Kostgänger

 

Günther Wolff, ein angeheirateter Cousin, kam jeden Tag in seiner Mittagspause zu uns zum Mittagessen, warum auch immer.

Meine Mutter bereitete ein vorzügliches Mal, und es gab sogar Kaffee und Kuchen zum Nachtisch.

Günther Wolff, ein außergewöhnlicher Möbeltischlermeister, selbständig, der seinesgleichen suchte.

Er baute für mich einen Klappschreibtisch, mit einer roten resopalbeschichteten Platte, und einem hellblauen Rand, den er aus Platzgründen an die Wand meines schmalen Zimmers schraubte.

Ich fand ihn toll. Den Schreibtisch natürlich.

Dazu baute er mir einen rotgepolsterten Wiegehocker. Sehr hübsch.

Der Hocker.

Nach dem opulenten Essen schaute ich meistens aus unserem Fenster in der dritten Etage unseres Mietshausen den Fußballspielen auf dem Sportplatz zu.

Günther Wolff stellte sich dann mit seiner zweiten Tasse Kaffee in der rechten Hand ziemlich dicht hinter mich, so, dass ich seinen Atem in meinem Nacken spürte.

Den Geruch von Holzleim in meiner Nase.

Freundschaftlich legte er seine freie linke Hand auf meine linke Schulter.

Weil ich frech zu ihm wurde, meinte meine Mutter, ob ich nicht netter zu ihm sein könne.

War es wegen des Schreibtisches?

Oder des Hockers?

Günther Wolff war 20 Jahre älter als ich.

Und, ich hatte einen Freund.

Dieter.

Dieter war 2 Jahre jünger als ich.

Ich glaube, meine Mutter war etwas verliebt in Günther Wolff.

Sie war 15 Jahre älter als er.

Sollte ich mal mit meinem Vater reden?

Nach dem Fußballspiel setzte ich mich an meinen neuen Schreibtisch und übte Maschineschreiben und Stenografie.

Ich besuchte eine Berufsfachschule.

Günther Wolff war dann wieder in seine Werkstatt abgetaucht, die keine fünf Minuten von uns entfernt lag.

Eines Tages stand er wieder dicht neben mir am Fenster, und kam mir mit seinem Gesicht ziemlich nahe.

Ich verpasste ihm eine Ohrfeige.

Von nun an schmeckte das Essen nicht mehr so gut.

 

 

( © Monika Zelle 6.11.2018 )

 

 

 

 

 

Herd aus Fenster zu?

 

Hat sie wirklich den Herd ausgeschaltet?

Sie steht an der Bushaltestelle und überlegt.

Sie muss zurück.

War die Ampel jetzt rot oder grün.

Die Autos hupen.

Menschen schütteln mit dem Kopf.

Kinder rufen „ Rotgänger Totgänger!“

Sie rennt weiter nach Hause.

Haustür aufschließen.

In die Küche gehen.

Nachschauen.

Der Herd ist aus.

Hatte sie doch extra einen Aufkleber von der Polizei an der Haustür:

„ Herd aus? Fenster zu?“

Sie geht erneut zur Bushaltestelle.

Steigt in den Bus.

Teilnahmslos winkt der Busfahrer sie durch.

Hatte er überhaupt ihre Fahrkarte gesehen?

„ Reeperbahn“, erklingt es aus dem Lautsprecher.

War der Herd jetzt aus oder nicht?

Schnell steigt sie aus dem Bus und rennt zur gegenüberliegenden Haltestelle.

Wartet. Fährt zurück.

Rennt nach Hause. Die Micheluhr fest im Blick.

Hetzt die Treppe zu ihrer Wohnungstür hoch.

Schließt auf.

In der Küche, der Herd ist aus.

Jetzt muss sie sich aber beeilen, wenn sie noch rechtzeitig zu ihrem Kurs kommen will.

Wieder im Bus kommen ihr erneut Zweifel.

Sei fragt den Herd:

„ Habe ich Dich jetzt ausgeschaltet oder nicht?“

Der Herd kann ihr natürlich nicht antworten, soweit kommt es noch.

Sie ist verzweifelt.

Richtig verzweifelt.

Wieder zurückfahren.

Tränen rinnen ihr übers Gesicht.

Der Herd ist natürlich abgestellt.

Sie schüttelt ihr greises Haupt.

Würde sie es zum Kurs noch schaffen?

Sie bezweifelt es.

Ein Taxi nehmen?

Aber würde der Fahrer es noch rechtzeitig schaffen?

Bestimmt nicht.

Soll sie es dennoch versuchen?

Sie ruft sich ein Taxi.

Der Taxifahrer überfährt jede rote Ampel.

Nun soll er umkehren.

Der Herd ist bestimmt noch an.

Sie hat vergessen ihn auszustellen, dessen ist sie sich sicher.

( © Monika Zelle  16.10.2018 )

 

 

Heideland

 

Jetzt stehe ich vor dem Zaun.

Wie einsam und verlassen mein Heideland ist.

Alles zugewachsen.

Ah, da sind ja noch die Hütten.

Völlig verfallen.

Die Geburtstagsfeiern im Sommer, legendär mit ihren Tortenschlachten.

Die ganze Familie, versammelt an den Tapeziertischen mit den weiß gestärkten Tischdecken, die am Vortage noch von Wind und Sonne getrocknet wurden.

Eine bunte Gesellschaft, je später der Nachmittag, desto lustiger.

Meine Onkel, alle spielten sie ein Instrument, Balalaika, Querflöte, Gitarre.

Meine Mutter spielte Mundharmonika, und wir Kinder sangen dazu.

Meistens Volkslieder aus aller Welt, viele aus Russland.

Waren die Lieder verklungen, und der letzte Tropfen Portwein, den Onkel Paul von See mitgebracht hatte, ausgetrunken, wollte Tante Erna immer zum Brunsberg wandern.

Im Dunkeln. Keiner wollte mit. Alle waren müde, und wollten nach Hause zum Flidderberg, und zur Tannenallee.

Ach ja, hier war ich auch mit meiner ersten großen Liebe.

Wir lagen im Zittergras, schauten in die Wipfel der hohen Kiefern.

Dieter, mit Gitarre und Elvistolle.

Ob die Bücher noch da waren, wo mein Vater sie 1933 in einer Stahlkiste vergraben hatte?

Bücher von Heinrich Heine, Erich Kästner, Bert Brecht, Kurt Tucholski.

Wie oft hatten wir sie schon gesucht.

Wahrscheinlich steht die Hütte meiner Mutter darauf, da muss es ungefähr gewesen sein.

Viele Kinder waren wir seinerzeit, eine ganze Fußballmannschaft.

Fußball haben wir gespielt, jeden Tag, nur in der Mittagspause von 13 bis 15 Uhr war Ruhe.

Dann gingen wir in den Wald, Bickbeeren sammeln. 50 Pfennige das Pfund hat der Grünhöker uns dafür gegeben.

Ausbeutung.

Hängt da etwa noch der Leinenbeutel an der Pforte?

Dann hielt der Milch-und Bäckerwagen immer an.

Frische Brötchen, frische Milch, frische Eier.

Tante Gertrud kam dann zu uns, um sich vier Eier für den Kuchen auszuleihen.

Jedes Mal. Sie kann aus 50 Pfennig eine Mark machen, höre ich meinen Vater noch sagen, aber backen kann sie.

Fünfzig Jahre Heideland.

Bei Wind und Wetter.

Später mit meinen Kindern, die Geburtstage auch legendär.

Gezeltet haben sie, mit all ihren Freunden.

Dann wollten sie angeln, in der Seeve. Eine Bachforelle musste dran glauben, mein Sohn hat sie getötet. Gegessen? Nee.

Alexander, sein bester Freund und ich haben sie gebraten und gegessen.

Sie schmeckte moorig.

Alexander ist schon tot.

Und jetzt?

Alles öde und verlassen.

Bonjour Tristesse.                      ( © Monika Zelle 19.10.2016 )

 

1944

 

Bruno Klein saß in seiner Schreibstube des Wirtschafts-und Ordnungsamtes in einem kleinen Dorf bei Berlin, das er inzwischen leitete. und war froh, nicht mehr in dem Flugzeugwerk der Daimler Benz AG arbeiten zu müssen.

Die Arbeiter hatten die Tarnung vom Dach des Werkes genommen, so konnte es ungehindert bombardiert werden. Sie waren alle solidarisch. So konnte es mit Nazideutschland und Hitler nicht weiter gehen.

Der Krieg war verloren.

Als er abends nach Hause kam, saßen seine Frau Anne Christine, und die Jüdinnen Else Pecher und Anni Jacobsen schon beim Abendbrot.

Alle weinten.

Der kleine Reinhard schlief schon.

„ Bruno, kannst Du uns helfen, wir haben schon wieder eine Vorladung nach Berlin bekommen !“

Vorsichtig schob Else Bruno die Pässe zu.

Ängstlich schaute seine Frau Anne Christine ihn an.

Ruhig steckte Bruno die Pässe in seine Aktentasche.

Plötzlich klopfte es an der Tür.

Die Besitzerin der Mühle und Vermieterin der kleinen Wohnung von Bruno, Frau Ebeling ,trat ein.

„ Heil Hitler!“

„ Ach, haben sie schon wieder Besuch ihrer Freundinnen aus Genzhagen Herr Klein?

Ich möchte wissen, warum sie diese beiden Damen hier so oft beherbergen! Und warum weinen die Damen?

Naja, eigentlich wollte ich nur die Miete kassieren.“

Wortlos stand Bruno auf, ging langsam an die Schublade des Buffets, nahm den Umschlag mit dem Geld heraus, und gab ihn ihr.

Mit einem verschlagenen Blick verschwand Frau Ebeling.

Am nächsten Morgen schloss Bruno seine Bürotür ab, und machte sich an die Arbeit.

Als er gerade die neuen Pässe ausstellte, in denen die beiden Jüdinnen nur als ¼ Jüdinnen ausgewiesen wurden, klingelte das Telefon.

Der Bürgermeister, ein treuer Diener Adolf Hitlers, war in der Leitung.

„ Bruno, Du musste Trebbin so schnell wie möglich verlassen. Die Ebeling war bei mir, und hat mir gemeldet, dass Du zwei Frauen beherbergst, die ihr nicht geheuer sind!“

In einer Nacht-und Nebelaktion verließen Bruno, Anne Christine, der kleine Reinhard, und die beiden Jüdinnen mit einem LKW Trebbin in Richtung Hamburg.

Dort versteckte Bruno die beiden in der kleinen Wohnung seiner Schwiegereltern im Schanzenviertel.

Nach Kriegsende kehrte Bruno noch einmal nach Trebbin zurück, wo inzwischen die Russen einmarschiert waren.

Frau Ebling hockte in ihrer Mühle.

Als sie meinen Vater sah, flehte sie ihn an:

„ Bitte, bitte Herr Klein verraten sie mich nicht, ich bin doch kein Nazi!“

Verächtlich schaute mein Vater sie an.

„ Und ich kein Denunziant Frau Ebeling!“

 

( copyright Monika Zelle 23.09.2018 )

 

 

 

Die Gitarre und das Meer

 

S-Bahnhof Friedrichsberg. Hier muss ich aussteigen.

Das alte Gebäude des Krankenhauses.

Früher soll hier eine Irrenanstalt gewesen sein.

Sechs Wochen Isolierstation wegen einer Viruserkrankung.

Ich hatte im Planschbecken beim Tauchen Wasser geschluckt, in dem Abends die Hunde tobten.

Sechs Wochen keinen Besuch von den Eltern.

Mit vier Jahren.

Wenn ich in meinem Bett draußen lag, brachte mein Vater mir manchmal Kirschen, die er mir heimlich durch den Zaun reichte.

Gegenüber der Mühlenteich.

Ich höre das Schreien der Kinder.

Das kratzen der Kufen von den Schlitschuhen auf dem Eis.

Die Dithmarscher Straße.

Pommerenke den Spielzeugladen gibt es nicht mehr.

Meine Mutter kaufte mir einen kleinen Steiffteddy, damit ich nicht mehr auf dem Daumen lutsche. Es hat nichts genützt.

Früher ging ich mit meinem Freund Dieter ins Rondeelkino.

Umsonst.

Seine Tante saß dort an der Kasse.

Heute ist dort die Hamburger Sparkasse.

Der Süßwarenladen Tangermann.

Ich ging nicht hinein.

Vor der Tür wachten immer zwei Schäferhunde.

Ade Du süße Versuchung.

Gegenüber wohnte meine beste Schulfreundin Christa.

Ihr Vater ein Kriminaler. Sehr streng.

Der Schallplattenladen Bornemann.

Auch ihn gibt es nicht mehr.

Hier kaufte ich meine erste Single von Freddy Quinn.

Die Gitarre und das Meer.

Fische Loop in der Straßburger Straße gibt es noch.

Ein altes Familienunternehmen.

Kaffee trinken konnte man hier früher aber nicht.

100 g Krabben, höre ich mich sagen.

Nur für meinen Bruder.

LKW Fahrer.

Keine einzige Krabbe bekam ich ab.

Mir lief das Wasser im Munde zusammen.

Die Dauerwellen meiner Mutter beim Friseur Laubinger.

Ich durfte hier die Lockenwickler sortieren.

Hier sollte ich meine Lehre machen.

Nichts für mich.

Ich gehe durch meine Straße.

Vogesenstraße. Alle Straßen sind nach dem Elass benannt.

Die Vogesen. Ich habe sie besucht. Eine herrliche Landschaft.

Die Haustüren sind nicht verschlossen.

Ich kann ungehindert durch das Treppenhaus auf den Hof gehen.

20 Kinder wohnten in einem Haus.

Das Aschhaus ist noch da.

Karin Rieck hat die besten Geschichten erzählt, mit ihrem Ball, der unaufhörlich gegen das Aschhaus prallte.

Geschichtenball.

Eine unserer vielen Leidenschaften.

Mein Weg führt mich weiter durch den Dulsbergpark, vorbei an den Planschbecken.

Ich begegne keiner Menschenseele an diesem Morgen.

Ah, die Rollerbahn, ganz neu.

Kein Kind zu sehen.

Ich setze mich auf eine Bank, schließe die Augen.

Mit wehenden Haaren sause ich mit meinem Roller über die Bahn.

 

( copywrite Monika Zelle 10. April 2018)

 

 

 

 

 

Das verlorene Kind

Es war einmal ein Kind, das suchte nach……..Ja, nach was suchte es…….

Das wusste es selbst noch nicht.

Auf seinem beschwerlichen Weg begegnete es dem Wind.

Der Wind umschmeichelte es, streichelte sein Gesicht, fuhr durch seine blonden Locken,

riss an seinen Kleidern und wirbelte es durch die Luft.

Doch seine kleine Seele konnte er nicht berühren.

Dann kam es an einen großen See, der an seinen Ufern sehr flach war.

Das Kind zog alle Kleider aus, und begab sich langsam in die Fluten.

Das Wasser streichelte seinen Körper, berührte sein Gesicht, nur seine Seele nicht.

Unterdessen suchten seine Eltern es überall.

Sie fragten sich, warum das Kind sie verlassen hatte.

Sie waren doch immer da gewesen.

Das Kind hatte ein schönes warmes Zimmer, alles Spielzeug, was das kleine Kinderherz begehrte, zu essen in Hülle und Fülle, also, warum war es weg?

Sie hatten es sich doch so sehr gewünscht, dieses Kind.

Und als der Wunsch dann endlich in Erfüllung gegangen war, glücklicher konnte doch niemand sein, als sie.

Ihr Engelchen.

Seine Mutter hatte es viele Monate gestillt, gehegt und gepflegt.

Es wuchs heran.

Ein fröhliches Kind.

Dann fing es an, sich jeden Abend in den Schlaf zu weinen.

Die Eltern waren ratlos.

Es begann, die Mutter mit den Füßen zu treten.

Was suchte es?

Dann war es weg, und es blieb verschwunden.

Eines Abends kam das Kind an ein großes Feuer.

Viele Menschen standen drum herum, tranken, lachten, sangen und tanzten.

Das Feuer wärmte es durch und durch.

Doch seine kleine Seele konnte es nicht erwärmen.

Leise hörte es in der Nähe eine warme Stimme, die zu einer Gitarre sang.

Das Kind folgte der Musik.

Es traf auf eine Gruppe von Menschen mit schwarzen Augen und schwarzen Haaren.

Irgendwoher hatte es diese Weisen schon einmal gehört.

War es im Bauch seiner Mutter?

Als die Gesänge endeten, kamen die Menschen auf das Kind zu, umrundeten es, ließen den Kreis immer enger werden, berührten seinen Körper, drückten es ganz fest an sich, wiegten es in ihren Armen hin und her, und sangen ein Schlaflied, dass das Kind vor langer Zeit schon einmal von seiner Oma gehört hatte.

Die Menschen berührten damit die Seele des Kindes, und es fiel in einen langen tiefen Schlaf.

Es träumte in den Armen seiner Mutter zu liegen, die es fest an sich drückte und koste.

Als es wieder aufwachte, lag es tatsächlich in den Armen seiner überglücklichen Eltern, die es von nun an nicht nur hegten und pflegten, sondern auch liebten und herzten.

 

( copyright  Monika Zelle 20. März 2018 )

Wie muss ich sein

Wie muss ich sein

Ich bin zu zart

Ich bin zu still

Wie muss ich sein

Jedenfalls nicht zu klein

Besser ist groß und laut

Klein und leise sein ist out

Warum kann in nicht so sein

Wie ich bin

Wo liegt da der Sinn

Schublade auf Schublade zu

Dann hat die Masse ihre Ruh?

Es kann doch auch leise Menschen geben

Wenn nun alle laut sind im Leben

Das wäre ja nicht auszuhalten

Wir sind doch Gott sei Dank verschieden

So sollten wir uns auch gestalten

Ich möcht so gern dass alle gleich sind

Und doch jeder so sein kann wie er ist

Noch macht uns die Zensur fast blind

Zu sehen nur das Schubladenkind

Drum sind die Menschen so unzufrieden

Weil ständig die Zensur sie treibt

Jeder wird erst jeden lieben

Wenn er ist wie er ist und auch so bleibt.

 

( © Monika Zelle 2018 )

 

 

Sehnsuchtsort

 

Das Dorf erwacht.

Noch höre ich das bunte Treiben im Hintergrund.

Händler wuseln um mich herum.

Feilschen.

Eine Frau, tief verschleiert, reicht mir einen heißen, starken, süßen Tee.

Ich genieße ihn in vollen Zügen.

Das Schnaufen der Kamele küsst meine Ohren.

Die Wärme, Balsam für meine müden Knochen.

Ich habe hoffentlich an alles gedacht.

Wichtig, der warme Schlafsack für die extrem kalten Nächte.

Und, genug zum Trinken.

Allein.

Endlich allein.

Weit erstreckt sich ein Meer ohne Wasser vor mir aus.

Sandwellen auf hohen Dünen.

Soweit das Auge reicht.

Mein Sehnsuchtsort.

Lange hege ich diesen Traum.

Und nun ist er wahr.

Langsam setze ich einen Fuß vor den anderen.

Nur das ewige Heulen des Windes umfängt mich.

Einsamkeit.

Ich denke an zu Hause.

Viele halten mich für verrückt, diese, meine Reise anzutreten.

Allein.

Ich traue mich.

Was soll schon passieren.

Am späten Nachmittag würde ich die Oase erreichen.

Mein Kompass lässt mich nicht im Stich.

Dort bin ich mit Berbern verabredet.

Sie werden mich weiter begleiten.

Schwer lastet das Gepäck auf meinen Schultern.

Nach einer Stunde Wanderung, eine Pause.

Meine nackten Füße graben sich in den heißen Sand.

Über mir, ein endloser, fahlblauer Himmel.

Nirgendwo ein Mensch.

Nur Stille und Weite.

Meine Seele wünscht sich in diese Wüste.

Mein Kopf hat nichts dagegen.

Weiter geht`s.

Ich kraxele über Felsen und Geröll.

Von einem Hochplateau aus erblicke ich das Flussbett des Draa, das sich durch meine Oase schlängeln soll.

Weit und breit keine Oase zu sehen.

Ich wandere auf die andere Seite.

Nichts.

Hat sich mein Kompass geirrt?

Oder habe ich ihn, wie so oft, nicht richtig gedeutet?

Ich steige von dem Plateau herunter an das Flussbett.

Es fängt an zu dämmern.

In welche Richtung soll ich jetzt gehen?

Schnell wird es dunkel.

Angst überfällt mich.

Es bleibt mir nichts anderes übrig.

Ich muss die Nacht in der Wüste verbringen.

Mein Schlafsack wärmt mich.

Der Sternenhimmel über mir entschädigt mich für alles…….

 

( © Monika Zelle 26.01.2016 )

Schatzsuche

Der Weg schlängelt sich drei Kilometer vom Dorf durch den Bauernwald zum Grundstück.

Noch einmal will sie das Unmögliche versuchen, dass der Familie seit Jahren unter den Nägeln brennt.

Sie zieht die lang entbehrte würzige Luft tief in ihre Lungen.

Es hat aufgehört zu regnen.

Die Sonne drängt durch die Wolken, entzieht dem Boden die Feuchtigkeit.

Er dampft.

Riecht nach Moos.

Sie genießt jeden Schritt auf dem weichen Waldboden.

Wie oft ist sie in den 1960iger Jahren diesen unebenen Weg entlang geradelt, jede Baumwurzel im Blick, die sie zu Fall bringen könnte.

Jetzt erreicht sie die neu angepflanzte Schonung, die ihr einen weiten Blick zum Waldessaum erlaubt.

Eine Ricke mit ihrem Kitz äst in der Sonne, sie lässt das Kitz und die Umgebung nicht aus den Augen.

Ein Ast knackt unter ihren Füßen.

Blitzschnell verschwindet die Ricke mit dem Kitz im Unterholz.

Sie erreicht das Grundstück.

Mühelos lässt sich das Gartentor öffnen.

Sie schließt die Hütte auf, öffnet die Fenster, lässt die wärmende Sonne und die laue Luft in den Raum.

Nach einem Grundstücksplan ihres Vaters, schreitet sie jeden Meter des Areals ab.

Hier hat er die Stelle eingezeichnet, an der er und seine Brüder 1933 eine eiserne Kiste mit Büchern vergraben haben.

Sie tritt den Spaten in die Erde.

Schweiß rinnt von ihrer Stirn.

Ein Meter tief soll die Kiste vergraben sein.

Und da.

Der Spaten trifft auf etwas Hartes.

Verbissen schaufelt sie die Kiste frei.

Sie hat die Bücherkiste gefunden.

Ein Nachbar hilft ihr, die schwere Last aus dem Erdloch, einem ehemaligen Kühlfach, zu heben.

Mit einer Eisenstange hebeln sie das Schloss auf.

Der Nachbar lässt sie mit ihrem neu gewonnenen Schatz alleine.

Einen Augenblick verpustet sie sich auf der Holztreppe der Hütte und blinzelt in die Sonne.

Dann beäugt sie den Inhalt.

Die Bücher scheinen unbeschadet.

Sie riechen modrig.

Jedes einzelne Buch nimmt sie wie ein rohes Ei in die Hand, und streichelt den Einband.

„ Papa, ich hoffe, Du siehst von Oben, dass ich die Kiste gefunden habe, nach der ihr schon so oft gegraben habt.

Tucholsky, Kästner, Hesse, Brecht, und wie sie alle heißen.

Geschändete und Geächtete kehren in mein Bücherregal zurück, finden ihren Platz, und bleiben so der Nachwelt erhalten.

 

( © Monika Zelle 31.01.2010 )

1953

 

Ich liebte es, im Zittergras zu liegen.

Meinen Träumen nachzuhängen.

Die Wipfel der Kiefern auf unserem Heideland spendeten mir Schatten, und versprühten ihren Duft.

Aus unserem schmucken Holzhaus roch es nach Königsberger Klopsen.

Gleich würde es Mittagessen geben.

Schritte auf dem Weg.

Ich richtete mich auf und sah, dass mein Vater mit einem Topf in den Händen zur Pforte lief.

Wo ging er hin?

Die Neugier ließ mich nicht los.

Ich folgte ihm.

Ich sah, wie er am Ende des Weges auf einem verwilderten Grundstück verschwand.

Was wollte er dort?

Mit dem Topf.

Ich schlich hinterher, und versteckte mich im Dickicht.

Mein Vater reichte den Topf einer ihm entgegen gestreckten Hand.

Als er wieder nach Hause ging, näherte ich mich der geheimnisvollen Stelle.

In einem Kellerloch sah ich ein sehr verschmutztes Fenster, mit Spinnweben verdeckt.

Hinter dem Fenster ein Holztisch, davor zwei Stühle.

Auf dem Tisch zwei Teller, und Besteck.

War da nicht eben ein Schatten?

Ich kniete mich hin, und beuge mich tief hinunter, entfernte die Spinnweben, um näher an das Fenster zu kommen.

Nichts zu sehen.

Plötzlich hörte ich leise jiddische Gesänge einer Frau.

Sie hatte eine wunderschöne tiefe Stimme.

Ich kannte das Lied.

Meine Eltern haben es oft gesungen.

Ich richtete mich wieder auf.

Junge Birken hatten sich auf dem grasbedeckten Dach über der unterirdischen Wohnung selbst gesät.

Jeden Tag folgte ich meinem Vater nun.

Dann entdeckte er mich.

Traurig schaute er mich an.

Dann sagte er:

„ Hier wohnen Herr und Frau Winterberg, sie verstecken sich, weil sie denken, dass der Verrückte noch immer an der Macht ist, und sein Unwesen treibt.

„ Der Verrückte?, fragte ich, „ wer ist das?“

„ Na, dieser Hitler!“

Du darfst es niemandem verraten, dass die Leute sich hier verstecken.

Ich versprach es.

Von nun an begleitete ich meinen Vater jeden Tag, bekam die Winterbergs aber nicht zu Gesicht.

Sie hatten Angst.

Auch vor mir.

Sie haben ihre Kellerwohnung nie wieder verlassen.

 

( copyright Monika Zelle 09. Oktober 2017)