Meine Familiengeschichte
Mein Urgroßvater lebte in Süddeutschland, in Rottweil glaube ich, und führte dort eine Buchdruckerei.
Als seine Firma pleite ging, nahm er sich das Leben.
Die Geschichte beginnt kurz nach dem zweiten Weltkrieg in einem Dorf in Vierlanden.
Meine Eltern sind hierher gezogen, weil es in Hamburg nicht genug zu essen gab.
Meine Mutter nähte und strickte für die Bauern, dafür gab es Naturalien.
Mein Vater hatte als Autoschlosser Arbeit bei Hein Gas gefunden, wo er
jeden Tag hart arbeiten musste.
Er stammte aus sehr ärmlichen Verhältnissen, hatte 5 Geschwister.
Den ganzen Sommer über mussten die Kinder barfuß laufen, hatten keine Unterwäsche zum Anziehen. Sie haben alle einen Beruf erlernt, das war meinem Großvater Heinrich wichtig.
Er war Gewerkschafter, demonstrierte für höhere Löhne, Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
Als er einen höheren Posten bei der Gewerkschaft bekam, zog die ganze Familie in eine 4-Zimmer-Wohnung ins Gewerkschaftshaus, mit Badewanne.
Doch dieser Luxus hielt nicht lange an.
Mein Großvater bemerkte, dass Gewerkschaftsbeiträge von den Funktionären veruntreut wurden, und trat aus.
Sie zogen alle wieder um in die Kellerwohnung.
Meine Großmutter zog Bürsten ein, und lief von Haus zu Haus, um sie zu verhökern.
Sie soll eine dicke, herzensgute Frau gewesen sein, die gerne mit einem Kartoffelschälmesser das Fett von der Speckscharte zog und aß.
Wenn das Klo besetzt war, kam es wohl auch vor, dass sie in den Handstein pinkelte.
Sie kochte jeden Tag einen großen Topf Essen.
Kam aber eines ihrer Kinder zu spät nach Hause, war der Topf leer.
Auch mein Vater war Gewerkschaftsfunktionär, und nur dadurch bekamen meine Eltern von der Genossenschaft freier Gewerkschafter nach drei Jahren Vierlanden eine Etagenwohnung in Barmbek Dulsberg.
Das Geld war immer knapp, zu Essen gab es jetzt genug.
Mein Vater schuftete weiter bei Hein Gas, meine Mutter blieb Hausfrau, eine gute Hausfrau, wie man damals sagte. Sie putzte und kochte, nähte und strickte alles selbst, Aus mir sollte mal etwas Besseres werden.
Geld zum Studieren war nicht da.
Dafür studierte aber später der Enkel meines Vaters Germanistik und Anglistik.
Manchmal behauptete er, seine Eltern wären nicht intellektuell, man könne sich nicht richtig mit ihnen unterhalten.
Später verstand er aber, dass er ja nur durch das Bestreben seiner Eltern studieren konnte.
Immerhin hat er es bis zum Oberstudienrat geschafft und ist Medienbeauftragter in seiner Schule.
Das erste Familienmitglied, das einen Hochschulabschluss hat.
Ach nein, by the way, der Bruder meiner Mutter ist nach dem zweiten Weltkrieg nach Amerika ausgewandert, und sein Sohn ist Mathematikprofessor in Pennsylvania.
( © Monika Zelle 18.11.2020 )