Federn lassen

Federn lassen

Lina wälzt sich in ihrem Bett hin und her. 

An Schlaf, nicht zu denken.

Der Berg, der sich vor ihr auftürmt, ist nicht mehr zu erklimmen.

Sie denkt an früher. 

An die goldenen 1970iger oder auch zum Teil noch 1980iger Jahre.

Als sie eine Familie gegründet hat. 

Ja,  da musste sie auch den Pfennig in der Hand umdrehen, genau wie ihre Eltern  nach dem unseligen Krieg.

Und jetzt? Es ist wieder Krieg in Europa.

Schon als Lina in den Ruhestand trat, musste sie Federn lassen.

Nach 50 Jahren Arbeit.

Kein Auto mehr, keine kulturellen Veranstaltungen, keine Restaurantbesuche.

Und dann kam Corona. 

Die sportlichen Aktivitäten fielen buchstäblich ins Wasser.

Kein Schwimmen gehen, keine Muckibude mehr.

Sie saß zu Hause, machte immer nur Pause. Zwangsläufig.

Die Decke fiel ihr auf den Kopf

Nur Einkaufen und Spazieren gehen war erlaubt.

Sie kannte die Wege schon in und auswendig, die sie jeden Tag lief.

Und jetzt? Corona ist nicht vorbei, obwohl die Menschen so tun.

Alles wird teurer.

Wenn Lina an ihre Betriebskostennachzahlung denkt, wird ihr angst und bange.

Und dann demzufolge die Mieterhöhung.

Der Angstschweiß kriecht auf ihre Stirn.

Sofort hat sie die Heizung auf Null gedreht, obwohl es draußen noch kalt war.

Im Waschbecken sammelt sie das Wasser, um sich mehrere Male die Hände darin zu waschen. 

Wie früher, auf ihrem Heideland. Da hatten sie auch mit Wasser sparen müssen, weil sie es mühsam, wie der Hummel, von der zwei Kilometer weit entfernten Quelle heranschleppen mussten. Duschen? Nur einmal in der Woche.

Gewiss, wenn Lina kein Auto fährt, Heizung und Wasser spart, dann hat sie einen guten biologischen Fußabdruck. 

Wenn sie den Gürtel enger schnallt, kann sie auch sparen.

Aber was hat man dann noch, wenn man nicht mal mehr lecker essen kann, denkt Lina.

Jetzt kann sie erst recht nicht mehr einschlafen.

Auch der Krieg in Europa macht ihr zu schaffen.

Ist denn wirklich Corona und Putins Krieg an ihrer Misere Schuld?

Na ja, das Geld wird ja schon seit Jahren immer weniger wert.

Da war die Wende, dann kam der Teuro.

Aber jetzt? Die Inflation galoppiert voran wie ein Rennpferd beim Derby.

Und das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange.

Wird sie im nächsten Winter frieren müssen, weil Putin den Gashahn zugedreht hat?

Oder einfach nur, um Heizkosten zu sparen?

Oder ist Europa dann schon in Schutt und Asche gefallen?

Lina kann auch nicht mehr zu ihrer Datsche. Da hätte sie wenigstens einen Kohleofen und könnte Kartoffeln anbauen.

Soll sie sich einen Nebenjob suchen? In ihrem Alter?

Was, wenn sie die Miete nicht mehr bezahlen kann.

Das war schon immer ihre Angst, wie eine Obdachlose auf der Straße leben zu müssen, und nur das zu haben, was sie auf dem Leib trägt.

Es wird hell draußen.

Die Sirenen, die sie jede Nacht zu hören glaubt, haben nicht geheult.

Mir fallen noch keine Bomben auf den Kopf denkt sie.

Und während Lina sich nach einem kleinen Urlaub am Meer sehnt, fällt sie dann doch noch in einen unruhigen Schlaf . 

( © Monika Zelle 16.06.2022 )

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