„Zwei kleine Italiener“
Der Zug ratterte vom Hauptbahnhof in Richtung Basel.
Ich war 18 Jahre alt, und hatte in meinem bisherigen Leben noch nie so hohe Berge gesehen.
Ich fand keine Ruhe im Schlafwagenabteil. Meine Freundin Luise schlief tief und fest.
Zum ersten Mal nach Italien. Das Land meiner Sehnsucht und meiner Träume.
Dort, wo die Zitronen blühen.
In Basel stiegen wir um in den Zug nach Genua. Vorbei am Lago Maggiore, dessen Schönheit mir fast den Atem raubte. Von Genua aus fuhren wir mit einem Bummelzug entlang der Blumenriviera über San Remo nach Bordighera. In dem Zug fuhren nicht nur Menschen, sondern auch Tiere aller Art mit. Hühner gackerten, Ziegen meckerten, und die Einheimischen palaverten alle durcheinander. So etwas hatte ich in Hamburg noch nie erlebt.
In Bordighera holte uns ein älterer Mann mit einem Tempo vom Bahnhof ab.
Luise, ich und unsere Koffer wurden auf die Pritsche verladen, als ein furchtbares Gewitter losging. Dicke fette Regentropfen prasselten auf uns herab.
Als wir völlig durchnässt in unserem Zimmer der Villa Giardini standen, ging plötzlich das Licht aus. Blitz und Donner erhellten es zwar etwas von Außen, unsere Angst konnte dieses Licht aber nicht bändigen. Wir liefen die Treppe hinunter zu dem Hausherrn, der dann schnell die Glühbirne auswechselte.
Am nächsten Morgen erkundeten wir bei strahlendem Sonnenschein und azurblauem Himmel unseren bunten Ort am Mittelmeer. Es war gerade Markt, dessen Stände unter den Früchten und dem Gemüse fast zusammenbrachen.
Düfte verschiedenster Kräuter berauschten unsere Sinne.
Luise und ich setzten uns auf eine Bank und schauten auf das Meer. Ich hatte auch noch nie so ein Meer gesehen, himmelblau, riesige Wellen, unter die die Italiener, elegant, wie Fische im Wasser hindurchtauchten.
Das wollte ich, als sichere Rettungsschwimmerin später auch machen.
Plötzlich setzten sich zwei Italiener zu uns auf die Bank, und verwickelten uns in ein Gespräch. Während wir uns mit Händen und Füßen verständigten, sagte der eine:
„ Ick weet, wo du herkummst, ut Hamborg!“ Verblüfft schauten wir ihn an. Woher konnte er Plattdeutsch sprechen?
Er erzählte uns dann, dass er 5 Jahre als Autoschlosser bei den Hamburger Gaswerken in unserer Heimatstadt gearbeitet hat, aber wegen seines Heimwehs wieder zu seiner Familie nach Italien zurückgekehrt sei. Eigentlich müsste er meinen Vater kennen, der auch zu dieser Zeit in dem Werk als Autoschlosser arbeitete. Zudem hieß er auch noch Bruno, wie mein Vater.
Ich fragte ihn dann:
„ Kennst Du eenen Bruno Klein?“
„ Jo, denn kenn ick, dat weer dotomol mien Lehrmeister!““
„ Dat is jo een Tofall!”, anter ick, datt is mien Vadder!”
dien Vadder?“ „ Ne, dat gift dat doch gunnich!“
Von nun an begleiteten uns Bruno und Luigi jeden Tag auf unseren Entdeckungstouren oder an den Strand. So einen Strand hatte ich auch noch nie gesehen, steinig, nicht sandig wie bei uns an der Nord-oder Ostsee….Mir gefiel dieser Strand.
Wie ich mir vorgenommen hatte, wollte ich nun auch unter den hohen Wellen hindurchtauchen. Doch ich hatte mich über- und die meterhohen Wellen unterschätzt.
Die blaue Fahne, die hier als Warnflagge galt, hatte ich übersehen.
Eine riesige Welle türmte sich vor mir auf, schleuderte mich herum, ich schlug mit dem Kopf auf die Steine, und wurde von dem Sog ins Meer gezogen.
Das ist jetzt mein Ende, dachte ich nur noch, als mich vier starke Arme packten, und aus dem tobenden Meer zogen. Es waren Bruno und Luigi, die mir gerade das Leben retteten,
mich zu einer Krankenstation brachten, wo meine Kopfplatzwunde genäht wurde. Der schöne italienische Arzt musste ein paar meiner langen Haare entfernen, aber das verzieh ich ihm sofort. Am nächsten Tag verabschiedeten wir uns unter Tränen von unseren beiden Italienern, und fuhren über Genua wieder zurück in unsere schöne Stadt Hamburg.
Als meine Eltern mich am Hauptbahnhof abholten, erschraken sie zuerst über die kahle Stelle an meinem Kopf.
Mein Vater nahm mich in seine Arme und sagte nur: „ Na mien Deern, dor büst Du jo wedder, un heßt di ok noch een Andenken ut Italien mitbrocht!“
Als ich ihm von Bruno, erzählte, erinnerte er sich sofort, und bedauerte sehr, das der Italiener es nicht in Deutschland und bei ihm in der Werkstatt ausgehalten hatte.
Mein Leben hat von nun an keine hohe Welle mehr geschlagen.
In Italien bin ich nur noch zwei Mal gewesen. Doch meine Sehnsucht in das Land, wo die Zitronen blühen, stirbt zuletzt.
( © Monika Zelle 08.10.2024 )