Kamingespräche

Hannah Jacobsen saß in einem gemütlichen Sessel eines dänischen Ferienhauses und schaute in die lodernden Flammen des Feuers im Kamin, das sie selbst entfacht hatte. 

Heute mit Zippanzünder und Anzündhölzern. Früher wurden trockene Tannenzapfen in Zeitungspapier eingewickelt und angezündet, oder Reisig. Aber wer sammelt heute noch Tannenzapfen oder Reisig, denkt Hannah. Ja früher, da war die Welt noch in Ordnung. 

Hannah liebte es, ins Feuer zu schauen, ihren Gedanken freien Lauf zu lassen.

Die züngelnden Flammen tanzten hin und her, die Farben wechselten von weiß zu gelb auf rot. Eine wohlige Wärme breitete sich aus. Ihr Mann lag auf dem Sofa und schlief. Die Fahrt hierher war wohl doch zu anstrengend für ihn, denkt sie. Er ist ja auch nicht mehr der Jüngste. Draußen pfiff der Wind ums Haus. In der Ferne ein Donnergrollen. Sie dachte an zu Hause. War es richtig gewesen, nach Dänemark zu fahren? Weit weg von ihrer Familie? Wo Onkel Putin doch gerade die Ukraine angegriffen hat?

Zu Hause hatte sie einen kleinen Koffer und einen Rucksack mit dem Nötigsten gepackt. 

Obwohl, dachte sie, würde das überhaupt etwas nützen, wenn die Öffentlichkeit schon über einen Atomkrieg nachdachte, über die auch Onkel Putin räsonierte?

Sie hatte Angst vor einem Krieg. Können die nicht mal aufhören mit dem Säbelrasseln.

Schon schlimm genug, dass wieder Krieg in Europa ist. Hannah steht auf und geht in die Küche. Schenkt sich ein Glas Wasser ein.

Sie denkt an ihre Eltern, und an die Bombennächte, die sie in finsteren Kellern verbracht haben. Drei mal sind sie im 2. Weltkrieg ausgebombt. Einen Lastenausgleich gab es nur für die Großgrundbesitzer bei den Flüchtlingen. Und nun, nach über 70 Jahren Frieden, ging der ganze Schlamassel wieder von vorne los. 

Alles Kriegstreiber, murmelte Hannah vor sich hin. Diese ganzen Schmierenkomödianten, Sensationsjournalisten. Jeden Tag berichteten sie einseitig in den Medien über diesen unsäglichen Krieg. Da muss einem ja Angst und Bange werden. Und dann noch Corona.

Dieses verfluchte Virus wird die Welt auch nie wieder verlassen. 

Nein, sie will das alles nicht, schon gar nicht für ihre Kinder und Enkelkinder.

Und nun saß sie hier im fernen Dänemark, und könnte im Ernstfall gar nichts für sie tun, wenn Onkel Putin richtig Ernst machen würde. Naja, meint ihr Schwiegersohn, im Ernstfall sind wir sowieso alle nach ein paar Minuten weg. 

Sie kehrt in ihren gemütlichen Sessel zurück und schaut wieder ins Feuer. Den riesigen Fernseher stellt sie nicht mehr an. Jede Stunde Horrornachrichten nicht nur aus der Ukraine.

Sie denkt an die armen Menschen dort, vor allem an die Kinder. Sie flüchten in Scharen, hauptsächlich nach Deutschland, aber viele auch in die Sowjet Union, oder anderswohin.

Ihre Freundin Solveig schimpft auf die Flüchtlinge. Soll sie doch welche aufnehmen in ihrem großen Reihenhaus, in dem sie mutterseelenallein lebt und immer über ihre Einsamkeit klagt, denkt Hannah. Sie würde das sofort machen, wenn sie genügend Platz in ihrer Wohnung hätte. 

Auch ihr alter Freund Poldi in Oldenburg schimpft auf die Flüchtlinge was das Zeug hält.

Dabei ist er selbst im zweiten Weltkrieg mit seiner Mutter und seinen Geschwistern aus dem heutigen Tschechien nach Deutschland geflüchtet. Hannah versteht das alles nicht, und warum ist sie mit solchen Leuten überhaupt befreundet.

Eigentlich kann ich ja beruhigt sein, denkt sie. Ich sitze hier im hüggeligen Dänemark, gehe jeden Tag am Strand spazieren, schaue auf mein geliebtes Meer, deren Wellen manchmal ruhig vor sich hinplätschern, und manchmal wild schäumen. 

Gestern hat Hannah in einem Waldstück ganz in der Nähe des Ferienhauses sogar Pilze gefunden. Maronen. Die kannte sie noch von früher, wenn sie mit ihrem Vater im Wald Pilze gesammelt hat, und ihre Mutter  dann eine leckere Pilzmalzeit zubereitete. So wie sie das jetzt auch gemacht hat. Nur schade, dass kein Giftiger dabei war, dann hätte das Drama mit Onkel Putin und Corona jetzt ein Ende. 

Das Feuer im Kamin ist fast runtergebrannt. Sie wird jetzt keinen Holzscheit mehr auflegen, sondern endlich ins Bett gehen. Hoffentlich kann ich schlafen denkt sie, und weckt ihren Mann auf dem Sofa.

( © Monika Zelle 15.11.2022 )

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