Finke
Die eiserne Rampe flog scheppernd und krachend gegen die Wand der Hafenfähre, als sie schwer atmend die Landungsbrücke erreichte.
„ Zurück bleiben bitte!“, hatte der Fährmann gerade eben noch durch das Mikrofon geschrien. Die Micheluhr zeigte 10.30h. Die Elfie war gerade aufgewacht. Auf der anderen Hafenbeckenseite lief das Werbelaufband „König der Löwen“. Die Trommeln klangen nach. Ein Kreuzfahrtschiff querte. Diesel entwich dem schwarzen Schornstein. Menschen hasteten vorbei. „ Wollen Sie noch mit?“, rief ein Hafenrundfahrtskapitän mit seinem lauten Bass. Das Rad seines Dampfers schaufelte schon Wasser um. Krachend rammte die nächste Fähre an die Hafenmauer. Die Menschen bevölkerten sie.
Manche ins Warme, manche nach oben. Vorbei an der Skyline Hamburgs, am Fischmarkt, Docklands, dem Augustinum, letzte Station besser gestellter Senioren und Seniorinnen, nach Neumühlen Museumshafen. Weiß prangten die Villen der Reichen über dem Elbufer. Wie gerne würde mancher in ihnen auf die Elbe schauen, um den vorbeifahrenden Schiffen zuzusehen. Der Alte Schwede, auch gerade aufgewacht. Hunde jagten am Strand. Frauchen oder Herrchen hinterher. Auf der anderen Elbseite Kräne, die wie Minarette gen Himmel schießen, fehlt nur noch der Singsang der Muezzedine. Die Wellen des Flusses klatschen unaufhörlich gegen den Bug der Fähre, peitschten das Wasser hoch an die Fenster, das tränenreich an ihnen herunterlief. Ein kleines Kind schrie sich die Kehle aus dem Hals. Bubendeyufer. Erinnerung an eine pompöse Hochzeit im Kapitänshaus.
Der Uhrturm von Finkenwerder zeigte 11.15h. Vorbei am Eismann, mit einer Tüte Straciatella entlang des Auedeichs mit seinen verwunschenen Häusern. Auedeich 14. Die Ruhe im Haus erschlug sie. Rechts das Gästebad, die Wohnküche mit einem einladenden großen Tisch und zwei Bänken, an denen sie in Gedanken ihren Sohn und viele Freunde sitzen sah. In der Ecke ein Sofa. gegenüber ein Klavier. Sie musste spielen, nur nach Gehör, Sehnsucht nach dem Unterricht, den sie nie erhalten hatte. Im Garten tobten Kaninchen. Die Äpfel des Baumes erstrahlten in der Sonne. Langsam erklomm sie die steilen Treppen, belegt mit buntem Teppichboden, zuerst zum Schlafzimmer, nebenan wieder ein Bad, dann hinauf ins Dachgeschoss zum Wohnzimmer, Regale überladen mit Büchern. Der Besuch ihrer Enkelin und ihrer Tochter störte sie nicht. Love strahlte in goldenen Lettern auf dem roten T-Shirt des Kindes, so wie ihre grünen Augen. Kleine Arme schlangen sich um ihren Hals, ein feuchter Kuss der Lippen benetzte ihre Wange. Auch die Enkelin erspähte sofort das Klavier, spielte nach Gehör. So musste Wolfgang Amadeus Mozart seine Stücke komponiert haben. Wieder die steilen Treppen. Nach 5 Minuten perfektes Chaos oben im Wohnzimmer. Spiele, Bücher Kniffelbecher, Würfel und Kissen lagen auf dem Boden verstreut, einladend zum Kaufmannsladen spielen. „ Was wünschen Sie?“, ertönte die helle Stimme ihrer Enkelin. Der Einkaufswagen war bald gefüllt. Das Buch „ Wie Vater seinem Kind die Liebe erklärte, lag obenauf. Ihre Enkelin nahm es und blätterte darin. Ihre langen blonden Locken bedeckten das Gesicht. Sie lächelte, dann wieder der tierische Ernst.
Schwer bog sich der von ihrer Tochter gedeckte Abendbrotstisch unter der Last der Köstlichkeiten, deren Gerüche unwiderstehlich waren. Gestikulierend dekorierte die Tochter in Gedanken die Wohnküche um, stellte den Tisch in die Ecke, das Klavier auf die andere Seite, das Sofa als Raumteiler mittendrin. Die Spielkarten der Phase 10 machten die Runde, das Gespräch über ein Wiedersehen auch. Die Tür fiel krachend ins Schloss. Laut startete der Motor. Eine kleine Hand winkte aus dem Fenster. Die Hupe schrillte. Schnell bog das Auto um die Ecke. Wieder umfing sie Stille.
( © Monika Zelle 05.10.2021)