Modder Lütt
Der Zirkus ist wieder da, am Dulsberg, ein sehr kleiner Zirkus, auf dem Platz mit den Nissenhütten.
Er kam jedes Jahr zweimal mit seinen Seiltänzerinnen, Ponys und einem Clown.
Jeden Tag nach der Schule lief das Kind von Modder Lütt zu dem Zirkus, um die Vorstellung anzuschauen.
Kaum war es dort angekommen, flog das Fenster in der dritten Etage des Mietshauses auf, und Modder Lütt rief ganz laut über den Nissenhüttenplatz nach ihm.
Das brave Kind lief sofort nach Hause, irgendwas war immer. Ein LiterMilch in der Blechkanne holen, Niveacreme vom Drogisten, dessen Namen es immer umdrehte beim Kauf. Vineacreme sagte es, und Herr Heesch der Drogist musste jedes Mal lachen, wenn es die Creme kaufte. Er mochte das Kind sehr, und malte sich aus, dass es später einmal bei ihm in die Lehre gehen könnte.
Und den Leierkastenmann mit seinem Äffchen liebte das Kind ebenso. Es flehte und bettelte Modder Lütt um eine Groschen an, den es dann in den Topf auf dem Leierkasten warf. Der Groschen für den Kolonialwarenladen Kofahl, eingewickelt in Zeitungspapier, war immer erlaubt für einen Lolli, Brausepulver, Lakritzschnecken und Salmis, geklebt als Stern auf den Handrücken, herrlich.
Manche Freunde und Freundinnen taten es ihm gleich, und dann tanzten sie nach der Musik um den Leierkasten herum, und rannten ihm nach, wenn er weiter zog.
Oder die Kinder spielten „ Fischer Fischer wie tief ist das Wasser“ „ Meyersche Brücke“ „ Länder klaun“ und das schönste aller Spiel für das Kind „ Geschichtenball“. Da spielten die Jungs natürlich nicht mit. Die Mädchen warfen dabei einen Ball gegen die Wand des Aschhauses im Hof, dachten sich Geschichten aus. Der Hof war Dreh-und Angelpunkt der Spiele der Kinder. Auch dann flog oft das Fenster von Modder Lütt auf, und das Kind musste wieder irgend etwas einkaufen. Manchmal versteckte es sich hinter dem Aschhaus, hangelte sich an das Spielgerät, und ließt sich lang baumeln. Schweinebummel nannten die Kinder es. Gingen dann die Laternen an, und das Kind kam nach Hause, hagelte es Backpfeifen von Modder Lütt, da war sie unerbittlich.
Eines Tages, als das Kind wieder beim Zirkus verweilte, wusste es, dass Modder Lütt beim Friseur Laubinger war. Meistens musste es dort mit hin, um den Friseurinnen die Lockenwickler zu reichen, auch hier der Plan von Frau Laubinger, das Kind sollte einmal eine Lehre beginnen. Diesmal hatte es sich schnell verkrümelt.
Die Vorstellung war heute kurz, der Zirkus im Aufbruch.
„ Ich fahre mit“, dachte das Kind. Gesagt getan. Lange schon kannte es das Clownsmädchen, und versteckte sich in deren Zirkuswagen. Los gings. Über Stock und Stein in die Welt hinein. Das Kind fühlte sich wie im siebten Himmel.
Das Clownsmädchen brachte ihm zu Essen und zu trinken, und sie erzählten sich wundersame Geschichten.
Modder Lütt war in heller Aufregung, und der Vater sagte: „ Du hest nich opppasst op de Deern.
Es lag natürlich nahe, wo es sich aufhielt. Mit dem Nachbarn Ferdinand Koch, Zuckerlippe genannt, ein Taxenunternehmer, suchte er das Kind drei Tage.
Dann sahen sie das Zirkuszelt im Niedersächsischen auf einer Wiese stehen. Die Vorstellung hatte gerade begonnen. Ferdinand und der Vater setzten sich leise zu den Kindern, und verfolgten das bunte Treiben. Das Kind saß mit offenem Mund da. Noch nie hatte der Vater es so glücklich gesehen. Nun……. jeder Traum geht einmal zu Ende. Die Vorstellung war aus.
Zärtlich berührte der Vater die Schulter seines Kindes. Mit großen braunen Augen schaute es zu ihm auf. Er nahm es bei der Hand, und stieg zu Ferdinand ins Taxi. Zu Hause angekommen, schloss Modder Lütt ihr Kind fest in die Arme, zerdrückte es fast, und küsste das kleine Gesicht.
Zum ersten mal flogen nicht die Fäuste, es hagelte keine Backpfeifen.
Es zog Frieden ein im Hause von Modder Lütt. Und wenn jetzt der Zirkus kam, durfte das Kind alle Zeit der Welt dort verbringen.
( © Monika Zelle 09.03.2021)