Schwimmen

Schwimmen.

Jeden Tag.

Nach der Arbeit.

Zuerst fährt sie mit dem Bus.

Dann mit der Hochbahn bis Kellinghusenstraße.

Umziehen.

Duschen.

Eiskalt.

Das kühle Nass.

Streichelt ihre Haut.

Sie schaut in die Wolken.

Denkt an ihren Papa.

Schwimmt, schwimmt, schwimmt.

Sich frei frei frei.

Frei sein.

Von düsteren Gedanken.

Sie hält inne.

Am Beckenrand.

Was ist das.

Plötzlich sieht sie ihren Papa.

Am Beckenrand.

Gegenüber.

Er winkt.

Sie schwimmen aufeinander zu.

Kommen sich näher.

Und näher.

Doch dann.

Nur noch ein Schatten.

Und.

Aus.

Sie taucht.

Tief.

Nichts.

Im Wellenbad.

Wellen tragen sie.

Hinauf.

Hinab.

Da!

Papa.

Er lacht.

Winkt.

Wellen tragen ihn.

Zu ihr hin.

Zum Greifen nah.

Doch dann.

Nichts.

Wieder taucht sie ab.

Sieht nur noch einen Schatten.

Papa!

( © Monika Zelle 13.03.2024 )

Das Haus in der Heide

Das Haus in der Heide

„ Willst du mal den Hamburger Michel sehn?“, fragte meine Bruder, und hob mich an meinen Jadekissen mit beiden Händen hoch. Es tat weh, ich dachte, er renkt mir den Hals aus.

Zusammen mit Kalle Schnoor kajolte er mit seinem Moped durch die Straßen von Barmbek.

Einmal durfte ich auf seinem Motorrad mit ihm um den Block fahren. 

In einer Sylvesternacht wurde mein Bruder mit eine Alkoholvergiftung nach Hause gebracht.

Ich war vier Jahre alt, und bangte die ganze Nacht um ihn. 

Mein Bruder, ein Kriegskind, geboren 1935. Bombennächte bestimmten seine Kindheit.

Er schwängerte Erika.

Aus der Traum vom Aufstieg des Autoschlossers zum Autoverkäufer bei Opel Lausse.

Sie zogen bei uns ein.

Die Wochenenden verbrachten meine Eltern und ich auf dem Land meiner Tante Gertrud in der Heide.

Mein Bruder bekam das Land geschenkt. 

Meine Eltern kauften das Land von Onkel Werner.

Mein Bruder wohnte inzwischen mit seiner Familie in der Göhrde.

Eines Tages fuhr er in der Heide mit einem Porsche vor. Wie stolz war ich, mit meinem Bruder eine Spritztour durch den Hamburger Hafen machen zu dürfen. 

Manchmal kam er in Barmbek mit seinem Milchlaster vorbei.

200 g Krabben holte ich bei Fische Loop, und bekam keine einzige davon ab. 

Wir hegten und pflegten sein Land.

Er kam nur auf Stippvisite.

Wenn mein Bruder mit seinem Milchlaster über den Trelder Berg fuhr, wanderten wir schnell hin, um ihn zu treffen, um ihm von unserer Mutter belegte Brötchen zu bringen.

Die Jahre vergingen.

Inzwischen verbrachte ich mit meiner Familie die Wochenenden auf dem Heideland in unserem Heidehaus.

Dann baute mein Bruder für sich und seine Familie ein eigenes kleines Heidehaus auf das Grundstück.

Wir weinten vor Freude.

Die Hoffnung, ihn nun öfter auf seinem Land zu sehen, war groß. 

1972 starb unser Vater. Wie oft hatte er meinen Bruder ermahnt, was das Heidegrundstück betraf:“ Denke an Deine Schwester!“

Wie oft habe ich mit meinem Bruder darüber gesprochen, mir Land zu überschreiben, oder doch meinen Niesbrauch, von ihm handschriftlich verfasst, im Grundbuch zu verankern.

Als wir einmal am Telefon darüber sprachen, sagte er nur:“ Da kannst Du Dir eigentlich nur den Arsch mit abwischen!“ 

Telefonierten wir sonst oft und lange, hatte wir dieselben politischen Ansichten.

Er erzählte mir von dem Belagerungszustand durch die Atommülltransporte nach Gorleben, direkt an seinem Grundstück vorbei, das an der betroffenen Bahnlinie lag. Hubschrauber Tag und Nacht. Das ist wie im Krieg, sagte er immer….

Als unsere Mutter ein Pflegefall wurde, betreute ich sie in Hamburg.

Mein Bruder und seine Frau kamen nur zu ihrem Geburtstag und zum Muttertag zu Besuch.

Sie beschwerten sich dann, dass die Wohnung unserer Mutter nicht sauber genug wäre, und das Grab unseres Vaters verwildert sei.

Dann starb unsere Mutter. 

Mein Mann und ich verbrachten wieder mehr Zeit auf dem Heideland, waren aber auch unterwegs mit unserem Bulli in der Weltgeschichte, was meinem Bruder missfiel.  Als unser Sohn mit seiner Freundin ein Wochenende in unserem Heidehaus verbrachte, rief er uns an und sagte, da wären Einbrecher in unserem und seinem Haus….

So mit der Zeit vergraulte man uns von dem Land. Eines Tages räumten wir mit unseren Kindern und Schwiegerkindern das Heidehaus aus, und somit das Feld. 

Als wir später einmal im Cafe Schafstall im Büsenbachtal zum Mittagessen waren, unternahmen mein Mann und ich eine kleine Wanderung zu dem Heideland. Die Gartenpforte war mit Ketten und Schlössern gesichert. Auf dem Schild an der einen Pforte stand der Name „ Speck“. Auf der anderen Pforte noch mein Mädchenname „ Klein“. Fassungslos standen wir da…. Ein Anwalt wurde konsultiert. Mein Niesbrauch war ja nicht im Grundbuch eingetragen…..

Mein Bruder hatte das Land, und unser Heidehaus einfach verkauft, ohne uns davon in Kenntnis zu setzen.

Als ich ihn in einem Brief um eine Erklärung bat, ließ er mir durch seinen Rechtsanwalt verbieten, ihm zu schreiben. 

Ich habe meinen Bruder nie wieder gesehen. Ich weiß nicht mal, ob er noch lebt. Er wäre jetzt 88 Jahre alt……..

Ganz selten verirren wir uns noch mal zum Land. Meine Sehnsucht ist einfach zu groß.

Die Natur hat es sich zurückgeholt.  

( © Monika Zelle 06.03.2024 )

Nur Steine leben lang

Nur Steine leben lang

Männern wird die Eigenschaft Jäger und Sammler zugesprochen.

Ich bin Jägerin und Sammlerin von Büchern und Schreibgeräten, und vieler anderer Dinge.

Lesen und Schreiben ist von Kindheit an mein Lebenselixier.

Meine Regale ächzen unter dem Gewicht der Bücher, meine Schreibgeräte drängeln sich in zahlreichen Bechern….und immer kommen noch neue hinzu. Trage ich Taschen von Büchern zu Jack un Büx, denke, ich hätte mich befreit, und eine Erinnerung an sie sei nicht möglich, erinnere ich mich doch an jedes einzelne von ihnen, ihres Titels und ihre Handlung.

Dann kommt auch die Erinnerung an die Bücher in der Heide von Heinrich Heine, Erich Kästner, Bertholt  Brecht, Wolfgang Borchert und viele andere, die dort von meinen Eltern vor den Nazis  vergraben wurden, um sie vor der Verbrennung zu retten. Wir fanden sie nie wieder.

Ein ganzes Regal ist gefüllt mit Kinderbüchern.

Es könnte sich ja mal ein Kind bei mir verirren. Ein Nachbarskind hat schon den Weg zu mir gefunden. Nori. Ich lese ihr dann aus den Kinderbüchern meiner Enkelin vor. 

Meine zweite Leidenschaft sind Fotos. Augenblicksmomente längst vergangener Zeiten. 

Oder Seifen aus vielen Ländern dieser Welt. Alle meine Kinder bringen mir Seifen oder Geschirrtücher von ihren Reisen mit. Auch Steine von den Stränden der Meere.

Steine mit Loch von dänischen Stränden, aufgereiht auf ein Band an der Brüstung meines Balkons.

Riesige Kiefernzapfen von der Ile de Oleron, von einem der vielen Frankreichurlaube.

Nun hat mein Sohn seine große Liebe gefunden. Anaïs, eine Französin, die mir auch Seife aus Frankreich schenkte. Lavendelseife, meine Lieblingsseife.

Der Sekretär meiner Mutter aus Mahagoniholz, mit Liebesbriefen aus Paris von Marcel. Marcel war von den Nazis interniert in Trebbin, einem kleinen Ort südlich von Berlin.

Die große Liebe meiner Mutter.

„ Du bist so eine saubere Frau“, schrieb er in einem Brief in perfektem Deutsch. Auch meine Mutter liebte Seife.

Da ist ja noch der Bulli, ein Oldtimer Baujahr 1977, liebevoll restauriert von meinem Sohn, schnurrt er immer noch durch die Welt. Sein Herz hört noch nicht auf zu schlagen, genau wie meines. 

Dias der Urlaube in Frankreich mit dem Bulli. Vergilbt bis zur Unkenntlichkeit

Das Teeservice von Tante Luise. Wie lange habe ich nicht aus diesen braunen, schicken Tassen getrunken. Tante Luise, eine meiner Bestmütter, die mir zeigte, dass Kinder auch ohne Schläge groß werden.

Das Essservice von Tante Erna mit englischen Motiven. Nie esse ich von den Tellern, außer es kommt Besuch, der im Alter immer seltener wird.

Tante Erna, auch eine meiner Bestmütter, von der ich immer dachte, sie wäre meine Mutter.

Eine meiner Freundinnen aus der Gruppe im Michel Treff besuchte mich am letzten Sonntag.

Sie konnte sich nicht sattsehen an den vielen von mir gesammelten Gegenständen. Auch die vielen Bilder an den Wänden ließen sie nicht los.

Hier ist es wie in einem Museum, sagte sie.

Na ja, wir gehören ja auch schon fast ins Museum, antwortete ich.

Nur Kleider, von denen trenne ich mich leicht, damit wieder neue meinen Kleiderschrank schmücken.

( © Monika Zelle  27. 02.2024 )