Die Frau

Die Frau, die auf den Mond wartet, um die Sterne vom Himmel zu holen.

Ein Bauer verkauft auf dem Markt Apfelsinen. 20 Apfelsinen kosten 10 DM.

Was kosten 4 Apfelsinen?

Eine schier unlösbare Aufgabe für mich.

Die Ruhe vor dem Sturm.

Jeden Tag um die gleiche Zeit fährt der Staubsauger mit meiner Mutter durch die Wohnung.

Ich brüte über den Rechenaufgaben, spüre ihren Atem im Nacken, eiskalte, stahlblaue Augen auf dem Heft.

Erklärungen, Aufklärungen, nichts fruchtet.

Sie setzt sich mir gegenüber, die tiefe Zornesfalte auf ihrer Stirn entgeht mir nicht.

Meine zitternde Hand übersieht sie.

Ein Tintenfleck macht sich aus dem Füller in meiner linken Hand auf dem Papier breit.

Meine Mutter reißt an dem Heft und der Seite.

Alles beginnt von vorn.

Tiraden von Wünschen, Vorstellungen, Bedingungen und

„ Dir soll es doch später einmal besser gehen“ und

„ Sieh doch was aus Deinem Vater geworden ist, der kann auch nicht rechnen“.

Ich spüre in mich hinein.

Warm fließt das Blut.

Bauchtanzübungen auf dem Stuhl, ein unbekanntes Gefühl macht sich breit, kommt in Wellen.

Ich fliege, fliege aus dem Fenster, weiter immer weiter, höher immer höher, über den Wolken, die mich tragen bis auf den Mond.

Kälte umfängt mich.

Der Mond will mich nicht.

Ich falle, falle tief, liege auf dem Boden, der Stuhl neben mir nur noch dreibeinig.

Fäuste fliegen mir entgegen.

Das Gesicht meiner Mutter nur noch Augen, getrieben von ihrem Ehrgeiz, sich meiner Gefühle bemächtigend, um meine Gefühle mit Füßen zu treten, in einer Welt, die ihr niemand zu Füßen legen wird.

Gepeinigt, wie eine geprügelte Hündin liege ich auf dem Boden und heule.

Meine Seele brennt.

Meine Mutter schleift mich in mein Zimmer, legt mich aufs Bett.

Der Schlüssel dreht sich im Schloss.

Sie hat vergessen, die Gardinen zuzuziehen.

Das Mondgesicht hat eine Wolke verschluckt.

Ich schlafe ein, und träume von dem Mond, der meiner Mutter die Sterne vom Himmel holt.

( © Monika Zelle  14.03.2022 )

Der blonde Chilene

Aufgeregt kippelte sie auf ihrem Stuhl im Musikraum hin und her. Die strengen Blicke ihres Lehrers entgingen ihr nicht.

Gleich würde die amerikanische Square Dance Music erklingen.

Auch ihre Mitschüler blickten nervös in die Runde, und auf ihren Lehrer.

Sie schaute auf den Neuen. 

Peter, ein kleiner Junge, untersetzte Figur, blondes Haar, blaue Augen, vielleicht etwas älter als die Übrigen ihrer Klasse.

Aus Chile war er gekommen, mit seinen Eltern.

Sie sah zu ihm rüber. Ihre Blicke trafen sich. Ob er sie wohl auffordern würde?

Die Musik fing an zu spielen. Die Jungen rannten wild durcheinander, um ihre Auserwählte zum Tanz zu bitten.

Bernd forderte sie auf. Ihre Enttäuschung sprach Bände.

Aber das würde sich schnell ändern, denn bei diesem Tanz wechselten die Partner ständig. Gleich würde Peter dran sein. Ihr Herz begann wie wild zu schlagen.

Er nahm sie wie selbstverständlich bei der Hand und tanzte mit ihr zum Takt der Musik durch den Raum. Sie schwebte, fühlte sich wie im siebten Himmel. Alles in ihr war in Aufruhr. Er hatte Rhythmus im Blut, der blonde Chilene, das merkte sie sofort. Die anderen Jungen in der Klasse sah sie gar nicht mehr. Sie fieberte nur noch dem Moment mit Peter entgegen, und achtete eifersüchtig darauf, wie er mit den anderen Mädchen tanzte.

Als sie nach Schulschluss die Treppe hinunter rannte, stand Peter vor dem Schultor.

Wartete er auf sie? Er kam auf sie zu und sagte etwas auf Spanisch.

Mit großen Augen schaute sie ihn an. „ Where is your home?“ Das verstand sie.

Mutig nahm sie seine Hand, und führte ihn durch die Vogesenstraße bis vor ihre Haustür. Sie hatte es nicht weit. Nur ein paar Schritte.

„ Ah, ok!“, meinte Peter.

Jetzt nahm er sie an die Hand. „ Now  i show you, where is my home!“

Hand in Hand schlenderten sie durch den Torweg in die Gebweiler Straße.

Er hielt ihr die Tür zum Treppenhaus auf. Was hatte er vor. Sollte sie mit ihm hinein gehen? Diesen Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, hatte Peter sie schon in den Treppenhausflur gezogen, sie fest in den Arm genommen und einfach geküsst. Sie fand es schön.

Er erzählte ihr von seinen Eltern, die vor vielen Jahren Deutschland verlassen hatten, um in Chile ein neues Leben zu beginnen, ihr Heimweh in ihre Heimat dann aber übermächtig wurde. Warum sie Deutschland verlassen hatten, wusste Peter nicht.

Von nun an holte er sie jeden Tag von zu Hause ab, sie gingen gemeinsam in die Schule, und er begleitete sie auch wieder nach Hause. 

Manchmal kam es vor, dass sie ihn nach Hause brachte. 

Als sie eines Tages in ihr Klassenzimmer kam, bemerkte sie, dass Peters Stuhl leer war. Noch dachte sie sich nichts dabei, weil er öfters mal zu spät zum Unterricht kam, das nahm er nicht so genau, der blonde Chilene.

Als er jedoch nach ein paar Tagen immer noch nicht in der Schule erschien, machte sie sich Sorgen. Sollte sie in die Gebweiler Straße gehen und klingeln?

Gesagt getan. Als sie vor der Haustür ankam, standen alte Möbel auf dem Gehweg. Sie rannte die Treppen zu Peters Wohnung hinauf. Die Tür war nur angelehnt. Sie öffnete sie einen Spalt breit. Was sie da sah, zerriss ihr das Herz.

Die Wohnung, leer. 

( © Monika Zelle 26.04.2022 )  

Georges du Tarn

Gorges du Tarn

Und der Vater blickte stumm……

Sie saßen am Tisch in ihrer Remise beim Mittagessen. Der Vater, die Mutter, die Schwester und der 6 jährige Tim.

Es waren die letzten Ferien für Tim in Südfrankreich im Gorges du Tarn, bevor er in die Schule kam. Sein Vater hatte dort ein Grundstück gepachtet.

Tim saß da, als ob er einen Stock verschluckt hatte, und schaute ängstlich auf den Vater.

„ Was ist!“, polterte der.

„ Ich möchte an den Fluss, baden!“, flüsterte Tim.

„ Ja geh doch, aber in einer halben Stunde bist Du zurück, dann hilfst du mir mit den Steinen!“

Schnell verließ Tim die kleine Küche, packte seine Badehose ein, und lief an den Fluss.

Wild rauschend tobte der Tarn durch die hohen Schluchten um sich hier in Le Bourg in einem kleine See zu verfangen. 

Das Wasser war eiskalt. Dennoch schwamm Tim eine ganze Weile in dem See herum, und genoss das kühle Nass. Es war warm, sehr warm draußen, an die 40 °.

Die Menschen ächzten in der Hitze.

Sie saßen in dem Cafe des kleinen Ortes, aßen Eis, tranken Wein oder kaltes erfrischendes Wasser. 

Immer wieder sprang Tim in den See, um von einem Ende ans Andere zu schwimmen, tauchte dann und wann unter, um dann wieder prustend aufzutauchen, und sich das Wasser aus den Haaren zu schütteln.

Langsam trottete er zu seinem Handtuch, legte sich darauf.  Der betörende Duft der Mimosen berauschte seine Sinne. Er schlief ein. Nach Ewigkeiten wachte er auf und erschrak zutiefst. 

Wie der Wind lief er zu dem Grundstück. Sein Vater stand schon am Zaun und hielt Ausschau. Wahrscheinlich nach ihm.

Schnell lief Tim an ihm vorbei, zu seiner Mutter in die Remise.

Schon stand sein Vater hinter ihm, die Luftpumpe in der rechten Hand.

Seine Schreie verhallten in den Schluchten des Tarn.

Jetzt musste er wieder 14 Tage lange Hosen tragen, und das bei der Affenhitze

Als Tim eines Tages an dem Cafe vorbeilief, um in der Boulangerie ein Pain zu kaufen,

winkte ihn ein älterer Mann zu sich, forderte ihn auf, neben ihm Platz zu nehmen, und lud ihn zu einem Eis ein. Lange unterhielt er sich mit dem Jungen.

Als er mit dem Pain nach Hause kam, war sein Vater zum Glück nicht anwesend.

Seine Schwester schaute hämisch.

Kurz bevor die Familie ihre Heimreise antreten wollte, saßen sie beim Abendbrot und besprachen die Route. Meistens fuhren sie gegen 24h in Le Bourg ab, weil in der Nacht nicht so viel Verkehr auf den Straßen war.

Die Kinder sollten ein paar Stunden vorschlafen, während die Eltern ihre sieben Sachen in den Peugeot 404 packten. 

Als die Mutter die Kinder wecken wollte, war Tims Bett leer.

Ohne auch nur einen Gedanken an ihn zu verschwenden traten sie die Heimreise an.

( © Monika Zelle 26.04.2022 )

Hannelores Vater

Hannelores Vater

Ich sehe es noch wie heute vor mir.

Das Baumhaus auf unserem Land.

Mein Großvater hatte es seinerzeit für uns Kinder gebaut.

Hannelore, Silke, mein Bruder Stefan und ich saßen auf dem Baumhaus, und schauten zu, wie Hannelores Vater eine Abwassergrube aushob.

Plötzlich hörten wir hinter uns ein leises Rascheln.

Mein Bruder hob das lose Brett hoch, und was er dort sah, wollte er glaube ich lieber nicht sehen.

Wie von einer Tarantel gestochen sprang mein Bruder von dem Baumhaus hinunter auf den weichen Waldboden, und rannte zu unseren Eltern.

Seelenruhig schaute ich auf das schlangenartige Gebilde.

Gerade als ich es berühren wollte, kam mein Vater und Hannelores Vater angerannt, um uns drei Mädels von dem Baumhaus zu heben. 

Hannelores Vater stach dann wie wild auf die Schlangen ein, so dass die Eingeweide an den Hals von Hannelores Mutter spritzte, die schreiend davon lief.

Später, als mir dann erzählt wurde, um welche Art von Schlangen es sich hier gehandelt hatte, schreckte ich noch oft von Alpträumen geplagt, aus dem Schlaf.

Noch später ärgerte es mich, dass Hannelores Vater sie einfach getötet hatte.

Kreuzottern stehen nämlich unter besonderem Artenschutz.

( © Monika Zelle 29.03.2022 )

Bahnhof Holm-Seppensen

Bahnhof Holm-Seppensen

Ruhig liegt er da, der Bahnhof, wie vor 70 Jahren. Die Bank für die Fahrgäste wurde inzwischen wohl erneuert. Die Heidebahn auch schon 40 Jahre alt, ein Oldtimer.

Hier auf der Bank habe ich oft mit meiner Tante Gertrud gesessen, wenn wir auf den Triebwagen nach Hamburg warteten.

Im Kolonialwarenladen Lorenz haben wir uns warme Brötchen, Butter und Leberwurst gekauft, ein Kartoffelschälmesser hatte Tante Gertrud immer dabei“, sagte Lina Carstensen zu ihren Freundinnen Margrit und Ingrid.

„ Aber das ist es eigentlich gar nicht, was ich Euch erzählen wollte! Aber lasst uns erst Mal zum Land wandern.

Zuerst liefen sie den Meyerschen Weg hinunter. 

„ Hier standen früher nur wenige kleine Wochenendhäuschen, die Straße war nicht asphaltiert, eine Bushaltestelle oder eine Ampel gab es schon gar nicht!“, sagte Lina Carstensen.

Dann erreichten sie die Anhöhe nach einer Weggabelung.

„ Lasst uns hier eine kleine Trinkpause machen, wir haben noch zwei Kilometer vor uns.“, meinte Margrit, als sie auf die Karten App ihres Smart Phones schaute.

Sie setzten sich ins Zittergrass, und schauten in die Wipfel der hohen Kiefern, die sich leicht im Wind bogen.

Lina Carstensen legte sich auf den weichen Waldboden und blinzelte in die Sonne.

Sie lag wieder auf ihrem Land im Zittergrass. Neben ihr saß ihr Papa, und bastelte an einem Flugzeug aus Holz. Eine große Ruhe breitete sich in ihr aus. Die Wärme der Sonne durchströmte ihren Körper.

„ Lina, komm wir wollen endlich weiter gehen!“, riefen die Freundinnen.

Der Weg, von Baumwurzeln übersät, schlängelte sich durch den Wald, und wollte nicht enden.

„ Hier sind meine Cousine und ich auf unseren Fahrrädern ins Dorf runtergesaust zum Einkaufen. Wir kannten jede Baumwurzel, die es zu umfahren galt.“

Plötzlich sahen die Drei auf dem Weg große Suhlen.

„ Hier können Wildschweine unterwegs sein!“, meinte Ingrid.

„ Wolfsrudel sind hier auch angekommen“, sagte Lina Carstensen, „die gab es hier früher nicht!“

Mit großen dicken Stöckern bewaffnet, gingen sie weiter auf dem Weg bis zur Kurve, wo endlich das erste Haus der Siedlung am Pferdekopf auftauchte. 

Das Land lag dunkel, völlig verwildert, von der Natur zurück erobert, da.

Die Hütten verfallen, von Tieren bewohnt.

Lina Carstensen weinte.

„ Lass uns schnell weiter wandern, ich ertrage es hier nicht. Mehr als ein halbes Jahrhundert meines Lebens habe ich hier verbracht!“

Schnell setzten sie ihren Weg fort zum Büsenbachtal,  begleitet von dem betörenden Duft der blühenden Heide. Rauf auf den Katzenberg, wieder eine kleine Rast auf der Bank, in der immer noch der Name einiger Verehrer Lina Carstensens umrahmt von Herzen eingeritzt waren. 

„ Wenn wir hier den Berg hinunterlaufen, gelangen wir an den Ort, dessen Geschichte ich Euch erzählen will…….

Laut schreiend liefen sie den Katzenberg hinunter, um ihre Neugier zu stillen.

Sie kamen an ein großes verkohltes Jägerzauntor auf dem stand:

„ Ick leev wat fien is

  wenn`t ok nich mien is

  wenn`t ok nich mien warn kann

heff ick doch mien Freid doran.“

Und jetzt begann Lina Carstensen zu erzählen.

Hier ist vor 50 Jahren ein Kindererholungsheim abgebrannt. Mein Vater ist mit mir auf dem Fahrrad hinunter ins Dorf gesaust, um die Feuerwehr zu holen, die aber viel zu spät kam, um es zu löschen. 

Mein Bruder, dem das Heideland gehörte, ließ sich hier nie blicken. Er lebte mit seiner Familie weit weg in der Göhrde, und bekam von alldem nichts mit.

Mein Vater starb viel zu früh. Er konnte zu Lebzeiten nicht dafür sorgen, dass mir mein Erbanteil überschrieben wurde. Meine Mutter gab sich in dieser Hinsicht  keine Mühe, ihrem Kronensohn ins Gewissen zu reden. 

So bleibt mir nur noch die Erinnerung an eine wunderbare Kindheit, Jugend, und eine gute Zeit mit meiner Familie………  

( © Monika Zelle 12.04.2022 )

Fleißige Bienchen

Fleißige Bienchen

Er schweigt.

Sie ist verzweifelt.

Bleibt stehen.

Fotografiert ihre Heimatstadt.  

Zur Erinnerung für die Kinder, wenn sie einmal nicht mehr ist. 

Er rennt vor.

Hasst es, wenn sie stehen bleibt.

Friert, weil er sich nie warm genug anzieht.

Da kann sie reden…….

„ Mal wieder einen Fehler gemacht! Zuviel auf ihn geachtet.

Er lässt sich nicht gerne gängeln. Friert halt lieber.“

Menschen treiben vorbei.

Verkaufsoffener Sonntag.

Sie schlägt wieder zu

In ihrem Modelädchen.

Die Verkäuferinnen schwirren wie Bienen um sie herum, und reden auf sie ein.

Sie weiß schon was zu ihr passt, jedenfalls besser als die fleißigen Bienchen.

Er sitzt auf dem Stuhl vor den Umkleidekabinen.

Schaut gleichgültig.

Fängt ein Gespräch mit einer Verkäuferin an.

Da kann er reden. 

„ Es ist gut, dass ich meiner Lust frönen kann, meine Ersatzbefriedigung!“

Sie probiert an, probiert aus.

Dreht sich vor ihm.

Er scheint teilnahmslos.

Es ist ihm egal, was sie kauft. 

Er sagt nichts.

Nicht einmal zu den 200,00 Euro, die sie auf den Kopf haut.

„ Warum bin ich noch mit ihm zusammen. Weil er mir alle Freiheiten lässt?

Sich nie irgendwo einmischt? Ich machen kann was ich will?

Will ich das wirklich? 

Die anprobierten nicht gekauften Kleider hängen an der dafür vorgesehenen Stange.

Er sitzt immer noch auf seinem Stuhl. Starrt und schweigt.

Die Verkäuferin hat wohl ihr Interesse an ihm verloren. 

Was kann er der auch schon erzählt haben. Höchstens einer seiner banalen Witze.

Unterhaltsam kann er sein. Ja……..

Aber nur mit Freunden oder Fremden. Sehr unterhaltsam sogar.

Ihr Einkauf ist getätigt.

Vollbepackt stehen sie im Regen. Es schüttet wie aus Eimern, Hamburger Wetter eben…..

Sie beschließen, in ein Restaurant in unmittelbarer Nähe des Modelädchens essen zu gehen.

Der Kellner wie immer einen flotten Spruch auf den Lippen.

Er schlingt und schweigt.

„ Traut er sich nicht, mit mir zu sprechen? 

Was ist nur aus uns geworden, oder war es schon immer so? Habe ich es nicht bemerkt?

Kinder, Küche, Computer und Mutter, das war meine Welt!“

Hatte er zu wenig Raum in meinem Leben?

Er hat für sie gesorgt. Für sie und die Kinder.

Vielleicht hat er auch eine Geliebte. Dachte sie zumindest. Zuzutrauen wäre es ihm.

Soll das jetzt alles gewesen sein? Oder kommt da noch was?

„ Ich bin noch so lebenshungrig, tanzwütig, reiselustig!!

Möchte in die Ferne schweifen, und bin mir doch nicht nah!“

Ihm auch nicht.

Wann haben wir uns das letzte Mal richtig geliebt. Ja, wann……..

( © Monika Zelle 05.04.2022 )

Ella

Ella

Das Stimmengewirr der Kollegen machte sie schwindelig.

Oder doch der Tanz mit Mario, mit dem sie soeben noch durch den Saal geschwebt war?

Hastig trinkt Inga den Rest des Rotweines aus.

Hatte sie vielleicht zu viel getrunken?

Er war ihr ja schon des Öfteren aufgefallen, wenn er in das Büro der Personalstelle stürmte, als wäre er auf der Flucht, kurz an ihrem Schreibtisch vorbeihuschte,  ihr tief in die Augen schaute, um dann seine Angelegenheiten bei ihrem Chef zu erledigen. 

Und nun hatten sie zusammen getanzt.

Mario und sie.

Auf der jährlichen Weihnachtsfeier des Amtes.

Immer ein rauschendes Fest mit köstlichem Essen, und Alkohol, der in Strömen floss.

Nicht nur auf den Weihnachtsfeiern.

Hatte er sie nicht ein bisschen zu dicht an sich gezogen?

Der große schlanke Mario mit den tiefschwarzen Haaren und Augen so blau und kühl wie ein Bergsee.

Ihre Augen waren ineinander versunken.

Ihre Gefühle fuhren mit ihr Achterbahn.

Inga saß auf ihrem Stuhl und starrt vor sich hin.

Und schon steht Mario wieder vor ihr, wie aus dem Nichts, nimmt ihre Hand, und führt sie auf die Tanzfläche.

„ Lass uns hier verschwinden!“ flüsterte er ihr ins Ohr, während er sie noch fester an sich zog. 

„ Ich kenne ein Bar hier in der Nähe, wo wir uns unterhalten, und weiter tanzen können.“

Inga war wie in Trance.

Unter einem Vorwand verließen sie beide getrennt die Weihnachtsfeier, und trafen sich vor dem Amt auf der Straße wieder.

Es regnete in Strömen. 

Die Scheinwerfer der vorbeifahrenden Autos tanzten in den Pfützen.

Mario legte ihr seinen Mantel um, sie überquerten schnell die Straße, und ehe sie sich versah, befanden sie sich in der kleinen Bar, die ihr am hellichten Tag  noch nie aufgefallen war.

Sie tranken und tanzten bis in die frühen Morgenstunden.

Inga wusste nicht, wie sie in ihr Bett gekommen war, als ihr kleiner Sohn sie morgens weckte.

Es duftete herrlich nach frisch aufgebrühtem Kaffee.

 Sie dachte an die Küsse von Mario, und sank fast ohnmächtig wieder in ihre Kissen zurück. 

Es war Samstag.

Später würde sie mit ihrer Familie wie immer zu ihrer Mutter fahren. 

In den nächsten Wochen kam Mario fast jeden Tag zu ihr ins Büro.

Sie tauschten unauffällig ein paar Phrasen aus.

Ihre Blicke sprachen Bände. 

Inga wurde krank. Sollte sie sich den Magen verdorben haben?

War sie etwa schwanger?

Das konnte doch nicht sein!

Und wer war dann der Vater!

Auch Mario fiel aus allen Wolken. 

Er würde gerne Vater ihres Kindes sein, behauptete er.

Seine Frau bekäme keine Kinder.

Nach jahrelangen Versuchen hätten sie es aufgegeben,  auf einen Kindersegen zu hoffen.

Wieder fuhren Ingas Gefühle mit ihr Achterbahn.

Nein, das Kind konnte unmöglich von Mario sein.

Oder doch?

Und.

Könnte sie ihren kleinen Sohn und seinen Vater für Mario und dieses Kind verlassen?

Nein niemals.

Es musste eine andere Lösung her.

Auch Mario wollte seine Frau, die er über alles liebte, nicht für Inga verlassen. 

Nachdem ihre Tochter geboren war, ließ Inga sich für Jahre beurlauben.

Sie besuchte ihre Kollegen oft im Amt.

Mario machte dann seine Mittagspause, und sie gingen zusammen mit der kleinen 

Ella an der nahe gelegenen Alster spazieren. 

Ella quietschte vor Freude, wenn Mario Steine ins Wasser warf, und die Wellen sich verschluckten. Die Sonnenstrahlen glitzerten wie kleine Sterne auf dem Wasser,

genau wie Ellas Augen, so blau und kühl wie ein Bergsee. 

( © Monika Zelle 08.03.2022 )

Die sprechende Puppe

Die sprechende Puppe

Der letzte Gedanke, bevor sie einschläft, gilt dem Frühstück, jedoch nur dem mit einem weichgekochten Ei und einem Brötchen mit guter Butter.

Denkt sie an Müsli, lässt der Schlaf auf sich warten.

Dann übermannt sie doch der Schlaf…..

Plötzlich…..

Eine sprechende Puppe liegt in ihrem Arm, die sie liebkost, herzt, und die halbe Nacht mit ihr über Dinge spricht, die ihm nie über die Lippen kommen würden.

Schlaftrunken sucht sie am Morgen die Puppe.

Er schmatzt bei seinem Müslifrühstück mit viel Joghurt.

Schlafen kann er immer gut. Egal, welches Frühstück ihn erwartet. 

Wieder ein Morgen ohne Worte.

Im Internet sucht sie nach sprechenden Puppen.

Aber können die ihr auch sagen, was ihre Puppe ihr in der Nacht zugeflüstert hat? 

Dann schaut sie nach kleinen Wohnungen, oder soll sie schon in eine Pflegeeinrichtung gehen?

Dann aber nur auf dem Land, möglichst auf einem Bauernhof, auf dem sie noch mithelfen kann bei den Tieren.

Ja das wäre fein.

So eine kleine Wohngruppe mit fünf Menschen, die noch etwas zu erzählen haben.

Vielleicht sogar politisieren können. 

Oder zusammen singen.

Das wäre super.

Sie summt vor sich hin.

Also keine sprechende Puppe.

Lieber doch ein Tinyhouse bei ihrer Tochter auf der Wiese?

Nein, zu dicht.

Niemand hätte Zeit.

Obwohl……

Ihre Enkelin plappert den lieben langen Tag.

Erst nach dem Einschlafen steht ihr Mund still.

Manchmal redet sie sogar noch im Schlaf.

Ihr Tag neigt sich dem Ende.

Keine drei Worte……

Aber morgen, morgen gibt es ein weich gekochtes Ei und Brötchen mit guter Butter.

Die Nacht ist gerettet……..

In dieser Nacht träumt sie vom Meer.

Sie schwimmt bis zum Horizont, lässt sich von den Wellen tragen.

Ihr Rauschen klingt wie Musik

Leise flüstern sie mit ihr.

Wie die sprechende Puppe…….

( © Monika Zelle  01.03.2022 )