Die Perle am Hafenrand

Die Perle am Hafenrand

Es war Anfang der 1970iger Jahre als sie hierher zog.

In eine kleine Wohnung der Genossenschaft freier Gewerkschafter im Gängeviertel,

im Zentrum von Hamburg, nahe des Großneumarktes.

Ihre Arbeit konnte sie zu Fuß erreichen.

Damals wohnten hier ganz normale Leute, nicht reich, aber auch nicht arm.

Die Mieten bezahlbar.

Es gab noch den Schlachter, den Milchmann, die Gemüsefrau, und die Fischfrau um die Ecke. Alles bequem zu erreichen.

Jeden Mittwoch und Samstag war Markt auf dem Großneumarkt.

Doch dann fing er an sich zu wandeln, der Großneumarkt.

Die ganz normalen Kneipen wurden zu Szenekneipen, Yuppies eroberten ihn.

Es wurde laut im Viertel.

Luxuskarossen fuhren viel zu schnell durch die kleine Wexstraße.

Die ganz normalen Menschen fanden keinen Schlaf mehr.

Ende der 1980iger Jahre zog sie mit Mann und Kind von der nördlichen Neustadt in die südliche Neustadt, nahe des Hamburger Michels.

Freunde und Verwandte sagten abfällig: „ Was? Hier wohnst Du?, auf St.Pauli?

Die Reeperbahn war quasi um die Ecke.

Hier in ihrem Viertel lebten auch ganz normale Menschen. Hafenarbeiter, Handwerker,  darunter auch einige sozial schwache Menschen, aber auch Kapitäne, alles bunt durchmischt.

Unterhalb der Michaeliskirche ein Abenteuerspielplatz für Kinder, der nicht besser hätte sein können. Mit vielen alten Bäumen.

Oberhalb,  eine fast bis in den Himmel ragende Platane, die auch schöner nicht hätte sein können. Bestimmt ein halbes Jahrhundert alt.

Mit einer Bank drum herum, auf der Menschen sich ausruhen und das Rauschen der Blätter genießen konnten. Ein Idyll.

Eines Tages war er gefällt, ihr Baum.

Sie weinte, und schrieb ein Gedicht, ähnlich des Liedes von Alexandra „ Mein Freund der Baum ist tot, er fiel im kühlen Morgenrot“.

Viele Platanen folgten. 

Das Verlagshaus Gruner und Jahr wurde aus dem Boden gestampft. Ein Koloss.

Der Abenteuerspielplatz wich einem kleinen Alibispielplatz über einer Tiefgarage.

Der Rodelberg auf der Michelwiese war auch weg, obwohl der SPD Fuzzi ihr versprochen hatte, das der bleiben sollte.

Immer mehr exklusive Wohnungen wurden gebaut, die für die Menschen hier unbezahlbar wurden.

So ganz nebenbei entstand das Portugiesenviertel.

Eine Fressmeile in der Ditmar-Koel-Straße.

Die Spaß-und Fressgesellschaft hielt Einzug.

Die Speisen für Otto-Normal-Verbraucher unbezahlbar.

Die MAZ, Mietenausgleichszahlung, wurde erfunden.

Obwohl ihr Sohn als Student in eine kleine Wohnung umgezogen war, deren Miete sie bezahlte, sowie den Bafögsatz, musste sie aufgrund der MAZ  mehr Miete für ihre Wohnung entrichten.

Viele zogen ins Umland. Die bunte Durchmischung wurde zur Farce.

Reiche überschwemmten die südliche Neustadt.

Die Hafencity wuchs heran, mit ihr Luxuswohnungen vom Feinsten,  immer mehr Hotels.

Entlang des Hafens gläserne Büros, die bis in den Himmel ragten.

Der Mittelstand wurde von den Reichen verdrängt.

Dann sollte der Venusbergpark mit Eigentumswohnungen bebaut werden.

Sie organisierte eine Demo mit den hiesigen Schulen und Kindergärten, 

wurde von Lehrern, Lehrerinnen, Erziehern und Erzieherinnen und natürlich den Kindern unterstützt. Der kleine Park wurde nicht bebaut. Es wurden kleine Nutzgärten angelegt.

Dann munkelte man, an der Ludwig-Erhard-Straße sollte ein Verlagshaus des „Spiegel“ entstehen, direkt bei ihr um die Ecke.

Es gründete sich eine Bürgerinitiative, die mit den Pastoren des Michels dagegen wetterte. Die Anhänger malten Plakate, zogen trommelnd durch ihr Viertel, erstellten eine kleine Zeitung namens „ Apschiet“, sammelten Unterschriften, und reichten diese beim Senat ein. 

Der Bau des Verlagshauses konnte verhindert werden.

Stattdessen wurden auf ihr Drängen einige wenige Sozialwohnungen gebaut.

Direkt daneben dann, fast im selben Atemzug ,wiederum Luxuswohnungen, in die Menschen einzogen, die eigentlich nicht hierher passten.

Plötzlich sollten Mietwohnung rund um die Rehhoffstraße in Eigentumswohnungen umgewandelt werden. 

Auch das verhinderte die INI mit der Einführung der sozialen Erhaltungssatzung, die 10 Jahre währen sollte, und dann noch 10 Jahre verlängert wurde. 

Sie blieb mit ihrer Familie hier wohnen.

Das Viertel verändert sich immer mehr. 

Jede Lücke wird bebaut, alte Häuser abgerissen, deren Mieter hier Jahrzehnte wohnen.

Es gibt wieder Vertriebene.

Und dann die Veranstaltungen, mit denen sie hier überschwemmt werden.

Hafengeburtstag, G-Moove, Schlager Moove, Motorradgottesdienst, Bachtage, Dom, Harley Davidson Tage, St.Pauli Spiele, und last but not least, die bis zum Himmel stinkenden Kreuzfahrtschiffe, nicht zu vergessen, die Elfie, die dem Steuerzahler mit 800 Millionen Euro zu Buche schlägt.

Das Viertel wird förmlich zugeschissen mit Festen und Touristen.

Heute rümpfen ihre Freunde und Verwandte nicht mehr die Nase.

Jetzt sagen sie: Oh, hier wohnst Du? 

( © Monika Zelle 08.12.2020 )

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