Sonntagsspaziergang

Noch strecken die Geranienblüten auf meinem Balkon ihre Köpfe der Sonne entgegen.

Tagelang hatte sie sich hinter den Wolken versteckt.

Auch meine Astern blühen in voller Pracht, und das im November.

Am Morgen war es so neblig, dass man die Hand vor Augen nicht sehen konnte.

Dieser Tag lockt zu einem ausgiebigen Spaziergang in der vielleicht noch wärmenden Mittagssonne an.

Doch dieser Wunsch wird jäh durch einen Anruf meines Sohnes zerschlagen.

Der Bulli, ein VW-Bus Oldtimer soll ins Winterquartier zu Sagebiehl nach Neugengamme. Mit seinen zweckentfremdeten Gewächshäusern verdient der sich eine goldene Nase.

Ich koche Kaffee, und schaue dabei sehnsüchtig aus dem Küchenfenster in den blauen Himmel. 

Das Thermometer zeigt 3° an. 

In der Nacht waren also schon Minusgrade.

Schweinekalt im Vergleich zur letzten Woche, da waren noch 18° plus draußen.

Man konnte per Taille gehen. Dem Klimawandel sei Dank.

Jetzt wollen Vater und Sohn auch noch die Rollen meines Kleiderschranks austauschen.

Das kann dauern.

Doch dann ist es soweit. 

Die beiden verlassen das Haus.

Vielleicht erhasche ich doch noch ein paar Sonnenstrahlen.

Schnell Schuhe und Mantel an, Mütze auf, die Treppen runter.

Frische Luft.

Herrlich.

Ich höre das Rascheln des Laubes unter meinen Füßen.

Es ist noch nicht den Laubbläsern zum Opfer gefallen.

Diesen kreischenden Ungeheuern.

Nicht einmal Geld für Ohrenschützer und Mundschutz ist für die Arbeiterkolonne da. Vielleicht sehe ich auf dem Balkon des Seewetteramtes und Tropeninstituts noch den Sonnenuntergang.

Schnell die Straße hinunter über die Brücke, ein kurzer Blick zu den Obdachlosen, die ihr Nachtlager noch nicht gegen das Winterquartier eingetauscht haben. Es wird Zeit, die Nächte sind kalt.

Auf dem Rückweg werde ich sie fragen, ob sie warme Decken brauchen.

Die Sonne ist noch da. 

Zum Glück.

Spiegelt sich in den Fenstern der Elfie, die sie wie goldene Pfeile abblitzen lässt.

Ich warte.

Dann geht es rasend schnell.

Eben noch ein feuerroter Ball, schon haben plötzlich aufquellende Wolken die Sonne verschluckt.

Kaum ist sie verschwunden, wird es ungemütlich und kalt.

Trotzdem laufe ich den Venusberg hinunter.

Die Bäume haben noch nicht alle Blätter verloren.

Sie rascheln im Wind und wispern mir zu:“

„ Weißt Du noch, als Du mit den Schülern und Lehrern der Jan-Valkenburg-Schule demonstriert hast, um diesen kleinen Park zu retten?

Ich erinnere mich.

Natürlich.

Die Bäume würden hier nicht mehr stehen. 

Eigentumswohnungen sollten gebaut werden.

Uns die Bäume nehmen, die wir doch so dringend zum Atmen brauchen.

Ich denke an meinen Balkon, der bei jedem Besuch eines Kreuzfahrtschiffes im Hafen von Feinstaub bedeckt ist.

Ich atme tief ein, und denke an die Ozonschicht, die immer dünner wird.

Wie lange noch.

Mein Atem verlässt als Raureif meinen Mund.

Noch schnell über die Michelwiese.

Am Eismann vorbei, wo sich im Sommer die Touris tummeln, und das immer viel zu teure und kalte Eis essen.

Sehe ich da etwa kleine Eiskristalle auf dem Wasser des Planschbeckens?

Hätte vielleicht schon mal abgelassen werden müssen.

Die Luft riecht nach Schnee.

Ich schaue auf die Micheluhr.

17.30h.

Die Leute strömen in die Kirche zum 18h Gottesdienst. Vielleicht um sich dort nach einem ausgiebigen Sonntagsspaziergang aufzuwärmen?

Zu Hause angekommen, sehe ich gerade noch, wie mein Eichhörnchen mit einer Walnuss in den Pfoten von meinem Rosenkübel über den Sims zu meinem Nachbarn flieht.

Ach ja, es ist zwar schon fast dunkel, aber ich könnte noch die Tulpenzwiebeln in die Erde meiner Balkonkästen stecken.

( © Monika Zelle 12.11.2019 )

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