Nur Steine leben lang
Männern wird die Eigenschaft Jäger und Sammler zugesprochen.
Ich bin Jägerin und Sammlerin von Büchern und Schreibgeräten, und vieler anderer Dinge.
Lesen und Schreiben ist von Kindheit an mein Lebenselixier.
Meine Regale ächzen unter dem Gewicht der Bücher, meine Schreibgeräte drängeln sich in zahlreichen Bechern….und immer kommen noch neue hinzu. Trage ich Taschen von Büchern zu Jack un Büx, denke, ich hätte mich befreit, und eine Erinnerung an sie sei nicht möglich, erinnere ich mich doch an jedes einzelne von ihnen, ihres Titels und ihre Handlung.
Dann kommt auch die Erinnerung an die Bücher in der Heide von Heinrich Heine, Erich Kästner, Bertholt Brecht, Wolfgang Borchert und viele andere, die dort von meinen Eltern vor den Nazis vergraben wurden, um sie vor der Verbrennung zu retten. Wir fanden sie nie wieder.
Ein ganzes Regal ist gefüllt mit Kinderbüchern.
Es könnte sich ja mal ein Kind bei mir verirren. Ein Nachbarskind hat schon den Weg zu mir gefunden. Nori. Ich lese ihr dann aus den Kinderbüchern meiner Enkelin vor.
Meine zweite Leidenschaft sind Fotos. Augenblicksmomente längst vergangener Zeiten.
Oder Seifen aus vielen Ländern dieser Welt. Alle meine Kinder bringen mir Seifen oder Geschirrtücher von ihren Reisen mit. Auch Steine von den Stränden der Meere.
Steine mit Loch von dänischen Stränden, aufgereiht auf ein Band an der Brüstung meines Balkons.
Riesige Kiefernzapfen von der Ile de Oleron, von einem der vielen Frankreichurlaube.
Nun hat mein Sohn seine große Liebe gefunden. Anaïs, eine Französin, die mir auch Seife aus Frankreich schenkte. Lavendelseife, meine Lieblingsseife.
Der Sekretär meiner Mutter aus Mahagoniholz, mit Liebesbriefen aus Paris von Marcel. Marcel war von den Nazis interniert in Trebbin, einem kleinen Ort südlich von Berlin.
Die große Liebe meiner Mutter.
„ Du bist so eine saubere Frau“, schrieb er in einem Brief in perfektem Deutsch. Auch meine Mutter liebte Seife.
Da ist ja noch der Bulli, ein Oldtimer Baujahr 1977, liebevoll restauriert von meinem Sohn, schnurrt er immer noch durch die Welt. Sein Herz hört noch nicht auf zu schlagen, genau wie meines.
Dias der Urlaube in Frankreich mit dem Bulli. Vergilbt bis zur Unkenntlichkeit
Das Teeservice von Tante Luise. Wie lange habe ich nicht aus diesen braunen, schicken Tassen getrunken. Tante Luise, eine meiner Bestmütter, die mir zeigte, dass Kinder auch ohne Schläge groß werden.
Das Essservice von Tante Erna mit englischen Motiven. Nie esse ich von den Tellern, außer es kommt Besuch, der im Alter immer seltener wird.
Tante Erna, auch eine meiner Bestmütter, von der ich immer dachte, sie wäre meine Mutter.
Eine meiner Freundinnen aus der Gruppe im Michel Treff besuchte mich am letzten Sonntag.
Sie konnte sich nicht sattsehen an den vielen von mir gesammelten Gegenständen. Auch die vielen Bilder an den Wänden ließen sie nicht los.
Hier ist es wie in einem Museum, sagte sie.
Na ja, wir gehören ja auch schon fast ins Museum, antwortete ich.
Nur Kleider, von denen trenne ich mich leicht, damit wieder neue meinen Kleiderschrank schmücken.
( © Monika Zelle 27. 02.2024 )