Martha Koch

Martha Koch

Martha Koch war seit nunmehr 30 Jahren eine fleißige und zuverlässige Stenographin  bei Gericht.

Meistens stenografierte sie in der Abteilung für sehbehinderte Menschen.

Sie wurde von der jungen Richterin Mertens hoch geschätzt.

Wenn ihre Arbeit in den Verhandlungen beendet war, setzte Martha sich an ihre Schreibmaschine, tippte den stenografierten Text ab, und sortierte ihn zu den Akten.

Da die Menschen, die zu ihr kamen, wie schon erwähnt, sehbehindert waren, hatte sie auch die Aufgabe, sie vorher zu betreuen, das hieß, sie in den Warteraum zu führen, und danach auch in den Gerichtssaal. 

Martha Koch erledigte auch diese Aufgabe sehr umsichtig, zuverlässig und immer freundlich. 

Als sie eines Morgens aufwachte, verspürte sie einen stechenden Schmerz in ihrem Nacken. Sie konnte ihren Kopf weder nach rechts noch nach links bewegen.

Zu Gericht konnte sie nicht gehen, was ihr im wahrsten Sinnen des Wortes, schwere Kopfschmerzen bereitete. In ihrer gesamten Dienstzeit war sie fast nie krank.

Mühsam schleppte sie sich aus dem Bett zum Telefon, und rief im Büro an.

Noch mühsamer zog sie sich an, und rief ein Taxi.

Ihr Hausarzt überwies Martha zu einem befreundeten Orthopäden, der ein schweres HWS Syndrom diagnostizierte.

Es dauerte ein halbes Jahr, bis sie nach einer OP soweit wieder hergestellt war.

Richterin Mertens rief Martha zu einem Gespräch.

Es täte ihr sehr leid, sagte die Richterin, aber nach so langer Zeit musste sie sich nach einer anderen Stenografin umsehen, und wohl in Zukunft auf ihre Dienste verzichten. 

Martha fiel aus allen Wolken. Man wollte sie also loswerden. Ging das überhaupt?

Verstört setzte sie sich an ihren Schreibtisch und überlegte.

Sollte sie einmal bei ihrem Personalrat anrufen? 

Einige von ihren Sehbehinderten schauten kurz bei ihr rein, und freuten sich, dass sie wieder da war…..

Unverrichteter Dinge verließ sie abends das Gerichtsgebäude, und lief ziellos durch die Straßen.

Nach ein paar Tagen meldete sie sich wieder krank. Sie blieb den ganzen Tag im Bett,

Nur um die Post in ihrem Briefkasten kümmerte sie sich noch.

Eines Tages erhielt Martha das Kündigungsschreiben. 

Mit letzter Kraft ging sie zu der Richterin Mertens und flehte sie weinend an, sie doch weiter zu beschäftigen. Die wollte sich etwas überlegen. 

Wieder wartete Martha tagelang untätig in ihrem Büro. 

Der straffällig gewordene sehbehinderte Reeder Nikolai Kramer sprach sie an, warum sie nicht mehr stenographierte. Martha ging mit ihm in einen Nebenraum.

Der Mann bot ihr an, bei ihm als Büroleiterin zu arbeiten.

Ihr Herz tat einen Freudensprung. 

Martha war selig. Tagelang malte sie sich aus, wie es wohl wäre, nicht mehr in den verstaubten Gerichtsräumen sitzen zu müssen, sondern in den hellen freundlichen Büroräumen des Reeders, mit Blick auf den Hafen, wo sie sich in die weite Welt träumen konnte…….

Doch dann rief die Richterin Martha zu sich und  sagte, sie könne in der Dienststelle und bei ihr zu Hause als Reinigungsfachkraft arbeiten………..

( © Monika Zelle 08.11.2022 )

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