Die Frau, die auf den Mond wartet, um die Sterne vom Himmel zu holen.
Ein Bauer verkauft auf dem Markt Apfelsinen. 20 Apfelsinen kosten 10 DM.
Was kosten 4 Apfelsinen?
Eine schier unlösbare Aufgabe für mich.
Die Ruhe vor dem Sturm.
Jeden Tag um die gleiche Zeit fährt der Staubsauger mit meiner Mutter durch die Wohnung.
Ich brüte über den Rechenaufgaben, spüre ihren Atem im Nacken, eiskalte, stahlblaue Augen auf dem Heft.
Erklärungen, Aufklärungen, nichts fruchtet.
Sie setzt sich mir gegenüber, die tiefe Zornesfalte auf ihrer Stirn entgeht mir nicht.
Meine zitternde Hand übersieht sie.
Ein Tintenfleck macht sich aus dem Füller in meiner linken Hand auf dem Papier breit.
Meine Mutter reißt an dem Heft und der Seite.
Alles beginnt von vorn.
Tiraden von Wünschen, Vorstellungen, Bedingungen und
„ Dir soll es doch später einmal besser gehen“ und
„ Sieh doch was aus Deinem Vater geworden ist, der kann auch nicht rechnen“.
Ich spüre in mich hinein.
Warm fließt das Blut.
Bauchtanzübungen auf dem Stuhl, ein unbekanntes Gefühl macht sich breit, kommt in Wellen.
Ich fliege, fliege aus dem Fenster, weiter immer weiter, höher immer höher, über den Wolken, die mich tragen bis auf den Mond.
Kälte umfängt mich.
Der Mond will mich nicht.
Ich falle, falle tief, liege auf dem Boden, der Stuhl neben mir nur noch dreibeinig.
Fäuste fliegen mir entgegen.
Das Gesicht meiner Mutter nur noch Augen, getrieben von ihrem Ehrgeiz, sich meiner Gefühle bemächtigend, um meine Gefühle mit Füßen zu treten, in einer Welt, die ihr niemand zu Füßen legen wird.
Gepeinigt, wie eine geprügelte Hündin liege ich auf dem Boden und heule.
Meine Seele brennt.
Meine Mutter schleift mich in mein Zimmer, legt mich aufs Bett.
Der Schlüssel dreht sich im Schloss.
Sie hat vergessen, die Gardinen zuzuziehen.
Das Mondgesicht hat eine Wolke verschluckt.
Ich schlafe ein, und träume von dem Mond, der meiner Mutter die Sterne vom Himmel holt.
( © Monika Zelle 14.03.2022 )