Ich stehe an einer Weggabelung

Ich stehe an einer Weggabelung

Welchen Weg soll ich gehen, den nach links, den nach rechts?

Wie soll ich mich entscheiden.

Nach links? Alle Ängste, Sorgen, Nöte, all den Ballast abwerfen, sich von allem Unnötigen trennen, das sich im Laufe der Jahre angesammelt hat? 

Ich sitze vor meinem Laptop, schaue mir sehnsüchtig die Tinyhouses an der Elbe an.

Minimalistisch leben, dem Konsum ein Schnäppchen schlagen, das wärs doch.

Neue Menschen und Perspektiven kennenlernen. Immer an der frischen Luft. Lange Spaziergänge am Fluss, der sich gemächlich dahinschlängelt, oder auch mal wild ans Ufer schlägt, und es überflutet, wenn da noch Auen sind. Zurück zur Natur, in meine Kindheit, meine vagen Erinnerungen an meine ersten drei Jahre an der Elbe?

Oder auch nur ein einfacher Zirkuswagen mit einem Bollerofen für den Winter.

Ich muss an meinen Neffen Thomas denken, den ich schon Jahrzehnte wegen eines Familienstreits nicht gesehen habe. Was er wohl macht? Er hatte sich seinerzeit einen Zirkuswagen ausgebaut, eben mit so einem Bollerofen, und den Wagen wunderbar von Innen mit Holz ausgekleidet. Ein Bett, ein Tisch, einen Becher ein Teller, ob er ein Besteck hatte, weiß ich gar nicht, mit den Fingern essen kann auch ein Genuss sein. 

Genau so stelle ich mir den Weg nach links vor. Minimalistisch. In einem Tinyhouse, mit ganz wenig Klamotten, sich von vielem Trennen. Einfach wagen, diesen neuen Weg.

Autonom und nachhaltig leben, das war schon immer mein Traum. Was heißt hier Traum. Nachhaltig lebe ich schon seit über vierzig Jahren, kaufe Bio, regional und saisonal, habe kein Auto, obwohl ich Autos liebe, fahre aber nicht, obwohl ich einen Führerschein habe, spare Wasser, wo es geht, nur warm habe ich es gerne. Mein Vater hat sich nach dem Krieg Arbeit bei den Hamburger Gaswerken gesucht, nur damit wir es warm hatten. Essen war nicht so wichtig. Die Hungersnot war groß. Suche ich die Wärme, die Ruhe, und die Einfachheit, weil sie mir im jetzigen Leben fehlt? Die Kälte und Gefühllosigkeit mancher Menschen ist doch nicht mehr zu überbieten, zumindest den Alten gegenüber.

Lebe ich meinen Traum?

Oder gehe ich nach Rechts, verharre in der Ausweglosigkeit meines Daseins. 

In meinen vier Wänden auf der 2. Etage einer Mietskaserne in der Stadt, mit einem minimalistischen Balkon, auf dem fast nur eine Person sitzen kann.

Sitze fest mit einem Mann an der Seite, der zur Zeit leider nur auf dem Sofa sitzen kann, aber auch sonst nicht viel vom Leben erwartet?

Weiterhin fremd bestimmt sein, zusammen mit meinem Helfersyndrom? 

Mein Leben träumen? 

Was will ich mir beweisen? Noch einmal mutig sein? Auf eigenen Füßen stehen? Selbständig leben? In der Natur, die mir so viel zu bieten hat? 

Nicht mehr warten auf ein Zeichen von den Kindern, dem Enkelkind, Freunden, Bekannten, die nie oder fast nie Zeit für mich haben, oder sich kümmern.

Nein, das stimmt nicht, meine Tochter kümmert sich, meine Enkelin sehe ich auch dann und wann. Mit zwei Freundinnen telefoniere ich sehr oft. 

Loslassen lernen, dann könnte ich meinen Traum leben. 

Im Tinyhouse.

Das bräuchten die Kinder dann nur mit einem Trecker auf die Müllkippe zu ziehen, wenn ich nicht mehr lebe, das wäre schnell zu entsorgen, oder sie würden es als Spielehaus für die Kinder benutzen. Ja, das sollten sie tun.

( © Monika Zelle 17.08.2021 )

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