Wasser

Wasser

 

Wasser umspült meine Sinne

Ich beginne zu träumen

Von

Unterwasserbäumen

 

Wasser

Mein Lebenselixir

Ich komme von Dir

Gehe zu Dir

 

Nur in Dir will ich sein

In Dir will ich leben

Nur Du kannst Leben geben

 

Auch wenn ich nicht mehr bin

In Dir liegt meine Seele verborgen

In Dir wird immer wieder Morgen

 

( © Monika Zelle 21. April 2016 )

Meine Puppe Helga

Meine Puppe Helga

 

Nie hätte ich für möglich gehalten, dass meine beste Freundin Margrit zu einer so abscheulichen Tat fähig gewesen wäre.

Wir waren wirklich beste Freundinnen, teilten Freud und Leid miteinander.

Margrit war zwei Jahre jünger als ich.

Unsere Mütter waren zur selben Zeit schwanger.

Wir sollten beide ein Geschwisterchen bekommen, und freuten uns wie die Schneeköniginnen.

Von nun an spielten unsere Puppen die Hauptrolle.

Meine Puppe Helga, schokoladenbraun, große schwarze Augen, krause Haare, trug ein rot-weiß-gepunktetes Dirndl, mit wunderschönen Trachtenknöpfen, dazu eine giftgrüne Schürze, von meine Mutter selbst genäht, auch die Puppe.

Margrits Puppe hieß Franziska.

Sie trug ein langes buntgeblümtes Kleid mit Puffärmeln von der Stange.

Täglich trafen wir uns nun, steckten unsere Puppen unter die Pullover, und spielten Babykriegen, trugen die Puppen unter dem Herzen, wie unsere Mütter die Geschwisterchen.

Meine Puppe Helga wurde zuerst geboren, dann kam Franziska.

Wir stillten sie wie im richtigen Leben.

Gewickelt wurden sie mit den großen, frisch gebügelten Stofftaschentüchern meines Vaters.

Dann war es soweit.

Meine Mutter brachte an einem warmen, sonnigen Sonntag im Mai meine Schwester Gabriela zur Welt.

Sie war rund und gesund.

Das Geschwisterchen von Margrit ließ noch ein paar Tage auf sich warten.

Ein kleiner Robert.

Zu klein.

Nach ein paar weiteren Tagen verließ er uns wieder, für immer.

Margrit und ich trugen den Schmerz gemeinsam.

Ihre Puppe Franziska schrie unaufhörlich, während Helga friedlich in meinen Armen schlief.

Franziska schrie so heftig, bis sie keine Luft mehr bekam, und auch von uns gehen musste.

Als der kleine Robert beerdigt wurde, legten wir Franziska zu ihm.

Eines Tages fragte Margrit mich, ob ich ihr meine Puppe Helga mal ausleihen würde.

Eigentlich mochte sie keine Negerpuppen1.

Ich tat es.

Natürlich.

So vergingen einige Tage.

Margrit ließ sich immer etwas anderes einfallen, um meine Puppe noch behalten zu können.

Einmal schlief sie gerade, dann wurde sie gebadet.

Ich durfte nicht zuschauen, und bekam meine Puppe auch nicht zu Gesicht.

Du hast doch dein Schwesterchen, meinte Margrit.

Meine Sehnsucht wurde immer größer. Ich liebte Helga sehr.

Eines Tages lag meine Puppe auf unserer Fußmatte.

Nackt, völlig zerstochen, das Stroh quoll aus ihr heraus, der Kopf abgerissen.

Auf einem Zettel stand:

„Jetzt kannst du das Negerlein2zurück nach Afrika schicken, wo es hingehört, Du hast ja jetzt ein weißes Geschwisterchen!“

Zärtlich nahm meine Mutter mich in den Arm.

Sie nähte mir eine neue Puppe, die genau so aussah wie meine Puppe Helga, mit einem rot-weiß-gepunkteten Dirndl, einer giftgrünen Schürze und wunderschönen Trachtenknöpfen.

Aber es war eben nicht meine Puppe Helga.

 

( copyright Monika Zelle 17. Oktober 2017 )

 

 

Die Marmel

Die Marmel

Ich sitze in einem mondänen Wiener Cafe nahe der spanischen Hofreitschule. Ich hasse solche Cafes mit ihren meist versnobten Gästen, die denken, sie seien etwas Besseres. Meine Mutter ging oft mit mir ins Gustav Adolf in die Großen Bleichen, um mich in die bessere Gesellschaft einzuführen, und mir gute Manieren beizubringen. Später erfuhr ich, dass dort in der Küche die Mäuse auf den Tischen tanzten. Ich gehe nur in dieses Wiener Cafe wegen der Sachertorte, dem Einspänner und Andre Heller. Meistens sitzt er gleich links neben der Drehtür in einem Plüschsessel, vertieft in seine Tageszeitung. Heute ist er nicht gekommen.

Schade.

Schade ist auch, dass er nicht mehr mit Erica Pluhar zusammen ist.  

Mir schräg gegenüber sitzt ein Kind. Vermutlich mit seiner Mutter. Weinrotes Samtkleid, weißer Spitzenkragen. Ganz gerade sitzt es da, genau wie ich sitzen musste im Gustav Adolf, als hätte ich einen Stock im Rücken.

Bestimmt soll es noch zu den Lipizzanern gehen. Ich schaue das Kind lange an, mit seinen schwarzen Locken.  Mit der linken Hand stochert es in seinem Kuchen, trinkt manchmal kleine Schlucke von dem Kakao mit Sahnehäubchen.

Oh, ein Stück von dem Kuchen ist von der Gabel auf der weißen Tischdecke gelandet. Das Kind schaut ängstlich, erst zu seiner Mutter

dann

verstohlen

zu mir herüber.

Große grüne Augen schauen mich an. 

Ein Puppengesicht. Blass.  

Die  Mundwinkel verziehen sich nach unten.

Es will doch nicht etwa weinen?

Doch nicht wegen der Torte auf der Tischdecke.

Nein.

Ich versuche zu lächeln.

Aufmerksam schaut es mich an, nimmt die Kuchengabel, schiebt das Stückchen von der Tischdecke mit dem rechten Daumen auf die Gabel, und befördert es wieder auf den Teller.

Zustimmend nicke ich.

Daumen hoch.

Jetzt lacht es über das ganze süße Kindergesicht.

Das Kind schiebt seine Hand in die Tasche des Samtkleidchens, und hält plötzlich eine bunte Glaskugel vor sein Auge.

In Hamburg sagt Murmel oder Marmel dazu.

Schaut wieder in meine Richtung.

Ein Auge geschlossen, ein Auge an der Marmel.

Ganz konzentriert.

Wie es mich wohl jetzt sieht?

Jetzt nimmt es die bunte Kugel wieder in die Hand, rutscht von seinem Platz, und kommt langsam auf mich zu.

„ Hier!“, sagt es, und schiebt mir die Marmel in meine Hand, bleibt noch kurz stehen, und läuft dann flink wieder zu seinem Platz, mit seinen kleinen Füßen in weißen Söckchen und Lackschuhen, die genau zum Kleidchen passen.

Es strahlt.

Ich strahle zurück, halte die bunte Marmel vor mein Auge, und sehe die manchmal so triste Welt durch Kinderaugen.

 

( copyright Monika Zelle 12. Oktober 2016)

 

 

 

 

Der Baum meines Lebens

 

Wieder einmal wandere ich durch das Tal meines Lebens, entlang am Büsenbach, hinauf zum Pferdekopf.

Das Grundstück, auf dem ich ein halbes Leben verbracht habe, darf ich nun nicht mehr betreten, doch am Wegesrand stehen, um meinen alten Kletterbaum zu besuchen, das bleibt mir unbenommen.

„Hallo mein Baum, da bist Du ja wieder, wie geht es Dir?

Älter bist Du geworden, aber Deine Äste sind noch genau so stark wie früher, und Deine Nadeln, welch eine Pracht, wie stolz sie Dich schützen und schmücken.

Es war eine gute Zeit mit Dir und mir, viele gemeinsame Stunden haben wir zusammen verbracht, in Freud und Leid.

Wie gern würde ich noch einmal in Deine Wipfel steigen, um die Welt aus Deiner Krone zu betrachten, um all meine Sorgen und Nöte aus Deiner Sicht zu sehen, meinen Rücken an Deinen von der Sonne erwärmten Stamm lehnen, die Augen schließen, um von der Liebe zu träumen.

Weißt Du noch, wie wir Mädels Herzen in Deinen Stamm geritzt haben, mit den Namen unserer Schwärmereien?

Du hast es ertragen, unter Tränen, die sich an Deinem Stamm festigten. Die Narben sind immer noch sichtbar.

Den Duft Deines Harzes vergesse ich nie.

Und weißt Du noch, wie alle Kinder der Siedlung hier mit meinem Vater Fußball gespielt haben? Du und Dein Vetter waren das Tor. Viele Bälle flogen zwischen Euch beiden hindurch.

Erinnerst Du dich noch, als ich aus Dir heraussprang, weil meine Mutter zum Mittagessen rief, ich mir den Fuß so verstauchte, dass ich Dich wochenlang weder besuchen, noch in Dir klettern konnte?

Ach, mein Baum, ich vermisse Dich so.

Gut, dass ich Dich noch berühren kann, weil Du so nah am Zaun stehst, der Zaun, der für mich jetzt unüberwindbar ist.

Bitte sei mir nicht böse, aber ich breche jetzt einen kleinen Ast mit Deinen schönen Kiefernnadeln von Dir ab, nehme ihn mit nach Hause, damit ich Dich immer sehen, riechen und spüren kann.

Ich verspreche Dir, Dich bald wieder zu besuchen, und vergiss mich nicht, auch wenn jetzt andere Kinder auf Dir herumtollen, Dich zum Lachen und zum Weinen bringen, ich werde Dich immer lieben, und Dich bis zu meinem letzten Atemzug besuchen, denn Du wirst mich noch lange überleben, es sei denn, Dein Holz wird zum Wärmen der Menschen benötigt.

„Tschüß mein Baum, bis bald.“

Ich winke meinem Baum noch ein letztes Mal zu, wandere schnellen Schrittes durch das Tal zur Bahnstation, um meinen Zug nicht zu verpassen.

(Monika Zelle © 23.11.2011)