Die Geißel

Die Geißel

Das quietschende Schloss wurde geöffnet. Die braune Holztür knarrte. 

Als Hagen versuchte das spärliche Licht mit den Augen zu durchdringen, hörte er ein leises Wimmern. 

In der Ferne krähte ein Hahn.

Das Wimmern wurde lauter. 

Er schaltete das Licht an. 

Die achtjährige Lina saß zusammengekauert auf der zerschlissenen, schmutzigen Matratze. In dem kahlen Kellerraum roch es bestialisch. 

Die Kälte drang durch Mark und Bein. Selbst Hagen fror wie ein Schneider.

Lina zitterte am ganzen Laib, als er den Raum betrat. Beinahe wäre ihm das Geschirr von Tablett auf den Boden gerutscht, als er seine Wollmütze über den Kopf zog. Durch die engen Schlitze war nicht einmal seine Augenfarbe zu erkennen. 

Er stellte eine Kumme mit Milch und Cornflakes auf den Boden. 

Verängstigt schaute das Mädchen ihn an. Irgendwie tat sie ihm Leid. Doch es gab keinen Weg zurück.

Vor vier Tagen hatte Hagen sie auf ihrem Schulweg gepackt, und sie in seinen Lieferwagen gestoßen. Tagelang vorher hatte er sie beobachtet. Sie ging immer allein.

Zügig  und selbstsicher schritt sie voran. Ein selbstsicheres Mädchen fand er. 

In der Kate mitten in der Pampa angekommen, rief er über das Smartphone von Lina ihre Eltern an, und forderte 500.000 Euro Lösegeld. Keine Polizei!! Ihm stand das Wasser bis zum Hals.

Als Elektriker hatte er seine Arbeit verloren, und die Schulden wuchsen ihm über den Kopf. Bis jetzt hatten Linas Eltern nicht reagiert. Liebten sie ihre Tochter nicht?

Sie hatten doch Kohle wie Heu, eine große Villa am Stadtrand.

Lina konnte kaum den Löffel halten, um das Frühstück zu sich zu nehmen. Immer wieder kleckerte etwas Milch auf den Boden. Das machte Hagen wütend. Er riss ihr die Kumme weg, und stieß sie auf die Matratze zurück. Lina schrie, sie hatte sich den Kopf am Heizungsrohr gestoßen. „ Nur eine kleine Beuel“, meinte er,“ nicht so schlimm!“

Das Smartphone von Lina klingelte.

„ Wenn Sie glauben, dass Sie auch nur einen Cent von uns bekommen, haben sie sich geirrt, dass können Sie sich abschminken!“ Das Gespräch wurde abrupt beendet.

Wütend kettete Hagen Lina mit einer Handschelle am Heizungsrohr an. Man wusste ja nie. Er verließ den Raum, ohne dem Mädchen noch eines Blickes zu würdigen. 

Vor Wochen hatte er im Internet recherchiert. Der Vater der Kleinen, ein Bankdirektor, sollte doch in der Lage sein, seiner Tochter zu helfen. Die Eltern liebten das Kind nicht.

Das stand für Hagen fest. Genau wie er. Er war auch ein ungeliebtes Kind. 

Er ging in die kleine Wohnstube der Kate, wo ein loderndes Feuer im Kamin prasselte.

Er legte noch ein paar Scheite Holz auf, setzte sich auf das kleine Sofa an den Tisch, und goss sich ein Glass Whisky ein. 

Eine wohlige Wärme breitet sich in ihm aus.

Plötzlich sprang er auf. Wo war das Smartphone. Scheiße, er hatte es im Kellerraum vergessen. 

In der Ferne hörte er eine Polizeisirene. 

( © Monika Zelle 27.09.2022 )

Neretva

Neretva

Verschlafen lag es da, das kleine Städtchen Orebic auf seiner Halbinsel, 40 km westlich von Dubrovnic. 

Frühmorgens tuckerten die Fischer mit ihren Booten aufs Meer hinaus, um ihre Netze auszulegen, deren Fang sie Mittags am kleinen Hafen zum Verkauf feilboten.

Dann fielen sie ein, die Busse mit ihren Touristen, wie Bienenschwärme auf die Blüten, um in den neu erbauten Hotels ihre Zimmer zu beziehen.

Die Sonne Jugoslawiens brannte, da konnten sie in den ersten zwei Tagen nur ein Schattendasein führen. Wer sich dennoch der Sonne aussetzte, musste mit einem gefährlichen Sonnenbrand bis hin zum Sonnenstich rechnen.

Eine Bergwanderung führte nicht selten zu einer Kate der bitterarmen Bergbauern, 

die ihre Gäste mit schwerem roten Landwein, Schinken und selbstgebackenem Weißbrot bewirteten, um sie dann lachend, mit den Blicken ihrer tiefschwarzen Augen zu begleiten, wenn diese wieder ins Dorf hinunter torkelten.

Bei einem abendlichen Spaziergang klang Musik aus der Dorfkneippe herüber.

Zu heimatlichen Klängen stampften die Bauern mit ihren Füßen auf, und wiegten sich im Takt. Es duftete nach Civapcici, dessen Schärfe den Nichteinheimischen beim Verzehr die Tränen in die Augen trieb. 

Nachts wies Der Mond den Gästen den Weg zu Musik und Tanz zum benachbarten Hotel.

Leise klatschten die Wellen des Meeres an den Strand.

Langsam bewegten sich die Paare zur Musik der Hotelband, oder saßen in der lauen Sommernacht bei Campari Soda an ihren Tischen und unterhielten sich leise. 

Am nächsten Morgen führte sie ihre Reise entlang des türkisfarbenen Flusses Neretva, dessen Schaumkronen wie kleine quirlige Seifenblasen auf den Wellen tanzten, zu dem Dorf Mostar, das seinen türkischen Einschlag nicht leugnen konnte.

Auf der legendären Brücke aus Römerzeiten stürzten sich junge Männer in den Fluss, um wie Pfeile durch das relativ flache Wasser zu schießen. Wieder oben angekommen reichten sie ihre Sonnenhüte für einen Dinar herum.

Noch ahnten sie nicht, dass hier in 1990iger Jahren ein blutiger Bürgerkrieg toben, der tausenden und abertausenden Menschen das Leben kosten, und ihr Land und ihre Seele tief erschüttern würde.

In einer Privatwohnung reichte eine Familie den Touristen und Touristinnen schwarzen süßen Tee. Eine Touristin mit schwarzen Haaren und dunkelbraunen Augen probiert eine bunte türkische Tracht, die sie wie eine Einheimische aussehen lässt. Ihre Freundin fängt diesen Augenblick mit einer Klick Klack ein. 

Am nächsten Tag folgte eine Pause am Strand.

Das unvergleichlich glasklare tiefblaue Wasser des Meeres lädt zum Schwimmen ein. 

So manche Liebesgeschichte findet hier ihren Anfang, sowie ein jähes Ende.

So wie die von Maria und Jelko, dem Medizinstudenten aus Sarajewo und der Touristin aus Hamburg.

Sie treffen sich, lieben sich, und werden sich am Ende nie wieder sehen.

( © Monika Zelle  13.05.2022 )

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