Über Menschen
Da fallen mir sofort die Menschen ein, die ich als Nachbarn unseres Grundstückes am Pferdekopf noch in Erinnerung habe, als wäre es heute gewesen.
Je älter ein Mensch wird, desto jünger werden die Erinnerungen des Kindes in ihm.
Zu unserer Linken besaß die Familie Dreyer für damalige Verhältnisse schon ein respektables Wochenendhaus. Zudem hatten sie auch gleich eine Pumpe bauen lassen. Von dieser Pumpe durften wir unseren täglichen Bedarf an Wasser holen, mit dem wir sehr sparsam waren. Für uns eine große Erleichterung, das Wasser nicht mehr von der Quelle, wie der Hummel, heranschleppen zu müssen.
Ewald Dreyer, Abteilungsleiter einer bekannten Reederei, brachte meiner Mutter von Zeit zu Zeit einen Strauß Teerosen, ihre Lieblingsrosen, warum auch immer.
„ Da kommt der Rosenkavalier!“, pflegte mein Vater dann zu sagen.
Zu unserer Rechten wohnte Frau Ullrich, eine ältere Dame, in einem wunderschönen Holzhaus. Auf dem Berner Senn Hund von Frau Ullrich durften wir Kinder reiten. In den Sommerferien waren ihre Enkelkinder zu Besuch
Gesa ihre Enkelin hatte bei einem Gerangel mit ihrem Bruder um ein Paket durch eine Verletzung mit der Schere ihr linkes Augenlicht verloren.
Ein paar Häuser weiter besaß die Familie Ehmcke ebenfalls ein schönes großes Holzhaus, das sie an die Familie Kordt vermietet hatte.
Herr Kordt arbeitete als Taucher im Hamburger Hafen. Ich besuchte Frau Kordt manchmal, weil sie gerade ein Kind bekommen hatte. Wenn es entzündete Augen hatte, wusch sie sie mit der Pisswindel aus, was ich voller Ekel meiner Mutter erzählte, die mich aber beruhigte, und sagte:“ Urin desinfiziert.“ Frau Kordts kleiner Sohn Werner ging in Wörme zur Schule, vier Kilometer von unserer Siedlung entfernt.
Wenn er den Weg durch den Wald nach Hause kam, hörte man ihn schon von Weitem singen, um seine Angst zu überwinden.
Neben den Kordts wohnten die Meyer-Schuchardts, mit einem Sohn, der unter epileptischen Anfällen litt, und sich von Zeit zu Zeit auf dem Boden wälzte.
Weiter des Weges befand sich eine Gaststätte. Ich musste manchmal für meinen Vater dort eine Flasche Bier oder Coca Cola kaufen. Henry Dost, der Gastwirt lag immer, wenn ich kam, besoffen auf dem Sofa in der Gaststube und schlief. Seine Frau erinnerte uns an Hilde Sicks, eine Volksschauspielerin am Hamburger Ohnsorg Theater, die den Laden dort am Laufen hielt.
Ein paar Schritte weiter wohnte Frau Spitzkeit mit ihren Katzen, die aussah wie die Hexe von Hänsel und Gretel. Wir Kinder besuchten sie oft, weil sie sonderbare Geschichten zu erzählen wusste, außerdem kannte sie sich gut mit Kräutern aus. Meine Mutter holte sich so manchen Rat von ihr.
Gegenüber der Hexe Spitzkeit hatte der Professor Brix mit seiner Schwester wohl das größte Grundstück am Pferdekopf erworben.
Wir Kinder durften bei ihm die vielen Bickbeersträucher für den Eigenbedarf absammeln, er bekam natürlich auch seine Portion, umsonst.
Ach nein, das größte Grundstück besaß die Knappfamilie am Katzenberg. Zu der Familie hatten wir keinen Zugang, sie waren nett, hielten sich aber für etwas Besonderes.
Wenn alle anderen Kinder der Siedlung mit meinem Vater und Onkel Judel wie wild Fußball spielten, standen die Knappkinder am Zaun, und schauten sehnsüchtig zu.
Sie durften nicht mitspielen.
Ach ja, und nicht zu vergessen, die Winterbergs. Sie hausten in einem Kellerloch unweit der Dreyers, und glaubten immer noch von den Schergen Adolf Hitlers verfolgt zu werden, obwohl der 2. Weltkrieg schon einige Jahre vorbei war.
Bis zu ihrem Tod wurden sie von den Menschen unserer Siedlung versorgt.
Ich könnte noch viele Geschichten „ Über Menschen“ am Pferdekopf erzählen.
Ein anderes Mal mehr…………
( © Monika Zelle 08.06.2021 )