Nach Hause kommen

Nach Hause kommen.

Sie fährt so gern dorthin.

Nach Dänemark, an den Ringkoebingfjord in der Nähe von Hvide Sande. 

Jedes Jahr wieder in dieses geräumige Steinhaus, wo sie, wie zu Hause, ihr eigenes Zimmer bezieht, um in Ruhe zu lesen, zu schreiben und vor allem zu schlafen.

Sieht sie morgens aus ihrem Fenster, geht die Sonne über der hohen Düne auf, die sie schon so oft bestiegen hat.

Von hier aus schaut sie weit über den Fjord, auf der anderen Seite kann sie bei klarer Sicht die Nordsee sehen.

Wenige Schritte von ihrem Haus entfernt, liegt der malerische Hafen, von dem die Fischer mit ihren Booten hinaus auf den Fjord fahren, um mit einer Ladung Fische wieder nach Hause zu kommen.

Am Fenster des Wohnraumes verbringt sie viel Zeit in einer gemütlichen Sitzecke mit Lesen.

Ihre Traumecke.

Der weite Fjordblick.

Manchmal wandert sie zu Fuß nach Hvide Sande, durch eine Dünenlandschaft, die Seinesgleichen sucht.

Begegnet sie Wanderern zu Fuß oder zu Pferd, grüßt sie freundlich, und wünscht einen guten Tag.

Bummelt sie durch Hvide Sande, führt ihr Weg als erstes zu Karen in den Töpferladen.

Karen macht hier alles selbst.

Ein paar Ohrringe wechseln immer die Besitzerin.

Dann geht`s zur Räucherei, leckeren Fisch essen, und im Cafe ein Softeis.

Am liebste allerdings zieht es sie ans Meer, sich den Wind um die Nase wehen lassen, mit bloßen Füßen im Sand, ihren Gedanken freien Lauf lassen, oder bei wenigen Graden Wassertemperatur nackt in die Nordsee springen.

Abends.

Der Sonnenuntergang.

Bei einer Flasche Bier.

Am Meer.

Am liebsten noch im Meer.

Würde sie gerne leben.

In Dänemark.

Mit den glücklichsten Menschen der Welt.

Vor Achtundvierzig Jahren hat sie Hvide Sande mit ihm besucht

Sie haben gezeltet.

Direkt an einer Düne.

Von oben konnte sie auf der einen Seite die Nordsee, auf der anderen Seite den Fjord sehen.

Dann kam das Gewitter.

Zitternd saß sie im Zelt.

Er sprang drum herum.

Die Heringe befestigen.

Nie wieder zelten.

Nach Hause will sie nicht, wenn sie hier ist.

Und überhaupt.

Am liebsten wäre sie immer unterwegs.

Nie irgendwo ankommen.

Nie wieder nach Hause kommen.

Außer in ihr Fjordhaus.

Das ist sie zu Hause.

( © Monika Zelle 25.08.2020 )

Karin oder das Wiedersehen

Karin

Als ich zum ersten mal wieder an einem Klassentreffen teilnahm, hatte ich meine Klassenkameraden 45 Jahre nicht gesehen.

Karin hatte mich telefonisch kontaktiert, und ihre erste Frage war:“ Was macht denn Dein Mann?“ „ Meinem Mann geht’s gut!“, war meine Antwort. Sie meinte aber etwas anderes.

Wolfgang hatte Christa und mich vom Hauptbahnhof abgeholt.  Gemeinsam sind wir  nach Lankau in unser Schullandheim in die Holsteinische Schweiz gefahren.

Als ich dort aus dem Auto stieg stand mein Klassenlehrer Herr Böhme plötzlich vor mir.

Wir waren alle so um die 60 Jahre alt, unser Lehrer circa  75 Jahre.

„ Du siehst toll aus, Monika!“, bemerkte er.

„ Ich gehe ja auch jeden Tag zum Schwimmen!“, meine Antwort.

„ Ich schwimme auch jeden Tag!“, sagte mein Lehrer. Alle lachten.

Die meisten meiner Klassenkameraden erkannte ich sofort wieder, sie mich auch.

Karin nahm mich sofort in Beschlag, und wich nicht wieder von meiner Seite.

Eigentlich mochte ich ihre weinerliche Stimme nicht.

Das Treffen wurde ein voller Erfolg.

Zu Karin nahm ich keinen telefonischen oder persönlichen Kontakt mehr auf.

Das nächste Treffen war ein paar Jahre später auf der Hallig Langeneß.

Unser Lehrer fuhr auf einer Klassenreise mit uns hierher, als wir 10 Jahre alt waren.

Ein Erlebnis.

Als Kinder schliefen wir hier noch auf dem Heuboden, wuschen uns mit kaltem Wasser, und putzten unsere Zähne mit Salzwasser. 

Jetzt bezogen wir auf einer Warft ein modernes Haus mit Duschen und beheizten Zimmern.

Bernd, der diese Reise organisiert hatte, sprang als erster in die höchstens 12° kalte Nordsee. Ich tat es ihm nach. Als abgehärtete Schwimmer machte uns die Kälte nichts aus.

Auch auf diesem Treffen wich Karin nicht von meiner Seite, was mir nicht gefiel.

Als Kind hatte ich ihr immer bei den Deutschhausaufgaben geholfen.

Nach diesem Treffen rief sie mich einige Male an. 

Die Klasse traf sich von nun an jeden 2. Dienstag im April in einem Restaurant in Wandsbek, immerhin noch fast 20 Schüler und Schülerinnen, und unser Lehrer, der mittlerweile über 80 Jahre alt war.

Nach dem ersten Treffen fuhr ich mit zu Karin nach Hause.

Blitzsauber und peinlichst aufgeräumt, ihre Wohnung. 

Nicht mein Ding.

Dann starb ihr Ehemann an Lungenkrebs, was mir leid tat,  mich aber nicht veranlasste, sie öfters anzurufen. Ganz im Gegensatz zu ihr. 

Auf ihr Drängen besuchten mein Mann und ich sie dann doch.  Wir spielten Rummykub .

Mit Kaffee, Kuchen und Abendbrot hatte sie sich viel Mühe gegeben.

Sie hatte sich verändert, war bestimmter und selbstbewusster geworden. Bei Problemen stand sie mir mit Rat und Tat zur Seite. Auch ich verstand sie besser, und kümmerte mich um sie.

Sie besuchte uns zu Hause, und wir hatten eine gute Zeit. Auch ich gab mir große Mühe, sie gut zu bewirten. 

Bis heute macht uns das Rummykub Spielen  sehr viel Spaß, und wir sind noch im hohen Alter beste Freundinnen geworden, und immer füreinander da.

( © Monika Zelle 12.08.2020 )

Aila

Aila

Aila wo bist Du? Warum schreibst Du nicht mehr?

Kannte sie Aila eigentlich richtig?  Doch meinte sie, Aila durch ihre vielen Briefe kennen zu müssen.

Dann kamen keine Briefe mehr.

Sie erinnerte sich an die wenigen Besuche in Heide, an die warme, durch einen Holzofen beheizte große Küche, wenn Aila, ihr Mann und ihr Sohn mit ihr am Küchentisch saßen, leckere von Aila selbst gemachte Pizza aßen, und danach Karten spielten.

Später ging sie mit Aila in ihr Refugium, ein Nähzimmer, wo Stoffe und Wolle aufgetürmt um die Nähmaschine herumlagen, die fast nicht mehr zu sehen war.

Sie gingen stundenlang in Wald und Feld spazieren, tauschten sich aus über Sorgen und geheime Wünsche, oder sie schwiegen, und lauschten dem Rauschen der Wälder und dem Zwitschern der Vögel.

Jetzt erinnerte sie sich plötzlich, dass Aila ihr einmal von einer Liebschaft in St.Peter Ording erzählt hatte. Sie hatte Haus und Hof Hals über Kopf verlassen.

War dann aber doch reumütig nach Hause zurückgekehrt.

Was war das für eine Liebschaft? Wie sah der Mann aus? Warum hatte Aila sich so unsterblich in diesen Mann verliebt. Darüber hatte sie nie gesprochen.

Morgen würde sie noch einmal in Heide anrufen, und den ebenso schweigsamen Mann wie Sohn fragen.

Einmal hatte sie wegen einer schweren Migräne stundelang in Aila`s Garten auf einer Liege verbracht. 

Aila mochte keine Krankheiten, und auch nicht darüber sprechen.

Sie zeigte ihr lieber, wie man Männersocken am praktischsten zusammen legt.

Sie sprachen und schrieben meistens op Platt. 

Dat wär eehre Modersprook.

Sie waren beide in demselben Stadtteil von Hamburg aufgewachsen.

Nein, anrufen würde sie die beiden Drömels lieber nicht noch einmal, hatte Aila`s Mann sie einst ziemlich schroff am Telefon abgefertigt.

„ Aila ist eben weg!“

Jetzt erinnerte sie sich daran, dass Aila einmal zu ihr sagte, sie würde zum Sterben in den Wald gehen. Auf  keinen Fall wollte sie in einem Krankenhaus oder Pflegeheim dahin vegetieren, dann lieber wie ein Tier sterben.

Aber wann sollte das sein? Wie weiß sie, dass sie sterben muss?

Ob Aila schon tot ist? Das hätte man ihr doch aber mitteilen können.

Ihre Briefe fehlten ihr so.

Aila hatte sie sogar einmal in Hamburg besucht, als sie sich den Fuß verstaucht hatte.

Sie waren zusammen Eis essen gegangen.

Immer wenn sie über den Nord-Ostsee-Kanal nach Dänemark fuhr, schaute sie sehnsüchtig über den Kanal, und ihre Gedanken waren bei Aila.

Aila, wo bist Du?

( copywrite Monika Zelle 02.10.2013)

Am Bahnhof

Am Bahnhof

Genug ist genug.

Am Pferdekopf in der Einöde mitten im Wald der Lüneburger Heide.

In einem schicken Kostüm und hochhackigen Pumps stöckelt Tante Gertrud den Waldweg entlang. 

Sie hat sich stadtfein gemacht.

Eine Landpomeranze war sie noch nie.

Und ausgehalten hat sie es in der Heide auf ihrem Grundstück höchstens 14 Tage lang.

Sie muss wieder den Duft der großen weiten Welt riechen.

Stadtluft schnuppern, auf den Dom und ins Kino gehen.

Einkaufen in der Mönckebergstraße bei Karstadt.

Das ist ihre Welt.

Papa und ich begleiten sie auf dem Weg drei Kilometer durch den Wald nach Holm-Seppensen. 

Hohe Kiefern säumen den Weg. Lichtdurchflutet fallen die Sonnenstrahlen wie kleine Sternschnuppen auf die drei hernieder.

Sie erreichen den kleinen um die Jahrhundertwende erbauten Bahnhof.

Ein Fachwerkhaus wie auf einer Miniatureisenbahnanlage.

In einer halben Stunde kommt der Triebwagen nach Buchholz.

Bei Lorenz, dem einzigen Feinkostladen im Dorf, kauft meine Tante frische Brötchen, Butter und Leberwurst.

Wir setzen uns auf die Bank an der Bahnstation.

Ein Messer hat Tante Gertrud immer dabei.

Sie schneidet die Brötchen auf, schmiert Butter und Leberwurst drauf, und reicht Papa und mir eines.

Es schmeckt köstlich an der frischen Waldluft.

Der Gedanke, dass meine Tante jetzt in die Stadt fährt, macht mich ganz nervös.

Bittend schaue ich Papa an:

„ Ich möchte mit nach Hamburg fahren!“, bettle ich.

„ Das muss ich erst mit Deiner Mutter besprechen!“, meint er.

„ Die sagt sowieso nein!“, wende ich ein“, und sehe jetzt schon ihren bösen Blick.

„ Lasse sie doch mitfahren, Bruno!“, sagt meine Tante zu ihrem Bruder,

ist doch nur eine Woche.

„ Monika hat doch gar keine Sachen dabei“, meint Papa.

„ Die kaufe ich ihr in Hamburg, kein Problem!“, sagt Tante Gertrud.

Papa schüttelt mit dem Kopf und sagt:“ Meinetwegen.“

Glücklich schaue ich ihn an, meinen Papa, gutmütig, verständnis-und liebevoll wie immer.

Der Bummelzug fährt ein.

An der Hand meiner Tante steige ich in den Zug, winke meinem Papa lachend zu, und denke an meine Mutter.

Was wird sie dazu sagen?

( © Monika Zelle 04.08.2020 )

Wenn sie nicht….dann hätte sie nicht….

Wenn Sie nicht… dann hätte Sie nicht…

Wenn Sie nicht 1971 bei der Standard Bank Limited gekündigt hätte, dann hätte Sie  nicht im selben Jahr bei der Behörde angefangen, und dort ihre Kollegin Helga kennen

gelernt.

Wenn Sie nicht im März 1973 auf Helgas beiden Kinder aufgepasst hätte, dann hätte sie dort nicht ihren früheren Verlobten und späteren Mann getroffen, der sich sofort in Sie verliebt hat.

Wenn Sie nicht mit einer Langspielplatte von Udo Jürgens und einer Azalee für ihre Eltern zum Hochzeitstag an dem Abend noch mit zu ihm gefahren wäre, dann hätte er Sie nicht einfach geküsst, und Sie wäre heute nicht 47 Jahre mit ihm verheiratet.

Wenn er nicht 1973 ihr Ehemann geworden wäre, dann hätte Sie nicht 1975 ihren Sohn Stefan zur Welt gebracht.

Wenn Sie nicht ihren Sohn bekommen hätte, dann hätte Sie vielleicht doch vorher nach Australien auswandern können.

Wenn Sie nicht 5 Jahre nach der Geburt ihres Sohnes noch ihre Tochter zur Welt gebracht hätte, dann hätte Sie nicht nach der Geburt eine schwere Erkrankung bekommen.

Wenn Sie nicht diese beiden Kinder groß gezogen hätte, dann wäre Sie vielleicht jetzt in Australien verheiratet, oder hätte sich dort mit ihrer Cousine selbständig gemacht.

Wenn Sie nicht den jetzigen Vater ihrer Kinder geheiratet hätte, dann wäre auch nicht ihre Enkeltochter Lea auf der Welt.

Wenn Sie nie geheiratet hätte, dann hätte Sie wahrscheinlich beruflich die Karriereleiter  erklommen,  immer Vollzeit gearbeitet,  viel mehr Geld verdient, und wäre jetzt nicht so eine arme Rentnerin.

Wenn Sie nicht ihre Mutter 10 Jahre gepflegt hätte, dann wäre Sie nicht an den Schultern operiert worden, weil viel zu viel Gewicht auf ihnen lastete.

Hätte, hätte Fahrradkette.

Was wäre wenn.

Es ist aber nicht so, wie wäre es wenn.

Es ist wie es ist.

Nützt ja nichts. 

( © Monika Zelle 28.07.2020 )

6-Minutentext Schreibwerkstatt

Himmel

Sternengewimmel

Zum ersten Mal in der Stadt

Was Corona nicht alles zu bieten hat

Saubere Luft

Leere Straßen

Und Gassen

Ruhe 

Wie auf dem Land

Das ist unbekannt

Im Stadtgewimmel

Ein klarer Sternenhimmel

( © Monika Zelle  03.08.2020 )

Ferien in Frankreich

Ferien in Frankreich

Der Bulli ist gepackt. 

Seit Tagen habe ich Wäschekörbe mit Klamotten,  Ess-und Trinkbarem die Treppen aus der zweiten Etage runtergeschleppt, und im Auto verstaut.

Die Kinder liegen hinten in ihren Schlafsäcken, und sollen schlafen.

Bevor wir nicht losgefahren sind, ist daran nicht zu denken.

Ihr Vater steigt ein.

Es ist 24 Uhr.

Wir fahren immer um Mitternacht los, weil die Straßen dann schön leer sind.

„ Hoffentlich habe ich nichts vergessen“, denke ich, und sage es dann laut.

Es geht los.

Endlose Stunden fahren wir durch die Nacht, die Scheinwerfer der entgegenkommenden Autos blenden mich.

Zwischendurch nicke ich.

Die erste kleine Pause auf einer Raststätte im Bergischen Land.

Die Kinder schlafen tief und fest.

„ Das ist ja auch n`Job hier“, höre ich eine mir sehr bekannte Stimme dröhnen.

Nach einem kurzen Blick erkenne ich Dieter Thomas Heck neben seinem Mercedes.

Er meint den Tankwart.

Arschloch, denke ich.

Weiter geht’s. 

Am späten Vormittag sind wir in Sedan im Norden Frankreichs.

Zum Frühstück, frische Croissants und französische Butter vom Bäcker.

Ein bisschen Marmelade und Milchkaffee.

Wir fahren weiter Richtung Süden, nur Landstraße, LAutoroute ist zu teuer.

900 km liegen noch vor uns.

Die Kinder streiten sich um die hinteren Plätze. Am liebsten würden sie wohl einen Stacheldrahtzaun in der Mitte ziehen.

Die vorüber fliegende Landschaft interessiert sie nicht.

Unser Sohn spielt Gameboy, unsere Tochter beguckt Bilderbücher, oder hört Benjamin Blümchen Kassetten.

Ich summe vor mich hin.

Der Vater stellte das Radio an.

Pause an einem Fluss, ein romantisches Plätzchen.

Wir springen in die kalten Fluten, und seifen uns von oben bis unten ein.

Herrlich.

Mittagsbrot.

Ein Schinkenbaguette.

Lecker.

Die Straße hat uns wieder.

Um 18h geht es auf einen Campingplatz in einem mittelalterlichen Ort.

Ein Abendspaziergang durch die Straßen.

Auf dem Dorfplatz, Waschzuber.

Wie gerne würde ich am nächsten Morgen dort meine Wäsche waschen, mit den Frauen palavern.

Doch wir müssen weiter.

„ Wann sind wir da?“, fragen die Kinder in einer Tour.

„ Der Weg ist das Ziel“, antwortet ihr Vater.

In den Pausen durchstreifen wir die legendären Märkte der kleinen Orte, trinken Espresso im Bistro. Die Kinder Orangina. 

Die Stände sind überfüllt mit Früchten, Oliven, Käse, Gemüse, alles was das Herz begehrt.

Der Duft der süßen, an der Sonne gereiften Früchte, beleben unsere Sinne.

Zum Einkaufen reicht unser Französisch.

Learning by doing.

Am Nachmittag des 3. Tages erreichen wir unseren ersten Zielort.

Ispagnac im Gorges du Tarn.

Es ist Mitte Juni, die Franzosen noch nicht im Urlaub, der Campingplatz noch nicht geöffnet.

Wir dürfen bleiben, helfen beim Kirschenpflücken. 

Verbringen herrliche Tage mit Baden im Tarn.

a

( © Monika Zelle 21.07.2020 )

Haikus zur Pandemie

Ein paar Haikus zur Pandemie

+

Massentourismus

Menschen feiern dicht gedrängt

Die Spaßgesellschaft

+

Egoismus pur

Gefährdung von Anderen

Empathie ist out

+

Fremdverantwortung 

Ist Eigenverantwortung

Solidarität

+

Zahlen steigen an

Pandemie ist nicht vorbei

Dummheit der Menschen

( © Monika Zelle  27.07.2020 )

Seifenblasen

Seifenblasen

Nur fliegen ist schöner.

Das hatte sie schon als Kind gedacht, als sie mit einigen Mitschülern in einer „Alten Tante  Ju“über ihre Heimatstadt Hamburg dahin schwebte. 25 D-Mark hatten ihre Eltern sich vom Mund abgespart, um ihr diesen lang ersehnten Wunsch zu erfüllen.

Sie fühlte sich wie im siebenten Himmel, obwohl sie zeitweise dachte, ihre Trommelfelle würden von dem Dröhnen der Propellermotoren zerplatzen.

Sie war gerade mal 10 Jahre alt.

Als sie zum zweiten mal flog, war sie junge 17 Jahre alt, auf dem Weg nach Dubrovnik.

Vor der Boeing 707 stellte sie sich in Pose, ließ sich in ihrem schicken Kostüm und einer weißen Spitzenbluse fotografieren, und träumte von einem Leben als Stewardess.

Sie war gerade in eine Banklehre bei einer englischen Bank eingetreten.

Der Gedanke jedoch, sich als Stewardess bei der Lufthansa zu bewerben, ließ sie einfach nicht los.

Als sie 21 Jahre alt war, schickte sie ihre Bewerbungsunterlagen an die Lufthansa.

Sie wurde zu einem persönlichen Gespräch eingeladen.

Jung, hübsch und adrett, mit einer passablen Figur, wieder in einem schicken Kostüm, machte sie sich auf dem Weg zum Flughafen, in das Personalbüro.

Eine ältliche Sekretärin mit einer Hochfrisur begleitete sie zum Personalchef, ein kleiner dicker Mann, mittleren Alters, mit einer Halbglatze.

Höflich bat er ihr einen der beiden grünlichen Clubsessel an.

Sie setzte sich, nahm Haltung an, und schlug ihre hübschen Beine übereinander.

Wohlwollend sah der Chef sie an.

Sie befand sich die ganze Zeit in einer schillernden Seifenblase, hoch oben in den Lüften, zu Hause in der großen weiten Welt.

Inzwischen hatte die Sekretärin formvollendet Tee und Kekse serviert.

Der Chef stellte ihr einige Fragen auf Englisch, die sie perfekt beantworten konnte.

Dann überflog er ihren tabellarischen Lebenslauf.

„ Wie groß sind Sie, Fräulein Klein?“, fragte er plötzlich.

Erstaunt schaute sie ihn mit ihren großen braunen Augen an.

„ Wie, wie groß, was tut das zur Sache?“, fragte sie.

„ Ähm, na ja, stotterte er, als Stewardess muss man in Deutschland eine Größe von mindestens 1,65 Zentimeter messen.

Sie fiel aus allen Wolken.

„ Ich bin 1.58 Zentimeter groß“, hauchte sie.

Mitleidig schaute sie der Chef an.

„ Ja, Fräulein Klein, so leid es mir tut, und so gerne ich sie eingestellt hätte, vor allem aufgrund ihrer Sprachbegabung, aber in diesem Beruf als Stewardess ist bei uns eine Mindestgröße vorgeschrieben.

In diesem Moment zerplatzte ihr Traum wie eine große bunte Seifenblase.

Ihr Traum aller Träume war ausgeträumt.

Wenn sie heute an diesen Tag zurückdenkt, kommt ihr das Lied „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“ von Reinhard May in den Kopf .
Alle Ängste, alle Sorgen
Sagt man
Blieben darunter verborgen
Und dann….
Würde was uns groß und wichtig erscheint
Plötzlich nichtig und klein“, 

Ja, so fühlte sie sich. 

Nichtig und klein.

( © Monika Zelle 14.07.2020 )

Ein Leben

Ein Leben

Bruno Klein erblickte als jüngstes Kind von fünf Geschwistern einer Bürstenmacherin und eines Elektrikers am 27.10.1910 in Hamburg in einer Kellerwohnung das Licht der Welt.

Judenjung nannten ihn die Leute, weil er so ganz anders aussah als seine Geschwister.

1914 kam der erste Weltkrieg. Armut und Entbehrungen nahmen ihren Lauf.

Bruno lernte Autoschlosser in den goldenen Zwanzigern.

Er trat einem Arbeiterschwimmverein bei, wo er auf einer Demonstration seine Frau Anne Christine kennen lernte.

1933 heirateten die beiden.

Die Nazis kamen an die Macht.

Anne wollte Kinder.

Bruno nicht.

Schon früh erkannte er, dass Adolf Hitler einen Krieg anzetteln würde.

Er sollte Recht behalten.

Soldat war Bruno nie.

Er war durch und durch Pazifist, und hatte immer Arbeit.

1935 wurde trotz aller Bedenken der Sohn Reinhard geboren.

1939 begann der unsägliche Krieg.

1941 kam die Tochter Elke zur Welt.

Sie starb kurz nach der Geburt an einer Lungenentzündung bei Bombenangriffen in einem Luftschutzkeller in Hamburg. Am selben Tag verstarb Brunos Mutter. 

Bruno wurde 1942 von Daimler Benz nach Genzhagen bei Berlin dienstverpflichtet.

Zusammen mit den Arbeitern sabotierte er das Flugzeugwerk.

Sie entfernten die Tarnung vom Dach, weil sie den Krieg nicht unterstützen wollten.

Es wurde vollständig vernichtet.

Als Leiter des Wirtschafts-und Ordnungsamtes in Trebbin fälschte er Pässe für eine befreundete jüdische Familie.

Sie überlebte.

Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges kehrte Bruno mit seiner Familie nach Hamburg zurück.

Wieder bestimmten Hunger und Entbehrungen ihren Tag.

Am 8. Mai 1945 endete das Desaster.

Sechs Millionen Juden wurden in den Konzentrationslagern vergast.

Ganz zu schweigen von den Millionen Menschen die dem Krieg zu Opfer fielen.

1947 bekamen Anne und Bruno noch eine Tochter.

Dann kamen die fetten Jahre, obwohl Brunos Leben bescheiden blieb.

Er trat wieder einer Gewerkschaft bei.

In seinem Arbeiterschwimmverein brachte er Kindern ehrenamtlich das Schwimmen bei.

Er trat wieder in die SPD ein.

Auf Demonstrationen kämpfte er für Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Urlaub für die Menschen.

Als die SPD in den1960iger Jahren in Koalition mit der CDU ging, trat Bruno aus.

Er verlor sein Amt als Schöffe, und wurde fortan als Kommunist geächtet.

Die sozialen Errungenschaften bröckelten ab.

Dann kam die Krankheit.

Bruno arbeitete seit 1947 als Autoschlosser bei den Hamburger Gaswerken im Hafen.

Die Maschinen wurden hier mit Benzol gereinigt.

Das wurde ihm zum Verhängnis.

Am 09. Mai 1972 verstarb Bruno im Alter von 61 Jahren an Leukämie.

( © Monika Zelle 07.07.2020 )