Am Bahnhof
Genug ist genug.
Am Pferdekopf in der Einöde mitten im Wald der Lüneburger Heide.
In einem schicken Kostüm und hochhackigen Pumps stöckelt Tante Gertrud den Waldweg entlang.
Sie hat sich stadtfein gemacht.
Eine Landpomeranze war sie noch nie.
Und ausgehalten hat sie es in der Heide auf ihrem Grundstück höchstens 14 Tage lang.
Sie muss wieder den Duft der großen weiten Welt riechen.
Stadtluft schnuppern, auf den Dom und ins Kino gehen.
Einkaufen in der Mönckebergstraße bei Karstadt.
Das ist ihre Welt.
Papa und ich begleiten sie auf dem Weg drei Kilometer durch den Wald nach Holm-Seppensen.
Hohe Kiefern säumen den Weg. Lichtdurchflutet fallen die Sonnenstrahlen wie kleine Sternschnuppen auf die drei hernieder.
Sie erreichen den kleinen um die Jahrhundertwende erbauten Bahnhof.
Ein Fachwerkhaus wie auf einer Miniatureisenbahnanlage.
In einer halben Stunde kommt der Triebwagen nach Buchholz.
Bei Lorenz, dem einzigen Feinkostladen im Dorf, kauft meine Tante frische Brötchen, Butter und Leberwurst.
Wir setzen uns auf die Bank an der Bahnstation.
Ein Messer hat Tante Gertrud immer dabei.
Sie schneidet die Brötchen auf, schmiert Butter und Leberwurst drauf, und reicht Papa und mir eines.
Es schmeckt köstlich an der frischen Waldluft.
Der Gedanke, dass meine Tante jetzt in die Stadt fährt, macht mich ganz nervös.
Bittend schaue ich Papa an:
„ Ich möchte mit nach Hamburg fahren!“, bettle ich.
„ Das muss ich erst mit Deiner Mutter besprechen!“, meint er.
„ Die sagt sowieso nein!“, wende ich ein“, und sehe jetzt schon ihren bösen Blick.
„ Lasse sie doch mitfahren, Bruno!“, sagt meine Tante zu ihrem Bruder,
ist doch nur eine Woche.
„ Monika hat doch gar keine Sachen dabei“, meint Papa.
„ Die kaufe ich ihr in Hamburg, kein Problem!“, sagt Tante Gertrud.
Papa schüttelt mit dem Kopf und sagt:“ Meinetwegen.“
Glücklich schaue ich ihn an, meinen Papa, gutmütig, verständnis-und liebevoll wie immer.
Der Bummelzug fährt ein.
An der Hand meiner Tante steige ich in den Zug, winke meinem Papa lachend zu, und denke an meine Mutter.
Was wird sie dazu sagen?
( © Monika Zelle 04.08.2020 )