Watt Gifft Neeges

Watt gifft Neeges

Diesmal will ich über meinen Onkel berichten, mein Onkel Julius, Judel genannt. Aber an fängt meine Geschichte in einem Dorf in Vierlanden, wo mancher Hamburger oder Hamburgerin wegen der Hungersnot in ihrer Heimatstadt Zuflucht suchte. 

Jeden Morgen lief mein Vater zu Fuß an den vielen Gewächshäusern der Bauern vorbei zum Zug, um zu seiner Arbeit nach Hamburg zu fahren.

Jeden Morgen traf er auch den Dorftrottel Heinerich, und jeden Morgen fand zwischen den beiden die gleiche Unterhaltung statt.

„ Moin, watt`n Luft hüüt!“

„ Jo, watt`n Luft hüüt!“

„ Meist gorkeen Luft!“

„ Jo, meist gorkeen Luft!“

So ging das jahrein jahraus, bis meine Eltern mit mir wieder in die Stadt zogen.

Jetzt kommt mein Onkel Judel ins Spiel.

Er kam jeden Samstagmorgen, um uns zu besuchen, im Gepäck mindestens 4 kg frischen Fisch vom Markt. Ich öffnete ihm immer die Tür, weil ich seine Ankunft auf keinen Fall verpassen wollte.

„ Na, watt gifft Neeges!“, rief er. 

„ Gifft nix Neeges“, sagte ich.

„ Nix Neeges mien Deern, datt kummt noch, gleuw mi datt!“

Er nahm stantepe den Weg in die Küche, und drückte meiner Mutter den Fisch in die Hand, den sie nun sofort zuzubereiten hatte, mit Senfsoße natürlich, die mochte Onkel Judel am liebsten. Und wehe, jemand mochte keinen Fisch, prompt sagte er: „ Watt de Buer nich kennt, datt fritt he nich!“ Dann setzte er sich zu meinem Vater auf die Bank an den Küchentisch. Die beiden politisierten, bis Onkel Judel, aufbrausend cholerisch, eine hochroten Kopf bekam, während mein Vater, immer ruhig und besonnen, ihm einen Schnaps einschenkte.

Sie waren unterschiedlicher politischer Gesinnung, mein Vater und Onkel Judel. Aber sie kamen am Ende immer zu dem Schluß: „ Wo de een mit wuschen is, is de anner mit kämmt!“ Damit meinten sie die Politiker oder Politikerinnen. 

Wenn der Fisch fertig war, kamen meine Tante Erna, Onkel Judels Frau und sein Sohn Herbert zum Essen dazu. Nachmittags ging es dann zum Fußball, zum FC Concordie, da spielte mein Cousin.

„ Ich bünn fardig mit Jack un Büx!“, sagte meine Mutter, wenn ihr Bruder weg war.

„ Nix tun Boxen, nix tun Ringen, keen Klavier non Böhn to bringen!“, meinte mein Vater über meinen Onkel, und lachte über das ganze Gesicht.

Nun komme ich zu den legendären Geburtstagsfeiern in der Lüneburger Heide.

Die Tische bogen sich förmlich unter den Torten-und Kuchenplatten, und alle Geschwister meiner Eltern waren gekommen, samt Kinder.

Je später der Abend, desto lustiger und lauter die Gäste. Und gerade, wenn Tante Erna noch schnell zum Brunsberg wandern wollte, erhob Onkel Judel sich, baute sich in voller Größe vor ihr auf, zog seinen Zündschlüssel aus der Tasche und rief;

„ So, nu wüllt wie no Huus!“  Da gab es kein Heulen und Zähneklappern, und schon gar keine Wanderung auf den Brunsberg mehr. Onkel Judel setzte sich in seinen VW und ließ den Motor an. Wenn Tante Erna und Herbert nicht rechtzeitig im Auto saßen, fuhr er einfach los. 

„ Watt denn een sein Uhl, is denn annern sien Nachtigall!“, meinte mein Vater.

Die Feier ging bis in die frühen Morgenstunden, und Tante Erna tat mir leid.

Er blieb bis zu seinem Tode aber immer mein Lieblingsonkel.

Eine Anekdote habe ich noch. Onkel Judel war ein großer Musikliebhaber, und in der Heide gab es bei den Verwandten den ersten Fernseher.

Onkel Judel durfte dann manchmal mit schauen, wenn Erna Sack, eine berühmte Opernsängerin zu sehen und zu hören war.

Wenn die Frauen sich dann unterhalten wollten, sagte er „ Wüllt ji snacken, oder wüllt ji dor toheuern, sonst go ick runner!“ Damit meinte er die kleine Hütte im Wald, die er manchmal mit seiner Familie bewohnte. 

(© Monika Zelle 13.04.2021)

Haikus Corona April 2021

Haikus Corona April 2021 

Geduldsfadenriss 

Geduld ist eine Tugend

Geduldsprobenaus

+

Tagesspaziergang

Menschen weichen mir nicht aus

Besserwissertum

+

Der Postbote kommt

Er hat noch seine Arbeit

Arbeitslosigkeit

+

Eingesperrt allein

Wie ein Tier im Käfig

Käfigsyndrome

+

Die Sonne scheint hell

Dunkle Gedanken kreisen

Meine Seele weint

+

Die Angst vor Morgen

Jeder Tag neue Sorgen

Sorgentelefon

+

Wer redet mit mir?

Wieder ein trostloser Tag

Wortlosigkeiten

+

Ein Vöglein zwitschert

Was will es mir erzählen?

Hoch oben im Baum

+

Einsame Zeiten

Gruselige Pandemie

Annonymität

+

Kinderspielplatzzeit

Das Mädchen mit den Puppen

Puppentheater

( © Monika Zelle 24.04.2021 )

Hakuna Matata

Hakuna  Matata

Hexe Lilli hat einen Plan. Den kann sie aber nicht alleine bewältigen, dazu braucht sie Hilfe. Und zwar die Hilfe von ihrem besten Freund Pinoccio.

„Hokus Pokus Fidibus, drei mal schwarzer Kater!“, hext sie, und schon ist sie auf ihrem Besen in der Werkstatt des Tischlers Antonio gelandet.

Pinocchio hat Stubenarrest, weil er wieder einmal gelogen hat. Ausnahmsweise darf Hexe Lillie in seine Stube. „ Herrjemine, Deine Nase ist ja schon wieder gewachsen Pinocchio!“, ruft sie. Dann weiht sie ihn in ihren Plan ein. Pinocchio ist begeistert, endlich raus aus dem Haus.

Er bittet und bettelt seinen Meister an, mit Lilli den Plan ausführen zu dürfen.

Verraten darf er ihn natürlich nicht, sonst ist alles für die Katz.

Zuerst weigert Meister Antonio sich und ruft:“ Wo willst du schon wieder mit dieser rothaarigen Hexe hin, das kann doch nicht gut gehen!“

„ Rothaarig?“, kreischt Lilli, „ haben Sie etwa etwas gegen Rothaarige?“

Der Meister bekommt Angst, und schickt die beiden aus der Werkstatt. Immerhin ist Lilli ja  eine Hexe, und wer weiß, was sie so alles hexen kann.

„Hokos Pokus Fidibus drei mal Schwarzer Kater!“, hext Lilli wieder, und schon sind sie unterwegs auf ihrem Besen hoch in den Lüften. 

Pinocchio ist ganz berauscht von der Höhe. Endlich kann er die Welt einmal von Oben betrachten. 

Sie fliegen über Berge, Flüsse, Seen und Meere. Über die Wüste des Landes Afrika, wo es die meisten Kinder gibt.

Jetzt öffnet Lilli ihren Rucksack, und lässt Flugblätter herunter sausen auf denen geschrieben steht: „ Kinder aller Länder vereinigt Euch!“ 

Oder:“ Kinder an die Macht!“ 

So klein wie Stecknadelköpfe bücken die Kinder sich, sammeln die Flugblätter auf und rufen: „ Hakuna Matata!“ 

Pinnocchi schreit Lilli in die Ohren:“ Was heißt das, Hakuna Matata!“

„ Alles in Ordnung!“, schreit Lilli nach hinten, und weiter geht’s über Meere und Kontinente.

Auf der ganzen Welt halten die Kinder nun die Flugblätter in den Händen. Doch noch bevor sie ans Werk gehen können, verseucht ein Virus alle Kontinente der Erde. Während die Kinder noch überlegen, wie sie ihre Welt von dem Teufelswerk befreien können, hat Hexe Lille schon wieder eine Idee:

„ Ene Mene Schneckenschleim, der Stoff soll aus Fledermauskot sein!“, ruft sie. 

„Ja, Fledermauskot, das ist es!“, rufen die Kinder.

Sie brauen dieses übel riechende Zeug mit Kräutern und Gewürzen zusammen, und kochen daraus einen Sud. Hiervon soll nur ein kleines Schlückchen getrunken werden, und schon wird dieses Virus kein einziges Kind befallen. 

So wird es eines schönen Tages nur noch Kinder auf der Welt geben, die ihre Umwelt schützen, keine Kriege führen, und kein Hunger leiden. Ein Leben wie im Paradies.

So hat Lilli sich ihren Plan vorgestellt, und Pinocchio hat an sie geglaubt, und sie tatkräftig unterstützt.

Völlig erschöpft kommen Hexe Lilli und Pinocchio zu Hause an.

In der Werkstatt liegt der Meister Antonio, bereits tot.

( © Monika Zelle 31.03.2021 )

Haikus Corona 3. Welle

Haikus Corona 3. Welle März 2021 

Urlaub auf Mallorca

Im voll besetzten Flieger

Ungerechtigkeit

+

Gran Canaria

Flugzeuge fliegen wieder

Privilegierte

+

Unwegbarkeiten

Auf dem Hinflug getestet

Auf dem Rückflug nicht

+

Solidarität

Egoisten dieser Welt

Machen die Runde

+

Wir sitzen daheim

In der Gefängniszelle

Träume sind Schäume

+

Astra Zeneka

Impfstoff schlechter Güte?

Löst die Grippe aus

+

In der Pandemie

Aus der Zeit gefallen

Wo noch hingehen?

+

Flut ist im Fleet

Kleine Wellen schlagen hoch

Tide wechsel Dich

+

Wolken treiben schnell

Die Flut schlägt an die Deiche

Schimmelreiter kommt

+

Schnelllebige Zeit

Geduld ist eine Tugend

Langsamkeit der Welt

( © Monika Zelle 22.03.2021 )

Haikus Corona April 2021

Haikus Corona  im April 2021 

Endlich ist Frühling

Zartes Grün sprießt überall

Osterspaziergang

+

Sonne strahlend warm

Der Himmel unerreichbar

Hoch am Himmelszelt

+

Berge versetzen 

Wo ist die Zeit geblieben

Enkellebenszeit

+

In Dir ist Leben

Wecke die Lebensgeister

Die Geisterstunde

+

Brainstorming ist In

Die Fantasie anregen

Fantastereien?

+

Einsamkeitsgefühl

Decke fällt mir auf den Kopf

Sonntagsspaziergang

+

Warum noch Leben?

In diesen schlechten Zeiten?

Aussichtslosigkeit?

+

Trostloses Leben

Ein Tag wie der andere

Struktur ist alles

+

Der letzte Abschnitt

Alter nichts für Feiglinge

Mach das Beste draus

+

Der Lockdown bremst aus

Wir könnten in uns gehen

Leben ohne Stress?

+

Die Zahlen steigen

In unendliche Höhen

Kinderkrankheiten

+

Alles grau in grau

Die Zeit spiegelt die Menschen

Pandemiezeitgeist

+

Fridays for Future

Die Kinder verdienen es

Denkt an die Zukunft

+

+Die Hagelkörner

So groß wie kleine Erbsen

Laune der Natur?

( © Monika Zelle 03.04.2021 )

Der Frisör und die Hure

Der kleine Friseurladen in Eppendorf, einem renommierten Stadtteil von Hamburg, war nicht besonders.  Hier wohnten überwiegend wohlhabende Leute.

In diesen Laden verirrten sich allerdings nur Menschen mit eher geringem Einkommen.

Conni wollte sich eigentlich nicht die Haare schneiden lassen, als sie den Frisörsohn zum ersten Mal sah. 

Es war bei einer Arbeitskollegin in Eimsbüttel. Sie sollte auf ihre Kinder aufpassen, als der Frisör Sven hereinschneite, um die Habseligkeiten seines Freundes, der gerade von seiner Frau geschieden war, abzuholen.

Er verliebte sich Hals über Kopf in Conni. Als er sie mit ihrem Alpenveilchen und einer Schallplatte für ihre Eltern zum Hochzeitstag, mit in seine Bude nahm, küssten sie sich zum ersten mal leidenschaftlich.

Conni wunderte sich, das dass Zimmer voller Fernsehgeräte stand, die alle nicht funktionierten.

„ Da hat wohl jemand seinen Beruf verfehlt“, konstatierte sie.

So nahm die Geschichte ihren Lauf. 

Sven machte Conni oft die Haare schön, in dem kleinen Frisörsalon in Eppendorf.

Ja, Haare schneiden konnte er.

Eines Morgens überraschte sein Vater die beiden in dem Hinterzimmer des Salons.

„ Was will die denn hier!“ sagte er, taxierte Conni missbilligend von oben bis unten, drehte sich um, und knallte die Tür hinter sich zu.

Svens  Eltern wollten sie nicht. Sie war ja keine Frisörin.

Als er nach einem halben Jahr Spießrutenlaufen von zu Hause auszog, sagte sein Vater:

„ Du wirst in der Gosse landen mit dieser Frau!“

Weil Conni im Gängeviertel wohnte, dachten die Eltern, sie wäre eine Prostituierte. 

Sie stammte zwar aus einem einfachen Elternhaus, hatte jedoch eine Banklehre absolviert, und war jetzt bei der Stadt beschäftig, verdiente gutes Geld. 

Sven zog bei ihr ein.  Bald fand er einen Job als Techniker bei einer Computerfirma, und arbeitete sich schnell zum Gruppenleiter hoch, obwohl er diesen Beruf nicht erlernt hatte. Ein Naturtalent.

Seine Eltern meinten, er lebe polnisch mit dieser Frau zusammen.

Conni und Sven heirateten an einem sonnigen Tag im September ohne seine Eltern.

Noch einmal besuchten die beiden sie, als Conni schwanger war.

Abfällig sagten sie:“ Wie kann man sich in diesen Zeiten Kinder anschaffen!“

Die 1970iger Jahre waren gute Jahre, während Sven und seine Schwester in den Kriegsjahren zur Welt kamen.

Sven und Conni lebten ein gutes Leben mit ihrem Sohn, später bekamen sie noch eine Tochter.  Besuchte er seine Eltern, sagten sie zu ihm:“ Du kannst jederzeit kommen, deine Bagage hat hier nichts zu suchen.

So sah er die Eltern nie wieder.

Wäre es anders gekommen, wenn sie jemals erfahren hätten, dass ihr Enkelsohn ein Oberstudienrat, und ihre Enkeltochter eine erfolgreiche Marketingfachfrau geworden ist?

 ( © Monika Zelle 23.03.2021 )

Eingekleidete Aufgaben

Eingekleidete Aufgaben

Fröhlich sprang Lina die Treppen hinauf. Endlich Schulschluss. Sie war noch mit ihrer Freundin Margrit verabredet, im Kino. Der Film „ Christine“ mit Romy Schneider lief im Rondeel in der Dithmarscher Straße. Sie freute sich auf den Film mit ihrer Lieblingsschauspielerin.

Als Linas Mutter die Tür der Wohnung in der 3. Etage des Mietshauses öffnete, fiel es ihr siedend heiß ein. Ihre Mathearbeit. Wieder einmal eine Sechs.

„ Na und“, dachte sie bei sich, dafür konnten die anderen Klassenkameraden ihr in den Fächern Englisch, Deutsch und Schwimmen nicht das Wasser reichen, in allen hatte sie eine Eins.

Sie klingelte. 

Ihre Mutter öffnete. In ihrer frisch gebügelten Schürze sah sie zum anbeißen aus.

Sie bügelte jeden Tag, das Glas Coca Cola stand wie immer auf dem Bügelbett.

„ Hast Du deine Mathearbeit heute wieder bekommen Lina?“

„ Nein, wie so?“, log sie, „ Herr Böhme hatte noch keine Zeit, die Arbeit zu korrigieren.“

„ Na ja, sie wird wohl diesmal besser ausgefallen sein, wo wir doch schon so lange die eingekleideten Aufgaben üben.“

Summend wand sich die Mutter wieder ihrer Lieblingsbeschäftigung zu.

Im Radio spielte gerade „ Dein ist mein ganzes Herz“ von Rudolf Schock, dem Lieblingstenor ihrer Mutter.

Lina machte fix ihre Hausaufgaben, und wollte gerade aus der Tür huschen, da rief ihre Mutter:“ Wo willst Du denn hin! Wir wollten doch heute zu Tante Erna rüber, sie hat Geburtstag!“

„ Ich bin mit Margrit im Kino verabredet“, rief sie, und weg war sie.

Ihre Mutter rief ihr aus dem Fenster noch zu:“ Du kannst ja nach kommen !“

Lina winkte noch kurz herauf, dann war sie um die Häuserecke verschwunden.

Als sie am Abend nach Hause kam, noch Tränen in den Augen, weil der Film so traurig war, öffnete ihr Vater die Wohnungstür. Schweigend sah er Lina an.

Er nahm sie nicht wie sonst in den Arm.

Die Mutter saß in der Stube  auf dem Sofa. Vor ihr die Mathearbeit.

„ Hast Du also in meinem Ranzen gesucht!“, sagte Lena etwas vorwurfsvoll, „ Das tut man nicht!“

„ Man lügt aber auch nicht“, sagte ihre Mutter, und wie willst Du im Leben bestehen, wenn Du nicht eins und eins zusammen zählen kannst!“

Als Lina ihren Vater anschaute, der sich inzwischen in den Sessel gesetzt hatte, schüttelte er nur mit dem Kopf.

Er sprach eine ganze Woche nicht mit ihr.

( © Monika Zelle 16.03.2021 )