Home Office

Home Office

Ich werde diesen Tag nie vergessen. Es ist der 14. März 2020 als ich mich unter Tränen für viele Wochen von meiner Enkelin verabschieden muss, und sie bis heute, wir schreiben den 15. Juni 2021 nicht in die Arme nehmen darf.

Ein Virus breitet sich rasend schnell über die ganze Welt aus. Corona Virus genannt. 

Die Menschen müssen von heute auf morgen zu Hause bleiben. Viele haben das Privileg im Home Office zu arbeiten, also ihr Büro nach Hause zu verlegen.

So auch meine Tochter. Mein Schwiegersohn arbeitet schon seit vielen Jahren im Home Office, also auch privilegiert. Nicht so die Familien mit vielen Kindern in sehr beengten Wohnverhältnissen. 

Auch die Kinder dürfen von heute auf morgen nicht mehr in die Schule gehen, müssen also zu Hause im sogenannten Home Schooling betreut werden, was für manche Eltern eine große Herausforderung bedeutet. Nicht alle sind mit Computern oder Laptops ausgestattet, und so werden die Kinder erst einmal mit Lehrmaterial in Papierform ausgestattet.

Die Großeltern dürfen ihre Enkelkinder nicht betreuen, weil die Ansteckungsgefahr zu groß ist. Eine Katastrophe. 

Mein Sohn als Lehrer hat die Aufgabe, seine Schülerinnen und Schüler über Zoom von zu Hause zu unterrichten, und das wochenlang.

Viele Schüler sind desillusioniert, haben kein Bock. Die Verzweiflung aller Menschen in dieser Situation ist groß, aber vor allem die der Kinder, auch der kleinen Kinder, die von den Eltern neben ihrer Arbeit zu Hause den ganzen Tag betreut und beschäftigt werden müssen. Sie stoßen im wahrsten Sinne des Wortes an ihre Grenzen.

Gewalttaten in Familien nehmen zu.

Nach vielen Wochen des Eingesperrt seins, entschärft sich die Lage etwas.

Die Außentemperaturen steigen, die Corona Zahlen sinken. 

Eine Gruppe von Kindern darf abwechselnd in die Schule in den Präsensunterricht, oder in die Betreuung in die Kita. So auch meine Enkelin, sie darf zwei oder drei mal die Woche in die Schule und ist glücklich.

Für meinen Sohn ein Spagat, der jetzt zeitweise von zu Hause und in der Schule unterrichtet. Zudem muss er sich als Medienbeauftragter um die digitale Ausstattung seiner Schule kümmern. Die Bezuschussung von staatlicher Seite reicht hinten und vorne nicht.

Und wir Eltern, schon lange in Rente, sitzen zu Hause, eingesperrt, und können unsere Kinder nicht sehen, und nicht unterstützen, dürfen uns nur mit einer Person aus einem anderen Haushalt treffen.

Einige von uns haben aber dennoch die gute Möglichkeit, ihre Kinder und Enkel über Skype und Zoom zu sehen, oder gar zu unterrichten. So wie meine Schreibwerkstattfreundin Heike, die ihren Enkel seit Ausbruch Corona von zu Hause über Skype unterrichtet, bestimmt auch manchmal nicht einfach.

Auch wir Schreiberlinge in der Schreibwerkstatt sind sozusagen dem Home Office verschrieben.

Wir treffen uns schon seit Beginn dieser gruseligen Pandemie jeden Montag auf Skype, lesen unsere von uns thematisierten Geschichten vor, schreiben die 6-Minuten-Geschichte mit dem von uns ausgewählten Stichwort. Es geht also weiter.

Im Herbst sinken die Außentemperaturen wieder, die Inzidenzen steigen, damit auch die Erkrankungen. 

Die ganze Schose geht von vorn los. Und das geht so seit 15 Monaten.

Ausnahmezustand.

In den Wintermonaten leitet unser Herr Platz wieder den Schreibwerkstattkurs.

Eine gute Zeit für uns. Wieder haben wir viel gelernt.

Ich habe während dieser Zeit unsere Schreibwerkstattfreundin Marion betreut, weil sie nicht digital vernetzt ist. Eine große Bereicherung für mich, mit Marion zu kommunizieren.

Und Jetzt ist wieder Sommer, die Temperaturen steigen, die Inzidenzen sinken stetig.

Allmählich öffnen Geschäfte und Restaurants.

Das Leben erwacht. Fluch oder Segen?

Gestern haben wir Schreiberlinge uns das erste Mal in einem Cafe getroffen. Die Wiedersehensfreude ist groß.

Einige von uns sind sogar schon vollständig geimpft.

Der Zahn der Zeit hat an uns genagt, wie ich finde. Eine sichtbare Veränderung.

Geht es jetzt voran? 

Ich hoffe nur, dass viele Menschen im Home Office bleiben können, der Umwelt zu liebe, und nicht jeden Tag hunderte von Kilometer in ihr Büro fahren müssen, obwohl die Pendlerpauschale erhöht werden soll. Ein Widerspruch in sich. 

Das Klimawandelgetöse können die Politiker dann auch für sich behalten.

( © Monika Zelle 15.06.2021 )

Über Menschen

Über Menschen

Da fallen mir sofort die Menschen ein, die ich als Nachbarn unseres Grundstückes am Pferdekopf noch in Erinnerung habe, als wäre es heute gewesen.

Je älter ein Mensch wird, desto jünger werden die Erinnerungen des Kindes in ihm.

Zu unserer Linken besaß die Familie Dreyer für damalige Verhältnisse schon ein respektables Wochenendhaus. Zudem hatten sie auch gleich eine Pumpe bauen lassen. Von dieser Pumpe durften wir unseren täglichen Bedarf an Wasser holen, mit dem wir sehr sparsam waren. Für uns eine große Erleichterung, das Wasser nicht mehr von der Quelle, wie der Hummel, heranschleppen zu müssen.

Ewald Dreyer, Abteilungsleiter einer bekannten Reederei, brachte meiner Mutter von Zeit zu Zeit einen Strauß Teerosen,  ihre Lieblingsrosen, warum auch immer.

„ Da kommt der Rosenkavalier!“, pflegte mein Vater dann zu sagen.

Zu unserer Rechten wohnte Frau Ullrich, eine ältere Dame, in einem wunderschönen Holzhaus. Auf dem Berner Senn Hund von Frau Ullrich durften wir Kinder reiten. In den Sommerferien waren ihre Enkelkinder zu Besuch

Gesa ihre Enkelin hatte bei einem Gerangel mit ihrem Bruder um ein Paket durch eine Verletzung mit der Schere ihr linkes Augenlicht verloren.

Ein paar Häuser weiter besaß die Familie Ehmcke ebenfalls ein schönes großes Holzhaus, das sie an die Familie Kordt vermietet hatte. 

Herr Kordt arbeitete als Taucher im Hamburger Hafen. Ich besuchte Frau Kordt manchmal, weil sie gerade ein Kind bekommen hatte. Wenn es entzündete Augen hatte, wusch sie sie mit der Pisswindel aus, was ich voller Ekel meiner Mutter erzählte, die mich aber beruhigte, und sagte:“ Urin desinfiziert.“ Frau Kordts kleiner Sohn Werner ging in Wörme zur Schule, vier Kilometer von unserer Siedlung entfernt.

Wenn er den Weg durch den Wald nach Hause kam, hörte man ihn schon von Weitem singen, um seine Angst zu überwinden. 

Neben den Kordts wohnten die Meyer-Schuchardts, mit einem Sohn, der unter epileptischen Anfällen litt, und sich von Zeit zu Zeit auf dem Boden wälzte.

Weiter des Weges befand sich eine Gaststätte. Ich musste manchmal für meinen Vater dort eine Flasche Bier oder Coca Cola kaufen. Henry Dost, der Gastwirt lag immer, wenn ich kam, besoffen auf dem Sofa in der Gaststube und schlief. Seine Frau erinnerte uns an Hilde Sicks, eine Volksschauspielerin am Hamburger Ohnsorg Theater, die den Laden dort am Laufen hielt.

Ein paar Schritte weiter wohnte Frau Spitzkeit mit ihren Katzen, die aussah wie die Hexe von Hänsel und Gretel. Wir Kinder besuchten sie oft, weil sie sonderbare Geschichten zu erzählen wusste, außerdem kannte sie sich gut mit Kräutern aus. Meine Mutter holte sich so manchen Rat von ihr. 

Gegenüber der Hexe Spitzkeit hatte der Professor Brix mit seiner Schwester wohl das größte Grundstück am Pferdekopf erworben.

Wir Kinder durften bei ihm die vielen Bickbeersträucher für den Eigenbedarf absammeln, er bekam natürlich auch seine Portion, umsonst.

Ach nein, das größte Grundstück besaß die Knappfamilie am Katzenberg. Zu der Familie hatten wir keinen Zugang, sie waren nett, hielten sich aber für etwas Besonderes.

Wenn alle anderen Kinder der Siedlung mit meinem Vater und Onkel Judel wie wild Fußball spielten, standen die Knappkinder am Zaun, und schauten sehnsüchtig zu.

Sie durften nicht  mitspielen.

Ach ja, und nicht zu vergessen, die Winterbergs. Sie hausten in einem Kellerloch unweit der Dreyers, und glaubten immer noch von den Schergen Adolf Hitlers verfolgt zu werden, obwohl der 2. Weltkrieg schon einige Jahre vorbei war.

Bis zu ihrem Tod wurden sie von den Menschen unserer Siedlung versorgt.

Ich könnte noch viele Geschichten „ Über Menschen“ am Pferdekopf erzählen.

Ein anderes Mal mehr…………

( © Monika Zelle 08.06.2021 )

Kinderfreundschaften

Kinderfreundschaften

Margrit

Kinderfreundschaften hatte ich viele. Wir waren eben viele Kinder am Dulsberg in den 1950iger Jahren.

Meine beste Freundin aber war Margrit Nagel.

Die Nagels waren unsere direkten Nachbarn, und wenn wir Kinder nicht draußen Meyersche Brücke, Fischer Fischer wie tief ist das Wasser, Kibbel Kabbel, Länder klaun oder Marmeln spielten, war ich meistens bei Margrit drüben.

Wir besaßen beide eine Kinderpost und spielten hingebungsvoll Briefmarken und Briefumschläge verkaufen, Briefe oder Pakete entgegen nehmen und versenden und was es sonst noch alles bei der Post zu tun gab. Es war unser Lieblingsspiel.

Von Zeit zu Zeit spielten wir aber auch mit unseren Puppen. Echte Mädchen eben.

Meine Puppe hieß Helga.

Meistens spielten wir, dass die Puppen krank waren, und wir waren abwechselnd die Ärztinnen.

Einen Arztkoffer wie die Kinder heute besaßen wir natürlich nicht, es mussten die Küchenbestecke der Eltern herhalten. 

Manchmal kamen unsere Puppen auch erst als Babys aus unserem Bauch, das war das Höchste der Gefühle.

Zu mir nach Hause durfte ich keine Kinder mitbringen, das duldete meine Mutter nicht, sie könnten ja etwas schmutzig machen, in ihrem so geleckten Haushalt, wo man gewissermaßen vom Fußboden essen konnte. Tisch und Stuhl hatten wir natürlich auch.

Dann zog Margrit mit ihren Eltern und ihrem Bruder Ronald ins Nebenhaus in eine größere Wohnung. 

Wenn ich bei Margrit spielte, lackierte sich Frau Nagel meistens die Fingernägel rot.

Herr Nagel war ein höherer Angestellter bei den Hamburger Gaswerken, wo die meisten Männer und auch manche Frauen unseres Wohnblocks beschäftigt waren.  Ihr Bruder Ronald besuchte die Mittelschule, und ärgerte uns oft.

Wenn die Nagels am Wochenende in den Harburger Bergen wandern gingen, durfte ich manchmal mit. Frau Nagel setzte sich dann immer mit nacktem Hintern in einen Ameisenhaufen, das sollte gegen ihr Rheuma helfen.

Dann zogen die Nagels plötzlich wieder um, nach Wandsbek Gartenstadt, in eine noch größere Wohnung, und natürlich bessere Gegend. Es hieß,  Herr Nagel sei mit seiner Sekretärin fremd gegangen.

Frau Nagel verließ ihren Mann nicht, aber sie schämte sich vor der Nachbarschaft.

Ich war ziemlich traurig, dass Margrit nun nicht mehr hier bei mir in der Nähe wohnte, denn nun sah ich sie nur noch ein einziges Mal, als meine Mutter und ich bei den Nagels zu Kaffee und Kuchen eingeladen waren, um die neue Wohnung zu besichtigen.

Das wars.

Nach vielen Jahren mieteten sich die Nagels eine Ferienwohnung in der Heide, und luden uns dorthin ein.

Wir erfuhren, dass ihr Sohn Ronald inzwischen verstorben war.

Margrit wohnte mit ihrer Familie in Handeloh, ganz in der Nähe der Ferienwohnung.

Wir hatten  uns aus den Augen verloren, und ich traute mich nicht, sie in Handeloh, wenige Kilometer von unserem Heidegrundstück am Pferdekopf entfernt, zu besuchen.

( © Monika Zelle 01. Juni 2021 )

Stamm am Baum

Stamm am Baum

Mein Bruder ist nicht mehr mein Bruder. Das hat viele Gründe.

Mein Wissen über die Familie meiner Eltern reicht nicht so weit zurück.

Mein Cousin Reiner aus dem Klein Clan soll einen Stammbaum väterlicherseits haben.

Müsste ihn anrufen.

Der Großvater meines Vaters hatte ein Buchdruckerei und schrieb Gedichte.

Sein Sohn, mein Großvater war Elektriker und Gewerkschafter. 

Meine Großmutter, Bürstenmacherin, soll eine liebenswerte gutmütige Frau gewesen sein. Sie kurte gern in Heringsdorf auf der Insel Usedom.

Alle Kinder hatten einen Beruf erlernt.

Meine Vater war Autoschlosser, im Krieg nicht einen Tag arbeitslos, und nie Soldat.

Ein sehr politischer Mensch und Gewerkschafter durch und durch.

Onkel Ewald auch Autoschlosser, 5 Jahre in russischer Kriegsgefangenschaft, kam fast verhungert nach Hause, sein Sohn Reiner war schon 6 Jahre alt.

Onkel Walter, Schlangenbeschwörer und Sozialpädagoge. Kreuzottern liefen frei in seiner Wohnung herum, ein Eremit.

Onkel Werner, Bürohengst beim Staat. Später schrieb ich ihm, längst schon Ruheständler, Geburtstagsgrüße aus der Personalstelle derselben Behörde, bei der er auch beschäftigt war.

Tante Lotte, meine Bestmutter, meine Lieblingstante, ein Bücherwurm wie ich.

Eine Reisende.

Tante Gertrud konnte aus 50 Pfennige eine Mark machen, sparte sich dadurch ein Haus in der Lüneburger Heide zusammen.

Der Großvater meiner Mutter aus dem Gosch Clan war in Schleswig Mühlenbesitzer und Spieler. Sein Sohn, also mein Großvater, stolzer Besitzer eines Pferdes mit Wagen, Gymnasiast, endete in der Schanzenstraße in einer Schlachterlehre. Ein Musikliebhaber mit einer guten Stimme. 

Meine Oma Anna geborene Holtmann, seine sehr unnahbare Frau, zog 6 Kinder groß, die auch alle eine Lehre gemacht hatten. 

Onkel Willi. Modelltischler, wanderte 1950 nach Amerika aus, seine Frau Helen leitete eine Bankfiliale in Womelsdorf, Pennsylvania, durch sie lernte ich sehr gut Englisch, weil wir uns Briefe schrieben. Mein Cousin Billy ist heute Mathematikprofessor a.D.

Onkel Paul fuhr Zeit seines Lebens auf dem Tankschiff der Caroline Oetker als Obersteward und Zahlmeister zur See. Die ganze Familie half bei dem Bau seines Hauses in der Lüneburger Heide.

Onkel Heini, Schwimmlehrer im Hessepark in Blankenese, ertränkte immer Katzenjunge in der Regentonne.

Er brachte mir als vierjährige zusammen mit meinem Vater das Schwimmen bei.

Onkel Julius, Judel genannt, lernte Ketelklopper bei Blohm & Voss. Arbeitete später bei Hein Gas, und gewann beim Pferderennen eine größere Summe Geld.

Onkel Friedrich, Fiete genannt, auch Ketelklopper, heiratete die Prostituierte Rosi aus Magdeburg. 

Meine Mutter lernte Putzmacherin und besuchte eine Hauswirtschaftsschule. Sie war die perfekteste aller Hausfrauen, das einzige Mädchen unter fünf Brüdern.

Alle Kinder des Gosch Clans, sehr musikalisch, hatten sich alle selbst ein Musikinstrument beigebracht.

All diese Menschen sind schon lange nicht mehr am Leben, aber in meinem Herzen und meiner Erinnerung immer noch sehr präsent.

Meine jetzige Familie besteht aus meinem Mann Joachim aus dem Zelle Clan, meinen beiden schon erwachsenen Kindern Stefan und Simona, und meiner einzigen Enkelin Lea.

Ob mein Bruder noch lebt, weiß ich nicht. Ich habe nie wieder etwas von ihm gehört.

 ( © Monika Zelle 11.05.2021 )

M & B

M & B

Es ist als hätte ich den Verstand verloren…. ja vielleicht, dachte sie…

Schwarze Rauchschwaden stiegen gen Himmel……

Zwei Tage zuvor…..

In sich gefangen und getrieben wanderte sie den endlos langen Heideweg hinauf zu ihrem Land, und dachte an den Bruder. Ob er noch lebte?

Der Mond schien sich im weißen Heidesand zu sonnen. Diesen Weg kannte sie wie ihre Westentasche, sie würde ihn mit geschlossenen Augen finden.

Verwunschen lag es da, ihr Heideland.

Die Gartenpforte quietsche.

„Klein“ stand immer noch auf dem verrosteten Schild.

Sie streichelte sanft den Steinermann, den ihr Vater vor gefühlten hundert Jahren dort mit seinen heilenden Händen geschaffen hatte.

Sie arbeitete sich durch das Dickicht bis zu den Hütten durch. Sie schienen unbewohnt.

Eigentlich ist das Hausfriedensbruch, dachte sie.

Die Türen standen offen.

Den Schlüssel, den sie über Jahre aufbewahrt hatte, brauchte sie nicht.

Es stank bestialisch hier drinnen, nach Marderkot.

Früher tanzten auch die Mäuse auf dem Tisch, wenn sie nach einem langen Winter mit ihrer Familie hierher kam.

Mehl, Zucker und Seifenvorräte waren von ihnen vertilgt worden.

Nein, hier konnte sie nicht nächtigen.

Der Himmel mit seinem glitzernden Sternenzelt würde ihr ein Dach über dem Kopf geben.

Die Nächte im August waren warm genug.

Sie legte sich auf ein Bett aus Moos, neben ihren Baum, dem sie all ihre Freuden, Sorgen und Nöte anvertraut hatte. Morgen würde sie hinaufklettern, und von oben schauen, wer dieses Land verkommen ließ.

Sie hörte Kinderstimmen. 

„ Tor, Tor!“ schrien sie.

Die gütige Stimme ihres Vaters ließ sie in einen tiefen Schlaf versinken, aus dem sie am frühen Morgen von den Vögeln geweckt wurde.

Die Bickbeeren standen in voller Blüte.

Auch wenn sich hier jetzt jemand einfinden sollte, sie verlässt das Grundstück nicht wieder, komme da was wolle.

Im Schuppen war bestimmt noch ein altes verrostetes Schloss mit einer Kette zu finden.

Damit wollte sie sich hoch oben im Baum anketten.

Ihr Baum mit seinen starken Armen hält und beschützt sie, wie früher.

Vorher aber müssten die stinkenden Hütten brennen.

Diese Ungepflegtheit und den Verfall hatten sie nicht verdient.

Einen Frühjahrsputz überleben sie nicht.

Der Duft der Heideblüte streichelte ihre Sinne.

Sie folgte ihm ins Tal der Sehnsüchte.

So früh waren hier noch keine Menschen unterwegs, um ihre Picknickdecken auszubreiten, und ihren vom Essen und Trinken übrig gebliebenen Müll zu hinterlassen. 

Sie trank von dem frischen Quellwasser ihres Baches, watete mit ihren Füßen darin.

Über den Berg mit der alten Birke erhoben sich die ersten Sonnenstrahlen.

Sie wanderte hinauf, und suchte das eingeritzte Herz mit Ihrem und dem Namen ihrer ersten großen Liebe in der Lehne der einzigen Bank hier oben.

„ Wie heißt der Bürgermeister von Wesel!“

„ Esel!“ 

Alle Wünsche und Träume kehren zu ihr zurück, genau wie das Echo, bevor sie sich in die ewigen Jagdgründe verabschiedet.

( © Monika Zelle 04.05.2021 )

Starke Arme

Maja machte zum ersten Mal mit ihrer Freundin Luise Urlaub. 

In Italien, dem Land wo die Zitronen blühen.

Luise war schon des Öfteren am Gardasee, und hatte hier sogar einen Freund.

Antonio, Sesselliftwart.

Maja hatte  noch nie in ihrem Leben hohe Berge gesehen.

Das schmucke Städtchen Torbole lag an der engsten Stelle oberhalb des Gardasees.

Hier bezogen sie ein kleines Zimmer in der Villa Martha.

Als Maja und Luise ein paar Tage die seidige Luft am See genossen, und sich ihre Haut  an die Sonne gewöhnt hatte, unternahmen sie einen Ausflug an den Ledrosee. 

Maja hatte keine Ahnung, dass dieser See hoch oben in den Bergen lag.

Als die beiden in Riva beim Sessellift ankamen, beschlich sie schon ein mulmiges Gefühl, denn dieser Lift fuhr rauf und runter ohne Unterlass. Die Geschwindigkeit war nicht zu unterschätzen. Nach langem Hin und Her setzte sich Maja dann doch in den Sessel des Lifts, allein. Luise fuhr hinter ihr. Es ging höher und höher. Maja wurde schwindelig.

Noch nie hatte sie unter sich einen so tiefen Abgrund gespürt. Nur nicht nach unten schauen, hatte Luise vorher zu ihr gesagt.

Nach 15 Minuten kamen sie oben an. Nun hieß es während der Fahrt aussteigen.

„ Das schaffe ich nie!“, dachte Maja. 

„ Ich kann nicht aussteigen!“, schrie sie.

Der Sesselliftwart Antonio erkannte ihre Unsicherheit, und zog sie aus dem Sessel auf die Plattform. Dabei verfing sich ihre Handtasche in der Öffnung des Verschlusses am Sessel, und fuhr wieder ins Tal.

Maja stand wie erstarrt da und zitterte.

„ Die kommt wieder rauf“, sagte Antonio seelenruhig. 

Maja fing an zu weinen: „ Da sind alle meine Papiere und mein Geld drin!“, jammerte sie.

Antonio zog Maja zu sich heran, nahm sie in den Arm, und drückte sie an sich. Maja beruhigte sich zusehends. Als sie zu ihm aufschaute, sah sie, wie gutaussehend dieser Typ war, braun gebrannt, groß, breitschuldrig.

Ein warmes Gefühl strömte durch ihren Körper. Sie verliebte sich Hals über Kopf in ihn.

Inzwischen war auch Majas Handtasche und Luise oben angekommen.

„ Nun schau dir doch mal diese wunderschöne Landschaft an!“, rief Luise, und lief in Richtung Ledrosee.

Wie in Trance ging Maja hinter ihr her.

Erst ganz allmählich nahm sie den smaragdgrünen See und die schneebedeckten Berge wahr. „ Ein Traum“, dachte sie, wie Antonio.

Wie von Zauberhand geschaffen, entdeckten sie ein kleines Restaurant.

Sie setzten sich auf die Terrasse mit Blick auf den See. 

Kleine Wellen verschluckten sich auf der Wasseroberfläche und glitzerten in der Sonne.

Die Berge spiegelten sich im See.

„ Traumhaft, oder?“, rief Luise, und bestellte sich Spaghetti Bolognaise, dazu einen Espresso.

„ Na, war es nun so schlimm, hier hoch zu fahren?“

„ Du hast es doch geschafft!“

„ Ja, aber runter fahre ich nicht!“, sagte Maja entschlossen.

„ Wie runter fahre ich nicht, willst Du hier oben versauern? Wo willst Du denn hier bleiben?“

„ Bei Antonio!“, sagte Maja.

Luise lachte schrill, hektische rote Flecken überzogen Hals und Gesicht. “ Der wohnt doch gar nicht hier oben!“ 

„ Mich kriegen keine zehn Pferde mehr in diesen Sessellift!“, sagte Maja.

Sie hatte nichts gegessen, nur eine erfrischende Grenadine getrunken.

Langsam umrundeten die beiden noch den von Geheimnissen umwobenen See.

Wieder am Lift angekommen, wollte Maja tatsächlich nicht nach unten fahren.

Die schwindelerregende Höhe nahm ihr den Atem.

Doch Antonio wusste Rat. Ruhig nahm er sie bei der Hand, half ihr in den Sessel, setzte sich in den Nachfolgenden, ergriff die Kette von Majas Sessel, und so fuhren die beiden Hand in Hand hinunter ins Tal…………….

( © Monika Zelle 20.04.2021)