Schatzsuche

Der Weg schlängelt sich drei Kilometer vom Dorf durch den Bauernwald zum Grundstück.

Noch einmal will sie das Unmögliche versuchen, dass der Familie seit Jahren unter den Nägeln brennt.

Sie zieht die lang entbehrte würzige Luft tief in ihre Lungen.

Es hat aufgehört zu regnen.

Die Sonne drängt durch die Wolken, entzieht dem Boden die Feuchtigkeit.

Er dampft.

Riecht nach Moos.

Sie genießt jeden Schritt auf dem weichen Waldboden.

Wie oft ist sie in den 1960iger Jahren diesen unebenen Weg entlang geradelt, jede Baumwurzel im Blick, die sie zu Fall bringen könnte.

Jetzt erreicht sie die neu angepflanzte Schonung, die ihr einen weiten Blick zum Waldessaum erlaubt.

Eine Ricke mit ihrem Kitz äst in der Sonne, sie lässt das Kitz und die Umgebung nicht aus den Augen.

Ein Ast knackt unter ihren Füßen.

Blitzschnell verschwindet die Ricke mit dem Kitz im Unterholz.

Sie erreicht das Grundstück.

Mühelos lässt sich das Gartentor öffnen.

Sie schließt die Hütte auf, öffnet die Fenster, lässt die wärmende Sonne und die laue Luft in den Raum.

Nach einem Grundstücksplan ihres Vaters, schreitet sie jeden Meter des Areals ab.

Hier hat er die Stelle eingezeichnet, an der er und seine Brüder 1933 eine eiserne Kiste mit Büchern vergraben haben.

Sie tritt den Spaten in die Erde.

Schweiß rinnt von ihrer Stirn.

Ein Meter tief soll die Kiste vergraben sein.

Und da.

Der Spaten trifft auf etwas Hartes.

Verbissen schaufelt sie die Kiste frei.

Sie hat die Bücherkiste gefunden.

Ein Nachbar hilft ihr, die schwere Last aus dem Erdloch, einem ehemaligen Kühlfach, zu heben.

Mit einer Eisenstange hebeln sie das Schloss auf.

Der Nachbar lässt sie mit ihrem neu gewonnenen Schatz alleine.

Einen Augenblick verpustet sie sich auf der Holztreppe der Hütte und blinzelt in die Sonne.

Dann beäugt sie den Inhalt.

Die Bücher scheinen unbeschadet.

Sie riechen modrig.

Jedes einzelne Buch nimmt sie wie ein rohes Ei in die Hand, und streichelt den Einband.

„ Papa, ich hoffe, Du siehst von Oben, dass ich die Kiste gefunden habe, nach der ihr schon so oft gegraben habt.

Tucholsky, Kästner, Hesse, Brecht, und wie sie alle heißen.

Geschändete und Geächtete kehren in mein Bücherregal zurück, finden ihren Platz, und bleiben so der Nachwelt erhalten.

 

( © Monika Zelle 31.01.2010 )

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.