie, mit all ihren Freunden.

Dann wollten sie angeln, in der Seeve. Eine Bachforelle musste dran glauben, mein Sohn hat sie getötet. Gegessen? Nee.

Alexander, sein bester Freund und ich haben sie gebraten und gegessen.

Sie schmeckte moorig.

Alexander ist schon tot.

Und jetzt?

Alles öde und verlassen.

Bonjour Tristesse.                      ( © Monika Zelle 19.10.2016 )

 

1944

 

Bruno Klein saß in seiner Schreibstube des Wirtschafts-und Ordnungsamtes in einem kleinen Dorf bei Berlin, das er inzwischen leitete. und war froh, nicht mehr in dem Flugzeugwerk der Daimler Benz AG arbeiten zu müssen.

Die Arbeiter hatten die Tarnung vom Dach des Werkes genommen, so konnte es ungehindert bombardiert werden. Sie waren alle solidarisch. So konnte es mit Nazideutschland und Hitler nicht weiter gehen.

Der Krieg war verloren.

Als er abends nach Hause kam, saßen seine Frau Anne Christine, und die Jüdinnen Else Pecher und Anni Jacobsen schon beim Abendbrot.

Alle weinten.

Der kleine Reinhard schlief schon.

„ Bruno, kannst Du uns helfen, wir haben schon wieder eine Vorladung nach Berlin bekommen !“

Vorsichtig schob Else Bruno die Pässe zu.

Ängstlich schaute seine Frau Anne Christine ihn an.

Ruhig steckte Bruno die Pässe in seine Aktentasche.

Plötzlich klopfte es an der Tür.

Die Besitzerin der Mühle und Vermieterin der kleinen Wohnung von Bruno, Frau Ebeling ,trat ein.

„ Heil Hitler!“

„ Ach, haben sie schon wieder Besuch ihrer Freundinnen aus Genzhagen Herr Klein?

Ich möchte wissen, warum sie diese beiden Damen hier so oft beherbergen! Und warum weinen die Damen?

Naja, eigentlich wollte ich nur die Miete kassieren.“

Wortlos stand Bruno auf, ging langsam an die Schublade des Buffets, nahm den Umschlag mit dem Geld heraus, und gab ihn ihr.

Mit einem verschlagenen Blick verschwand Frau Ebeling.

Am nächsten Morgen schloss Bruno seine Bürotür ab, und machte sich an die Arbeit.

Als er gerade die neuen Pässe ausstellte, in denen die beiden Jüdinnen nur als ¼ Jüdinnen ausgewiesen wurden, klingelte das Telefon.

Der Bürgermeister, ein treuer Diener Adolf Hitlers, war in der Leitung.

„ Bruno, Du musste Trebbin so schnell wie möglich verlassen. Die Ebeling war bei mir, und hat mir gemeldet, dass Du zwei Frauen beherbergst, die ihr nicht geheuer sind!“

In einer Nacht-und Nebelaktion verließen Bruno, Anne Christine, der kleine Reinhard, und die beiden Jüdinnen mit einem LKW Trebbin in Richtung Hamburg.

Dort versteckte Bruno die beiden in der kleinen Wohnung seiner Schwiegereltern im Schanzenviertel.

Nach Kriegsende kehrte Bruno noch einmal nach Trebbin zurück, wo inzwischen die Russen einmarschiert waren.

Frau Ebling hockte in ihrer Mühle.

Als sie meinen Vater sah, flehte sie ihn an:

„ Bitte, bitte Herr Klein verraten sie mich nicht, ich bin doch kein Nazi!“

Verächtlich schaute mein Vater sie an.

„ Und ich kein Denunziant Frau Ebeling!“

 

( copyright Monika Zelle 23.09.2018 )

 

 

 

Die Gitarre und das Meer

 

S-Bahnhof Friedrichsberg. Hier muss ich aussteigen.

Das alte Gebäude des Krankenhauses.

Früher soll hier eine Irrenanstalt gewesen sein.

Sechs Wochen Isolierstation wegen einer Viruserkrankung.

Ich hatte im Planschbecken beim Tauchen Wasser geschluckt, in dem Abends die Hunde tobten.

Sechs Wochen keinen Besuch von den Eltern.

Mit vier Jahren.

Wenn ich in meinem Bett draußen lag, brachte mein Vater mir manchmal Kirschen, die er mir heimlich durch den Zaun reichte.

Gegenüber der Mühlenteich.

Ich höre das Schreien der Kinder.

Das kratzen der Kufen von den Schlitschuhen auf dem Eis.

Die Dithmarscher Straße.

Pommerenke den Spielzeugladen gibt es nicht mehr.

Meine Mutter kaufte mir einen kleinen Steiffteddy, damit ich nicht mehr auf dem Daumen lutsche. Es hat nichts genützt.

Früher ging ich mit meinem Freund Dieter ins Rondeelkino.

Umsonst.

Seine Tante saß dort an der Kasse.

Heute ist dort die Hamburger Sparkasse.

Der Süßwarenladen Tangermann.

Ich ging nicht hinein.

Vor der Tür wachten immer zwei Schäferhunde.

Ade Du süße Versuchung.

Gegenüber wohnte meine beste Schulfreundin Christa.

Ihr Vater ein Kriminaler. Sehr streng.

Der Schallplattenladen Bornemann.

Auch ihn gibt es nicht mehr.

Hier kaufte ich meine erste Single von Freddy Quinn.

Die Gitarre und das Meer.

Fische Loop in der Straßburger Straße gibt es noch.

Ein altes Familienunternehmen.

Kaffee trinken konnte man hier früher aber nicht.

100 g Krabben, höre ich mich sagen.

Nur für meinen Bruder.

LKW Fahrer.

Keine einzige Krabbe bekam ich ab.

Mir lief das Wasser im Munde zusammen.

Die Dauerwellen meiner Mutter beim Friseur Laubinger.

Ich durfte hier die Lockenwickler sortieren.

Hier sollte ich meine Lehre machen.

Nichts für mich.

Ich gehe durch meine Straße.

Vogesenstraße. Alle Straßen sind nach dem Elass benannt.

Die Vogesen. Ich habe sie besucht. Eine herrliche Landschaft.

Die Haustüren sind nicht verschlossen.

Ich kann ungehindert durch das Treppenhaus auf den Hof gehen.

20 Kinder wohnten in einem Haus.

Das Aschhaus ist noch da.

Karin Rieck hat die besten Geschichten erzählt, mit ihrem Ball, der unaufhörlich gegen das Aschhaus prallte.

Geschichtenball.

Eine unserer vielen Leidenschaften.

Mein Weg führt mich weiter durch den Dulsbergpark, vorbei an den Planschbecken.

Ich begegne keiner Menschenseele an diesem Morgen.

Ah, die Rollerbahn, ganz neu.

Kein Kind zu sehen.

Ich setze mich auf eine Bank, schließe die Augen.

Mit wehenden Haaren sause ich mit meinem Roller über die Bahn.

 

( copywrite Monika Zelle 10. April 2018)

 

 

 

 

 

Das verlorene Kind

Es war einmal ein Kind, das suchte nach……..Ja, nach was suchte es…….

Das wusste es selbst noch nicht.

Auf seinem beschwerlichen Weg begegnete es dem Wind.

Der Wind umschmeichelte es, streichelte sein Gesicht, fuhr durch seine blonden Locken,

riss an seinen Kleidern und wirbelte es durch die Luft.

Doch seine kleine Seele konnte er nicht berühren.

Dann kam es an einen großen See, der an seinen Ufern sehr flach war.

Das Kind zog alle Kleider aus, und begab sich langsam in die Fluten.

Das Wasser streichelte seinen Körper, berührte sein Gesicht, nur seine Seele nicht.

Unterdessen suchten seine Eltern es überall.

Sie fragten sich, warum das Kind sie verlassen hatte.

Sie waren doch immer da gewesen.

Das Kind hatte ein schönes warmes Zimmer, alles Spielzeug, was das kleine Kinderherz begehrte, zu essen in Hülle und Fülle, also, warum war es weg?

Sie hatten es sich doch so sehr gewünscht, dieses Kind.

Und als der Wunsch dann endlich in Erfüllung gegangen war, glücklicher konnte doch niemand sein, als sie.

Ihr Engelchen.

Seine Mutter hatte es viele Monate gestillt, gehegt und gepflegt.

Es wuchs heran.

Ein fröhliches Kind.

Dann fing es an, sich jeden Abend in den Schlaf zu weinen.

Die Eltern waren ratlos.

Es begann, die Mutter mit den Füßen zu treten.

Was suchte es?

Dann war es weg, und es blieb verschwunden.

Eines Abends kam das Kind an ein großes Feuer.

Viele Menschen standen drum herum, tranken, lachten, sangen und tanzten.

Das Feuer wärmte es durch und durch.

Doch seine kleine Seele konnte es nicht erwärmen.

Leise hörte es in der Nähe eine warme Stimme, die zu einer Gitarre sang.

Das Kind folgte der Musik.

Es traf auf eine Gruppe von Menschen mit schwarzen Augen und schwarzen Haaren.

Irgendwoher hatte es diese Weisen schon einmal gehört.

War es im Bauch seiner Mutter?

Als die Gesänge endeten, kamen die Menschen auf das Kind zu, umrundeten es, ließen den Kreis immer enger werden, berührten seinen Körper, drückten es ganz fest an sich, wiegten es in ihren Armen hin und her, und sangen ein Schlaflied, dass das Kind vor langer Zeit schon einmal von seiner Oma gehört hatte.

Die Menschen berührten damit die Seele des Kindes, und es fiel in einen langen tiefen Schlaf.

Es träumte in den Armen seiner Mutter zu liegen, die es fest an sich drückte und koste.

Als es wieder aufwachte, lag es tatsächlich in den Armen seiner überglücklichen Eltern, die es von nun an nicht nur hegten und pflegten, sondern auch liebten und herzten.

 

( copyright  Monika Zelle 20. März 2018 )

Wie muss ich sein

Wie muss ich sein

Ich bin zu zart

Ich bin zu still

Wie muss ich sein

Jedenfalls nicht zu klein

Besser ist groß und laut

Klein und leise sein ist out

Warum kann in nicht so sein

Wie ich bin

Wo liegt da der Sinn

Schublade auf Schublade zu

Dann hat die Masse ihre Ruh?

Es kann doch auch leise Menschen geben

Wenn nun alle laut sind im Leben

Das wäre ja nicht auszuhalten

Wir sind doch Gott sei Dank verschieden

So sollten wir uns auch gestalten

Ich möcht so gern dass alle gleich sind

Und doch jeder so sein kann wie er ist

Noch macht uns die Zensur fast blind

Zu sehen nur das Schubladenkind

Drum sind die Menschen so unzufrieden

Weil ständig die Zensur sie treibt

Jeder wird erst jeden lieben

Wenn er ist wie er ist und auch so bleibt.

 

( © Monika Zelle 2018 )