Hella Borgward

Hella Borgwart

Denke ich an die Hofpausen auf unserem Schulhof, denke ich gleichzeitig an die vielen Kinder, die auf ihm herum tobten. Manche standen in Grüppchen zusammen, schwatzten und lachten. Ich stand zusammen mit Sybille und Christa am Zaun.

„ Sie merkt überhaupt nicht, wie lächerlich sie da steht, und ihr Brot mümmelt, die dicke Kuh!“, meinte Sybille. Christa grinste.

Ich schaute Sybille streng an, und dachte, ob sie überhaupt kein Mitleid hatte mit Hella, wie sie dort stand, in ihrem dicken Teddymantel, und ihrer Schmalzstulle. Sie hatte Schwierigkeiten, mit ihrer überdimensionalen Zahnspange vom Brot abzubeißen, ihre Spucke tropfte aus den Mundwinkeln auf ihren Mantel. 

Sybille und Christa wandten sich von mir ab, gingen auf die andere Seite des Schulhofes und tuschelten. 

Die Pausenglocke klingelte. Alle Kinder stellten sich in Reih und Glied auf, um in das Schulgebäude zu gehen. Zwei Lehrer, die Aufsicht hatten, achteten darauf, dass alles gesittet ablief.

In der nächsten Stunde hatten wir Sport. Geräteturnen, ausgerechnet, nicht meine Lieblingssportart, und Hellas bestimmt auch nicht. Ängstlich schaute sie auf das Gerät.

Wir sollten uns einfach nur auf die unterste Stufe des Barrens schwingen, was weder Hella noch mir gelang. Als Hella es versuchte und abglitt, ertönte ein lautes Gejohle.

Bei mir lachte niemand. 

Ein komisches Gefühl machte sich in meiner Magengrube breit. In der nächsten Pause werde ich mich zu Hella gesellen, vielleicht tauscht sie mit mir ihr Schulbrot. Sie hatte immer Schmalz drauf. Ich nie, obwohl ich es so liebte. 

Nachdem wir uns nach der Sportstunde umgezogen hatten, klingelte es wieder zur Pause.

Wir rannten alle auf den Schulhof.

Ich suchte Hella. Sie stand wie immer abseits. Aber was war das? Sie hatte ihren Teddymantel gar nicht an, obwohl Minusgrade draußen waren, zudem fing es noch an zu schneien. Zitternd  stand sie da, ihr Brot konnte sie kaum halten. Die Tüte Kakao auch nicht. 

Ich suchte den Schulhof nach Sybille und Christa ab. Sie waren nicht zu sehen.

Ich schaute wieder auf Hella. Jetzt verzog sich ihr Gesicht zu einer Grimasse. Weinte sie etwa? 

Dann sackte sie in sich zusammen. 

Eine Lehrerin, die Pausenaufsicht hatte, rannte zu ihr. Ich auch. Dann sah ich Sybille, wie sie auf Hella herab schaute.

Aber,  war das nicht Hellas Teddymantel? Ja, Sybille hatte Hellas Mantel an.

Am liebsten hätte ich ihr den Mantel vom Leib gerissen, und Hella damit zugedeckt, die immer noch furchtbar zitterte. Da war ja auch Christa. Die Lehrerin wies sie an, ins Lehrerzimmer zu laufen, und den Rektor zu rufen.

Wenig später hörten wir in der Ferne die Sirene des Rettungswagens.

Ich schaute mich um. Sybille war wieder verschwunden. Sollte ich nach ihr suchen?

Ich weiß nicht mehr, was dann passiert ist, es ist einfach zu lange her. 

Ich weiß nur, dass Hella in den nächsten Wochen nicht in die Schule kam. 

Hella kam überhaupt nicht mehr in unsere Schule. Es hieß, sie sei mit ihren Eltern fortgezogen.

( © Monika Zelle 28.03.2023 )

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