Braune Augen

Braune Augen

Ich muss so ungefähr 10 Jahre alt gewesen sein, und glaubte fest daran, nicht das Kind meiner Eltern zu sein. Ich fand, dass ich vielmehr meiner Tante ähnelte, die mich immer so liebevoll ansah. Meine Augen waren genauso groß und braun wie ihre, nur eine Nuance heller.

Auch mein Cousin Herbert hatte diese Augen. Wenn er mich ansah, dachte ich, ich schaue in einen Spiegel. Die Augen meiner Mutter waren tiefblau. Sie schaute eisig, wenn ich sie mit meinen Gedanken löcherte. Sie konnte einfach nicht meine Mutter sein. Eine Mutter, die ihr Kind liebt, schlägt es doch nicht jeden Tag. Wer seine Kinder liebt, der züchtigt sie, kam ihr bei jeder passenden Gelegenheit über die Lippen. Ein Spruch aus der Nazizeit. Die Augen meines Vaters lächelten grün braun, und immer gütig. Wenn er mich ansah, wurde mir warm ums Herz. Nur meine Beine ähnelten denen meines Vaters sehr. Auch der Leberfleck im Nacken. 

Mein Cousin Herbert war ein halbes Jahr älter als ich. Es konnte doch sein, dass wir am gleichen Tag geboren wurden. Mein Vater war eine Corifee im Pässe fälschen. Hatte er doch jüdischen Freunden im Krieg dazu verholfen nur Vierteljuden zu sein. Warum sollte er die Geburtsurkunde meines Cousins nicht gefälscht haben. 

Tante Erna war meine Mutter, das stand fest. Mein Vater und meine Tante mochten sich, das konnte jeder sehn.

Ich fieberte den Samstagen entgegen. Da besuchte mein Onkel Judel, uns immer.

Auf dem Wochenmarkt in Wandsbek kaufte er Fisch, den meine Mutter zubereitete.

Ich freute mich auf meine Tante und meinen Cousin. Das gemeinsame Mittagessen war für mich das Größte. 

Eines Tages stand ich mit gepacktem Koffer im Flur. Verständnislos schaute meine Mutter mich an. Dann holte sie den Holzlöffel aus der Küchenschublade und schlug mich windelweich. So mancher Kochlöffel in der Hand meiner Mutter ist meinem Rücken zum Opfer gefallen. An den Haaren zog sie mich in mein kleines Zimmer. Ich heulte, bis mein Vater von der Arbeit nach Hause kam. Wortlos packte er meine Schwimmsachen ein, und wir gingen zu Fuß zum Bartholomäusbad. Zusammen mit 5 Nachbarskindern.

Meine Gedanken kreisten ständig darum, das Kind meiner Tante zu sein, ich wurde immer trauriger.  Mit meinem geliebten Vater mochte ich nicht darüber sprechen, dass würde ihn vielleicht enttäuschen und traurig machen. Er war ja mein Vater, 

Mein Koffer blieb gepackt. Und eines Tages schaffte ich es, mit ihm unsere Wohnung zu verlassen. Ich lief zu Fuß in die Snitgerreihe nach Horn. Als meine Tante die Tür öffnete und mich sah, fiel sie aus allen Wolken. Liebevoll nahm sie mich in den Arm. Dann kochte sie für mich und meine Cousin Kakao. Später kam mein Vater dazu. Als er von meinen Gedanken hörte, erlaubte er mir, bei meiner Tante zu übernachten. Ich war selig. Wollte nicht wieder nach Hause. Auf gar keinen Fall. Die Wohnung meiner Tante war beengt. Bleiben konnte ich auf Dauer nicht. Ich musste zurück in die Höhle der Löwin. Ich hatte ja die Samstage gemeinsam mit Onkel, Tante und Cousin. 

Dann geschah ein Wunder. Der Familienrat wurde einberufen. Meine Eltern beschlossen, zusammen mit der Familie meines Onkels in eine große Wohnung in Barmbek umzuziehen.

Die war günstiger als die beiden kleinen Wohnungen. Ich traute meine Ohren nicht. Was für ein Glücksfall. Endlich hatte ich meine wahre Mutter und meinen Zwillingsbruder immer bei mir. Ich weinte vor Glück. Die stahlblauen Augen meiner Mutter sprühten Feuer.

Von nun an beschütze mich meine angebliche Mutter. 

Mein Cousin wusste von meinen Gedanken nichts. 

Im Laufe der Jahre verliebte er sich unsterblich in mich, und wollte mich heiraten.

Auch ich hatte tiefe Gefühle für ihn. Ich konnte doch nicht meinen Zwillingsbruder heiraten.

Dann geschah wieder ein Wunder. Meine Tante gestand uns, dass Herbert nicht das Kind meines Onkels war,  auch nicht der Sohn meines Vaters. Ich aber auf gar keinen Fall ihre Tochter.

Meine Illusion zerplatzte wie eine Seifenblase. Dafür konnte ich von nun an immer in einen Spiegel schauen. Herbert und ich lebten unsere Liebe.

Tante Erna war und blieb immer meine Bestmutter. 

( © Monika Zelle 14.11.2023 )

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