Abschied
Ich hatte Fieber.
Hohes Fieber.
In der Nacht vom 8. Auf den 9. Mai 1972.
27 Jahre nach der Befreiung.
Ich schreckte hoch.
Das Telefon klingelte.
Laut.
Mein Fieber war weg.
Dann die Nachricht.
Ich konnte es nicht fassen.
Niemand aus der Familie hatte mir etwas gesagt.
Niemand.
Warum nicht?
Ich war 25 Jahre alt.
Natürlich wusste ich, dass Papa krank war.
Aber doch nicht so krank.
Ja, er hatte immer so eine rote entzündete Nase.
Aber wie sollte ich wissen, dass es so eine Krankheit war.
Blutkrebs.
Viele Handwerker bei den Hamburger Gaswerken, wo Papa beschäftigt war, hatten diese Krankheit.
Eine Benzolvergiftung.
Vom Reinigen der Maschinen mit diesem Teufelszeug.
Und nun?
Papa war tot.
Einfach so gestorben.
Im Krankenhaus.
Ganz allein.
Ich konnte mich nicht einmal von ihm verabschieden.
Von dem Menschen, der das Liebste auf der Welt für mich war.
Ich war traumatisiert.
Mit Tante Lotte, seiner Schwester holte ich die Kleidung von Papa aus dem Krankenhaus ab.
In einem blauen Sack.
Die Trauerfeier.
400 Trauergäste.
Wie bei einem Staatsakt.
Passten alle gar nicht in die Trauerhalle.
Papa kannte viele Leute.
Kollegen, Gewerkschafter, Sportsfreunde, und….die Familie.
Eine große Familie.
5 Geschwister hatte er.
Alle sehr alt geworden.
Jeden Tag ging ich nun an sein Grab.
Ich saß dort auf einer Bank, und schaute auf die Grabstelle.
Ein roter Grabstein mit einer Welle.
Papa war Leistungssportler.
Schwimmen.
Und nun sollte er tot sein?
Ich sollte ihn nie wieder sehen?
Ein Abschied für immer?
Undenkbar.
Ich vermisse meinen Papa noch immer.
( © Monika Zelle 01. September 2020 )