Steckrüben

Steckrüben

Elena Sukowa saß auf ihrem Sofa. Es ist still um sie geworden.

Die Kaffeemaschine blubberte leise vor sich hin. Sie wartete auf ihren Morgenkaffee, den sie auf dem Balkon zu sich nahm, egal wie kalt oder warm es draußen war.

Seit Tagen wurde es nicht mehr richtig hell. Wann wird sich die Sonne einmal wieder sehen lassen. Ihre geliebte Sonne. Sie dachte an die Ferientage mit Kind, Kegel und Bulli in Südfrankreich. Bis spät in die Nacht saßen sie vor ihrem Zelt, genossen Wein, Gesang und gute Gespräche mit den Nachbarn auf dem Campingplatz.

Sie holte ihren Kaffeebecher, den Kaffee mit reichlich Milch ohne Muh, und setzte sich auf ihren Balkon. Er dampfte köstlich. Sie schlürfte ihn in kleinen Zügen, Genuss pur. 

Dunkle Wolken zogen vorbei. Hoffentlich würde es nicht regnen.

Denn dann könnte es glatt draußen werden. In der Nacht herrschten schon Minusgrade.

Dann müsste sie die Spikes über ihre Stiefel ziehen, was ihr zunehmend schwer viel.

Heute wollte sie sich Brot besorgen. Vielleicht würde es auch einen Tag ohne Brot gehen. Im Krieg gab es monatelang kein Brot, oder Maisbrot und Steckrüben bis zum Abwinken. Die Hungersnöte in Hamburg und all den anderen zerbombten Städten waren groß nach dem 2. Weltkrieg.

Sie dachte an ihre Eltern. Ihre Mutter aß leidenschaftlich gern Steckrüben mit Schweinebauch. Doch ihr Papa sagte immer:“ Steckrüben kommen mir nicht mehr ins Haus, dann werfe ich den Topf aus dem Fenster. 

Sie musste innerlich lächeln, denn fortan aß sie, aus Solidarität zu ihrem Papa, auch keine Steckrüben. Bis heute hat sie so ein Essen nicht angerührt. Allein der Geruch, dachte sie.

Wenn ihr Vater gewerkschaftlich unterwegs war, brachte Tante Charlotte manchmal ein Glas mit Steckrüben und Schweinebauch zu ihrer Mutter, die dann noch tagelang davon schwelgte. Wenn ihr Papa dann nach Hause kam, roch er es natürlich, aber den Topf konnte er nicht mehr aus dem Fenster werfen, weil er ja längst leer gegessen war. 

Ja, ihr Papa und Tante Charlotte, sie waren ja schon ein halbes Jahrhundert tot.

Ihre Mutter hat ihren Papa um 30 Jahre überlebt. Wo war nur die Zeit geblieben. 

Jetzt waren von ihrer Familie nur noch die Kinder und ein einziges Enkelkind übrig.

Ihre Enkeltochter sieht sie auch nur selten. Schule und andere Aktivitäten nehmen das Kind ständig in Beschlag. Ja, ich bin ziemlich einsam, dachte sie.

Der Kaffeebecher war inzwischen leer. Sie erhob sich, und schaute über die Balkonbrüstung. Geranien im Dezember. Auch aus ihren Balkonkästen lugten noch vereinzelt Geranienblüten durch die Adventstanne. 

Die Müllmänner schoben die Ascheimerwagen zum Müllauto, die mit lautem Getöse entleer wurden. 

Weihnachten ist nicht mehr weit.

Sie geht nur wegen ihrer Tochter und ihrer Enkelin dort hin. Für Geschenke wird sich ohnehin meistens nicht bedankt.

Oh, das Telefon klingelt.

„ Oma, können wir Lena und Sarah zusammen spielen?, ich gehe heute nicht in die Schule, weil ich eine Bronchitis habe!“

Im Hintergrund sagt ihr Schwiegersohn etwas zu ihrer Enkelin.

Kein Gruß, kein wie geht es Dir, obwohl die Telefone auf „ Laut „ gestellt sind.

Sie sagt:“ Hallo Igor!“

Keine Antwort. 

( © Monika Zelle 06.12.2022 )

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