Love me tender
Es war endlich soweit. Heute wollte Dieter mich in der Heide besuchen.
Beschwingt fuhr ich mit meinem roten Fahrrad den Heideweg hinunter. Jedes, mir wie im Schlaf bekannte Schlagloch umfahrend, kam ich vergnügt am Bahnhof an.
Mein geliebter Bahnhof Holm-Seppensen.
Ich schaute auf die Bahnhofsuhr. Ach, da hatte ich ja noch eine Menge Zeit, bis der Triebwagen ankommen sollte.
Ich dachte an Tante Gertrud. Wenn mein Cousin und ich mit ihr nach Hamburg fuhren, kaufte sie beim Kolonialwarenhändler Lorenz Brötchen, Butter und Leberwurst. Sie hatte immer ein kleines silbernes Messer dabei. Während wir auf den Triebwagen nach Buchholz warteten, verzehrten wir genüsslich die frischen Leberwurstbrötchen und waren selig. Während ich so sinnierte, erklang das laute Horn des Schrankenwärters. Jetzt müsste der kleine Zug gleich da sein. Laut hupend passierte er den Bahnübergang. Aufgeregt sprang ich von einem Bein auf das andere. Als die rot-gelbe Bahn, mit nur einer Handvoll Fahrgästen darin, endlich anhielt, sprang Dieter hinaus auf den Bahnsteig. Seine Elvistolle machte einen Hüpfer. Eine Tasche über die eine Schulter, und seine Gitarre über die andere gehängt stand er da. Ich lief auf ihn zu. Ein bisschen ungelenk umarmten wir uns.
Mein Fahrrad auf der einen Seite und Dieter auf der anderen, liefen wir zurück zu dem Heidegrundstück meiner Eltern. Die Sonne strahlte vom Himmel, wir strahlten uns an.
Der Heideweg schlängelte sich 3 Kilometer durch den Wald. Dieter schob mein Fahrrad, an die er seine Tasche gehängt hatte. Ich trug seine Gitarre.
Meine Eltern standen schon vor dem Tor des Grundstücks, und begrüßten Dieter herzlich.
Die Kaffeetafel war gedeckt. Wir wollten aber lieber gleich einen Spaziergang zum Katzenberg machen. Meine Mutter schaute verschnupft. Mein Vater sagte:“ Der Kuchen kann warten!“
Der Katzenberg auch. Wir suchten uns ein verstecktes Plätzchen mitten im Wald, und sanken ins weiche Zittergras. Zärtlich nahm Dieter mich in den Arm und küsste mich lange. Dann nahm er seine Gitarre, und spielt „ Love me tender“, nur für mich. „ Ich liebe Dich“ flüsterte er mir ins Ohr, und streichelte mir übers Haar.
„ Ich Dich auch!“, hauchte ich. Dort lagen wir nun Arm in Arm, zwei blutjunge Menschen, einmal zusammen zu Zweit. Plötzlich hörten wir ein Knacken. Ein Reh trat aus dem Schatten eines Busches, sah uns mit seinen großen braunen Augen an, und schon war es wieder im Dickicht verschwunden.
„ Wie Deine Augen!“, flüsterte Dieter, „die schönsten Augen, die ich kenne.“
Die Sonne hatte sich inzwischen hinter dunklen Wolken versteckt. Die Luft war schwül und warm. Dann goss es in Strömen. Wir bemerkten es kaum. Vorsichtig suchten sich die Sonnenstrahlen erneut einen Weg durch den Blätterwald. Es mussten Stunden vergangen sein, bis wir am Kaffeetisch saßen, ziemlich durchnässt, aber glücklich.
Nun stand ich hier vor dem Heidegrundstück, schaute über den Zaun, und dachte an Dieter.
Wie wäre es wohl gewesen, wenn wir uns hier ein Häuschen gebaut hätten. In der Ferne Kinderlachen. Ich sah hinauf in die Kiefern, die sich leise dem Wind beugten. Ich hörte ein Knacken.
Ein Reh trat auf die Lichtung, schaute mich mit seinen großen braunen Augen an, und verschwand wieder im Dickicht. Die Blätter säuselten im Wind. Sie flüsterten:“ Wie Deine Augen, die schönsten Augen, die ich kenne.
Ich warf noch einen Blick zurück, wanderte langsam und vorsichtig, jedes mir bekannte Schlagloch umgehend, den Heideweg hinunter ins Dorf zu dem kleinen Bahnhof, der wie eh und je dastand, und auf seine Fahrgäste wartete.
Lorenz gibt es immer noch, als Supermarkt.
Ich kaufte mir ein Brötchen, etwas Butter und Leberwurst.
Während ich auf den jetzt rot-grauen Triebwagen wartete, verzehrte ich es, und dachte
an Tante Gertrud.
( © Monika Zelle 20.02.2024 )