Tante Nelli

Tante Nelli

Wir sitzen in der 3. Etage einer Mietskaserne in der Wohnküche und essen Birnen, Bohnen und Speck. 

Wir, dass ist meine Freundin Miriam, ihr Vater, ihre Mutter, Tante Annie und ich.

Tante Anni Jacobsen ist Jüdin.  Miriams Vater hat sie und ihre beiden Söhne vor den Chergen Hitlers gerettet. Der Mann von Tante Anni wurde bei einem Bombenangriff in Hamburg verschüttet. Ihr Sohn Rolf war Briefträger, und trank jeden Tag bei der Familie meiner Freundin Kaffee. Ihr Sohn Helmuth lebte in Bonn und handelte mit gebrauchten Maschinen, die er an England verkaufte. 

1946 war die Mutter meiner Freundin mit ihrem Sohn 8 Wochen in Bonn bei Helmuth Jacobsen. Danach ist Miriam entstanden.

Tante Annie wollte meiner Freundin und mir Tischmanieren bei  sprechen, dass ließ Miriams Vater sich allerdings nicht verbieten, und die Mutter auch nicht.

Uns war es viel wichtiger, in Miriams Zimmer mit unseren Puppen Kinderkriegen zu spielen.

Wir stopften uns die Puppen unter den Pullover,  pressten sie von dort wieder heraus, und ahmten filmreif Babystimmen nach.

Noch viel lieber spielten wir draußen Kibbel Kabbel, Marmeln oder Messerstech, machten Klingelstreiche bei den Nachbarn, und legten vorher Stapel von Fußmatten vor die Tür des verhassten Herrn Brahmer.

Während wir aßen, schaute Miriams Mutter mit ihren eiskalten blauen Augen streng auf uns.

Wie aus dem Struwwelpeter „ Der Zappelphilipp“ :

„ Und die Mutter blicket stumm auf dem ganzen Tisch herum“.

„ Benehme Dich zu Hause, als seiest Du bei Fremden, dann kannst Du Dich bei Fremden benehmen, als seist Du zu Hause!“, war ihr täglicher Slogan, erzählte mir Miriam.

Meine Freundin stieß immer vor Schreck das Trinkglas um.

Ihr Vater zwinkerte uns dann mit seinem warmen Lächeln zu.

Manchmal besuchte meine Freundin und ihre Mutter Tante Anni im Mechelnbusch in Rissen.

Es gab immer Steak und Salat.

Miriam besuchte viel lieber ihre Tante Luise im Tinsdaler Heideweg.

Dort durften sie und ihr Cousin Herbert mit dem Sofa Eisenbahn spielen.

Es gab bei Tante Luise sogar eine Schaukel und ein Klettergerüst in der Wohnung.

Manchmal durfte ich mit zu Tante Luise.

Als die Mutter meiner Freundin mal 6 Wochen im Krankhaus war,  verbrachte meine Freundin die ganze Zeit bei ihrer Tante Luise und Onkel Ralf. Paradiesische Zeiten, obwohl es einen Nachbarsjungen gab, der meine Freundin oft verprügelte. Roland Felgentreff. Seine Eltern führten einen Gemischtwarenladen.

Miriams Onkel Ralf nahm Roland dann in den Schwitzkasten.

Der Onkel behauptete immer, dass meine Freundin eine schöne Kopfform hat.

Mit ihrem Cousin lief Miriam oft durch die Rissener Heide zum Elbanleger.

Als Miriams Eltern sie wieder abholen wollten, versteckte sie sich bei Tante Nelli auf dem Dachboden unter dem Sofa. Tante Nelli, die aussah wie eine Hexe mit einem Buckel, die ihr und dem Cousin immer Geschichten erzählte,  war  den Kindern unheimlich.

Sie verriet Miriam aber nicht.

Tante Nelli, die hinter einer Bretterwand auf dem Sofa thronte, wo Miriam niemand entdeckte. 

Tante Luise versorgte Tante Nelli mit Essen…..  

( © Monika Zelle 30. 10.2024 )

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