Niemand ist eine Insel ganz für sich allein

Niemand ist eine Insel ganz für sich allein.

Sie sitzt im Zug.

Auf dem Weg.

Ganz für sich allein.

Auf eine Insel.

Oder besser gesagt auf eine Hallig.

Aufgeregt reicht sie der freundlichen Zugschaffnerin ihr Billet.

Umsteigen in Bredstedt.

Mit der Vorortsbahn nach Schlüttsiel.

Schwer ist ihr Rucksack nicht.

Nur ein Wochenende will sie bleiben.

Weiter mit der kleinen Fähre zur Hallig Langeneß.

Wie eine Perlenkette, oder wie kleine Maulwurfshügel taucht die Hallig vor ihren Augen auf.

Sie wohnt auf der Warf Hilligenley.

Sie ist eine Insel auf einer Insel nur in sich selbst.

Genießt die Ruhe.

Vor dem Sturm?

Das Pfeifen des Windes schreckt sie manchmal aus ihren Träumen, oder fegt in ihr Haar, spielt mit ihnen, zärtlich.

Die Einsamkeit gefällt ihr.

Halligbewohner sind zurückhaltend und scheu gegenüber Fremden.

Sie leben auf ihrer Warf wie auf einer Insel ihrer Hallig.

Sie bleibt.

Sturmflut beflügelt sie.

Keine Touristen.

Allein mit den Bewohnern.

Ihr Blick schweift ab.

Hinüber nach Wyk auf Föhr.

Da muss sie hin.

Irgendwann.

Das Zeug im kleinen Rucksack reicht nicht aus.

Einsamkeit macht krank.

Ganz allmählich findet sie Zutrauen zu den Menschen hier, und sie zu ihr.

Sie stehen und schauen zu, wie sie bei 12° plus Wassertemperatur im Meer schwimmt.

Klatschen Beifall.

Und, sie mögen sie, weil sie Platt snacken kann. 

Fiete Nissen hat sie zuerst angesprochen.

Op Platt.

Er ist der Bürgermeister und Postbote der Hallig.

Früher fuhr er mit der Segellore.

Heute fährt sie motorisiert auf dem Damm nach Schlüttsiel.

Freundschaften entstehen.

Sie ist angekommen.

Niemand ist eine Insel ganz für sich allein.

( © Monika Zelle 06.07.2021 )

Plattdeutsch

Plattdeutsch

Mien Modersprook.

Von klein auf an hörte ich zu Hause diese liebliche Sprache, unsere Muttersprache.

Meine Eltern sprachen zu Hause und auch mit ihren Geschwistern, also mit meinen Verwandten, und auch Freunden nur Plattdeutsch.

Ich heff düsse Sprook sotoseggen mit de Moddermelk opsogen.

Als kleines Kind sagte ich schon Weihnachtsgedichte op Platt auf, so wie das Gedicht 

„ Vun Wiehnachsmann“.

Als ich in den 1950iger Jahren in die Schule kam, durften wir Kinder gar kein Plattdeutsch sprechen, weil  die Kinder aus Finkenwerder, oder auch manch andere  Kinder ausschließlich Plattdeutsch snackten. Sie sollten Hochdeutsch lernen.

Viele Jahre später hatte unser lieber Lehrer Hans Böhme aus Berlin dat Begehr, mit seinen Schöler un Schölerinnen wedder plattdüütsch to snacken.

Weil ick mien Modersprook god lesen und snacken kunn, musste ich in meiner Klasse Geschichten von Rudolf Kinau aus seinen Büchern „ Sünn in der Seils“ oder  „ Bi uns an`n Diek“ vorlesen.

In einem leeren Klassenraum hatte ich mich vorzubereiten. Mir hat das großen Spaß gemacht.

Hatte ich eine Geschichte vorgelesen, mussten meine Mitschüler* sie sinngemäß ins Hochdeutsche übersetzen. Das war eine sehr gute Übung für uns.

Alle Kinder in unserer Klasse waren im Kulturring der Jugend, und wir gingen häufig ins Ohnsorg Theater, damals noch in den großen Bleichen, heute im Bieberhaus. 

Auch unsere Chorleiterin Heidi Haronska sang mit uns plattdeutsche Lieder.

„ Dat Du mien Leewsten büst“ ist heute noch einer meiner plattdeutschen Lieblingslieder. Mit meiner Enkelin singe ich oft das Lied

„  An de Eck steiht`n Jung mit`n Tüdelband“. Sie liebt es, und konnte es mit drei Jahren auswendig singen.

Abends las mein Vater mir oft die Geschichten „ Pole Poppenspäler“ oder „ Böttcher Baasch“ von Theodor Storm vor. Ich liebte sie.

Wat ick noch seggen wull.

Mein Vater nannte meine Mutter immer Modder Lütt. Das klingt heute noch in meinen Ohren nach, so liebevoll sagte er es.

Später sang ich sogar in einem plattdeutschen Frauenchor, den „ Bavaria Deerns“,

 geleitet von einer Japanerin. Die Japaner lieben „ Plattdüütsch“, und überhaupt „Heimatgeschichten“, sowie auch Trachten.

In den 1990iger Jahren habe ich zwei plattdeutsche Bücher bei dem Isensee Verlag veröffentlicht. „ Datt und Dütt swatt op witt“ und „ De leddige Lokusrull“. Leider hat der Verlag mich ganz schön über den Tisch gezogen. Ick wär een „ Noname“ harr keene Lobby.

( © Monika Zelle 29.06.2021 )

Vor ein paar Tagen ist mein Lehrer 90 Jahre als geworden. Ich habe ihm ein plattdeutsches Gedicht geschrieben:

1 7.   J U N I   2021

                                                            9  0            J A H R E

Leewe Hans

Neentig Johr dat is ne lange Tied

Wenn Du se vör di liggen sühst

Neentig Johr dat is den korte Spann

Wenn Du se sühst vun achter an

Du büst nu neentig Johrn

Neenteinhunnerteenundottig born

Wi wünscht die alle Glück un Segen

Opp alle diene Wegen

Liehrt hefft wi bi di veel

Datt mehrste awer in Sport un Speel

Ok Plattdüütsch mussen wi lesen

Dat is een grootet Anliegen vun di wesen

Us Modersprook wär di bannig wichtig

Wi shullt se lesen un schriewen richtig

För us Schöler een grootet Plesär

Eene goode Übung för dien un us Gehör

Nu heff eene goode Tied

Viellich mit Kinner, Frünnen un leewe Lüüd

Een feinen Geburtsgag wünscht wi di

In Gedanken sünd wi ok dorbi

Allens Leewe 

Diene Schölerinnen un Schöler 

vun diene Afslussklasse 9 A  1963

In de Emil-Krause-School

Ick gleuw he hett sick bannig freit.

Un mannig mol, wenn ick in de Brass bünn, oder mi freien do, dann snack ick ok een beeten Platt.

Lange Jahre ist unsere Muttersprache in Vergessenheit geraten, obwohl sie sogar als Kultursprache anerkannt ist.

In meinem Viertel, hier in der Neustadt in Hamburg, ist us Plattdüütsch in de Stadtteilschol  een Pflichtfach. Dor bün ick bannig stolt op.

Ich besitze ein antiquarischen Buch von Klaus Groth „ Mien Moderspraak“.

Sein Gedicht und Lied daraus möchte ich Euch unbedingt ans Herz legen.

Klaus Groth 

Mien Moderspraak 

Mien Modersprak, wa klingst du schön! Wa büst du mi vertrut!
Weer ok min Hart as Stahl un Steen, Du drevst den Stolt herut. 

Du bögst min stiwe Nack so licht As Moder mit ern Arm,
Du fichelst mi umt’ Angesicht Un still is alle Larm. 

Ik föhl mi as en lüttjet Kind, De ganze Welt is weg.
Du pust mi as en Vörjahrswind De kranke Boß torecht. 

Min Obbe folt mi noch de Hann’ Un seggt to mi: Nu be!
Un „Vaderunser“ fang ik an,
As ik wul fröher de. 

Un föhl so deep: dat ward verstan, So sprickt dat Hart sik ut.
Un Rau vunn Himmel weiht mi an Un Allns is wedder gut! 

Min Modersprak, so slicht un recht,
Du ole frame Red!
Wenn blot en Mund „min Vader“ seggt, So klingt mi’t as en Bed. 

So herrli klingt mi keen Musik Un singt keen Nachtigall;
Mi lopt je glik in Ogenblick De hellen Thran hendal. 

(unveränderte Schreibweise) 

Quelle: Klaus Groth: Quickborn. Volksleben in plattdeutschen Gedichten. Meersburg und Leipzig 1930 

Worterklärungen:
fichelst = streichelt, Boß = Brust, Obbe = Großvater, folt = faltet, be! = bete!, Rau = Ruhe, frame = fromme 

Wie will ich leben

Wie will ich leben……..

Ich träume mich in das einfache Leben meiner Kindheit.

Eine kleine Hütte im Wald.

Ohne Strom, ohne fließend Wasser, ohne Fleisch.

Wasser hole ich von der naheliegenden Quelle, und fange Regenwasser in einer Tonne auf.

Ich baue mein Gemüse selbst an, pflanze endlich mein Apfelbäumchen, auch einen Birnbaum. Sofort denke ich an das Gedicht „ Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland, ein Birnbaum in seinem Garten stand“……

Stachelbeeren müssen sein.

Kartoffeln und Tomaten auch, unbedingt.

Bickbeeren gibt es im Sommer in Hülle und Fülle im Wald.

Sofort denke ich an den leckeren Blaubeerpfannkuchen meiner Mutter.

Den werde ich mir unbedingt zubereiten.

Oder auch mal wieder ein Brot backen.

Mit dem Fahrrad besorge ich im naheliegenden Dorf Lebensmittel, die auf meinem Land nicht aus der Erde kommen.

Nie wieder auf ein Auto angewiesen sein, der Umwelt meine Ehre erweisen.

Endlich der Natur alles zurückgeben, was ich ihr einst nahm.

In einem alten Ofen entfache ich ein Feuer mit in Zeitungspapier eingewickelten Kienäppeln, wie ich es früher bei meinem Vater sah.

Endlich komme ich dazu, Brot zu backen.

Nach kurzer Zeit zischelt das Wasser in dem Pfeifkessel für einen wohlschmeckenden heißen Tee, den ich in Ruhe genießen kann.

Kein Geräusch vom Smartphone, Telefon oder Computer macht sich breit.

Nur der Gesang der Vögel dringt an mein Ohr. 

Ein Eichelhäher warnt seine Artgenossen.

Abends trifft sich in der Dämmerung eine Rehfamilie am Waldessaum.

Manchmal, wenn es die Temperaturen erlauben, schlafe ich unter freiem Himmel auf einer Moosdecke, und betrachte das Sternenzelt. Endlich wieder ein Sternenhimmel nach dem ewigen Lichtsmog in der Stadt.

Ich mache meinen Frieden mit dem Leben und mir.

So möchte ich leben und friedlich einschlafen.

Aber dann muss ich wieder mal ans Meer fahren, der Enge des Waldes entfliehen, die Gedanken und Blicke in die Ferne schweifen lassen, und mich im Rausch der Wellen verlieren.

( © Monika Zelle 22.06.2021 )

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,

Ein Birnbaum in seinem Garten stand,

Und kam die goldene Herbsteszeit

Und die Birnen leuchteten weit und breit,

Da stopfte, wenn’s Mittag vom Turme scholl,

Der von Ribbeck sich beide Taschen voll,

Und kam in Pantinen ein Junge daher,

So rief er: »Junge, wiste ’ne Beer?«

Und kam ein Mädel, so rief er: »Lütt Dirn,

Kumm man röwer, ick hebb ’ne Birn.«

So ging es viel Jahre, bis lobesam

Der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam.

Er fühlte sein Ende. ’s war Herbsteszeit,

Wieder lachten die Birnen weit und breit;

Da sagte von Ribbeck: »Ich scheide nun ab.

Legt mir eine Birne mit ins Grab.«

Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus,

Trugen von Ribbeck sie hinaus,

Alle Bauern und Büdner mit Feiergesicht

Sangen »Jesus meine Zuversicht«,

Und die Kinder klagten, das Herze schwer:

»He is dod nu. Wer giwt uns nu ’ne Beer?«

So klagten die Kinder. Das war nicht recht –

Ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht;

Der neue freilich, der knausert und spart,

Hält Park und Birnbaum strenge verwahrt.

Aber der alte, vorahnend schon

Und voll Mißtraun gegen den eigenen Sohn,

Der wußte genau, was damals er tat,

Als um eine Birn‘ ins Grab er bat,

Und im dritten Jahr aus dem stillen Haus

Ein Birnbaumsprößling sproßt heraus.

Und die Jahre gingen wohl auf und ab,

Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab,

Und in der goldenen Herbsteszeit

Leuchtet’s wieder weit und breit.

Und kommt ein Jung‘ übern Kirchhof her,

So flüstert’s im Baume: »Wiste ’ne Beer?«

Und kommt ein Mädel, so flüstert’s: »Lütt Dirn,

Kumm man röwer, ick gew‘ di ’ne Birn.«

So spendet Segen noch immer die Hand

Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.

Theodor Fontane