Karin
Als ich zum ersten mal wieder an einem Klassentreffen teilnahm, hatte ich meine Klassenkameraden 45 Jahre nicht gesehen.
Karin hatte mich telefonisch kontaktiert, und ihre erste Frage war:“ Was macht denn Dein Mann?“ „ Meinem Mann geht’s gut!“, war meine Antwort. Sie meinte aber etwas anderes.
Wolfgang hatte Christa und mich vom Hauptbahnhof abgeholt. Gemeinsam sind wir nach Lankau in unser Schullandheim in die Holsteinische Schweiz gefahren.
Als ich dort aus dem Auto stieg stand mein Klassenlehrer Herr Böhme plötzlich vor mir.
Wir waren alle so um die 60 Jahre alt, unser Lehrer circa 75 Jahre.
„ Du siehst toll aus, Monika!“, bemerkte er.
„ Ich gehe ja auch jeden Tag zum Schwimmen!“, meine Antwort.
„ Ich schwimme auch jeden Tag!“, sagte mein Lehrer. Alle lachten.
Die meisten meiner Klassenkameraden erkannte ich sofort wieder, sie mich auch.
Karin nahm mich sofort in Beschlag, und wich nicht wieder von meiner Seite.
Eigentlich mochte ich ihre weinerliche Stimme nicht.
Das Treffen wurde ein voller Erfolg.
Zu Karin nahm ich keinen telefonischen oder persönlichen Kontakt mehr auf.
Das nächste Treffen war ein paar Jahre später auf der Hallig Langeneß.
Unser Lehrer fuhr auf einer Klassenreise mit uns hierher, als wir 10 Jahre alt waren.
Ein Erlebnis.
Als Kinder schliefen wir hier noch auf dem Heuboden, wuschen uns mit kaltem Wasser, und putzten unsere Zähne mit Salzwasser.
Jetzt bezogen wir auf einer Warft ein modernes Haus mit Duschen und beheizten Zimmern.
Bernd, der diese Reise organisiert hatte, sprang als erster in die höchstens 12° kalte Nordsee. Ich tat es ihm nach. Als abgehärtete Schwimmer machte uns die Kälte nichts aus.
Auch auf diesem Treffen wich Karin nicht von meiner Seite, was mir nicht gefiel.
Als Kind hatte ich ihr immer bei den Deutschhausaufgaben geholfen.
Nach diesem Treffen rief sie mich einige Male an.
Die Klasse traf sich von nun an jeden 2. Dienstag im April in einem Restaurant in Wandsbek, immerhin noch fast 20 Schüler und Schülerinnen, und unser Lehrer, der mittlerweile über 80 Jahre alt war.
Nach dem ersten Treffen fuhr ich mit zu Karin nach Hause.
Blitzsauber und peinlichst aufgeräumt, ihre Wohnung.
Nicht mein Ding.
Dann starb ihr Ehemann an Lungenkrebs, was mir leid tat, mich aber nicht veranlasste, sie öfters anzurufen. Ganz im Gegensatz zu ihr.
Auf ihr Drängen besuchten mein Mann und ich sie dann doch. Wir spielten Rummykub .
Mit Kaffee, Kuchen und Abendbrot hatte sie sich viel Mühe gegeben.
Sie hatte sich verändert, war bestimmter und selbstbewusster geworden. Bei Problemen stand sie mir mit Rat und Tat zur Seite. Auch ich verstand sie besser, und kümmerte mich um sie.
Sie besuchte uns zu Hause, und wir hatten eine gute Zeit. Auch ich gab mir große Mühe, sie gut zu bewirten.
Bis heute macht uns das Rummykub Spielen sehr viel Spaß, und wir sind noch im hohen Alter beste Freundinnen geworden, und immer füreinander da.
( © Monika Zelle 12.08.2020 )