Aufgeregt kippelte sie auf ihrem Stuhl im Musikraum hin und her. Die strengen Blicke ihres Lehrers entgingen ihr nicht.
Gleich würde die amerikanische Square Dance Music erklingen.
Auch ihre Mitschüler blickten nervös in die Runde, und auf ihren Lehrer.
Sie schaute auf den Neuen.
Peter, ein kleiner Junge, untersetzte Figur, blondes Haar, blaue Augen, vielleicht etwas älter als die Übrigen ihrer Klasse.
Aus Chile war er gekommen, mit seinen Eltern.
Sie sah zu ihm rüber. Ihre Blicke trafen sich. Ob er sie wohl auffordern würde?
Die Musik fing an zu spielen. Die Jungen rannten wild durcheinander, um ihre Auserwählte zum Tanz zu bitten.
Bernd forderte sie auf. Ihre Enttäuschung sprach Bände.
Aber das würde sich schnell ändern, denn bei diesem Tanz wechselten die Partner ständig. Gleich würde Peter dran sein. Ihr Herz begann wie wild zu schlagen.
Er nahm sie wie selbstverständlich bei der Hand und tanzte mit ihr zum Takt der Musik durch den Raum. Sie schwebte, fühlte sich wie im siebten Himmel. Alles in ihr war in Aufruhr. Er hatte Rhythmus im Blut, der blonde Chilene, das merkte sie sofort. Die anderen Jungen in der Klasse sah sie gar nicht mehr. Sie fieberte nur noch dem Moment mit Peter entgegen, und achtete eifersüchtig darauf, wie er mit den anderen Mädchen tanzte.
Als sie nach Schulschluss die Treppe hinunter rannte, stand Peter vor dem Schultor.
Wartete er auf sie? Er kam auf sie zu und sagte etwas auf Spanisch.
Mit großen Augen schaute sie ihn an. „ Where is your home?“ Das verstand sie.
Mutig nahm sie seine Hand, und führte ihn durch die Vogesenstraße bis vor ihre Haustür. Sie hatte es nicht weit. Nur ein paar Schritte.
„ Ah, ok!“, meinte Peter.
Jetzt nahm er sie an die Hand. „ Now i show you, where is my home!“
Hand in Hand schlenderten sie durch den Torweg in die Gebweiler Straße.
Er hielt ihr die Tür zum Treppenhaus auf. Was hatte er vor. Sollte sie mit ihm hinein gehen? Diesen Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, hatte Peter sie schon in den Treppenhausflur gezogen, sie fest in den Arm genommen und einfach geküsst. Sie fand es schön.
Er erzählte ihr von seinen Eltern, die vor vielen Jahren Deutschland verlassen hatten, um in Chile ein neues Leben zu beginnen, ihr Heimweh in ihre Heimat dann aber übermächtig wurde. Warum sie Deutschland verlassen hatten, wusste Peter nicht.
Von nun an holte er sie jeden Tag von zu Hause ab, sie gingen gemeinsam in die Schule, und er begleitete sie auch wieder nach Hause.
Manchmal kam es vor, dass sie ihn nach Hause brachte.
Als sie eines Tages in ihr Klassenzimmer kam, bemerkte sie, dass Peters Stuhl leer war. Noch dachte sie sich nichts dabei, weil er öfters mal zu spät zum Unterricht kam, das nahm er nicht so genau, der blonde Chilene.
Als er jedoch nach ein paar Tagen immer noch nicht in der Schule erschien, machte sie sich Sorgen. Sollte sie in die Gebweiler Straße gehen und klingeln?
Gesagt getan. Als sie vor der Haustür ankam, standen alte Möbel auf dem Gehweg. Sie rannte die Treppen zu Peters Wohnung hinauf. Die Tür war nur angelehnt. Sie öffnete sie einen Spalt breit. Was sie da sah, zerriss ihr das Herz.
Die Wohnung, leer.
( © Monika Zelle 26.04.2022 )