Nach Hause kommen

Nach Hause kommen.

Sie fährt so gern dorthin.

Nach Dänemark, an den Ringkoebingfjord in der Nähe von Hvide Sande. 

Jedes Jahr wieder in dieses geräumige Steinhaus, wo sie, wie zu Hause, ihr eigenes Zimmer bezieht, um in Ruhe zu lesen, zu schreiben und vor allem zu schlafen.

Sieht sie morgens aus ihrem Fenster, geht die Sonne über der hohen Düne auf, die sie schon so oft bestiegen hat.

Von hier aus schaut sie weit über den Fjord, auf der anderen Seite kann sie bei klarer Sicht die Nordsee sehen.

Wenige Schritte von ihrem Haus entfernt, liegt der malerische Hafen, von dem die Fischer mit ihren Booten hinaus auf den Fjord fahren, um mit einer Ladung Fische wieder nach Hause zu kommen.

Am Fenster des Wohnraumes verbringt sie viel Zeit in einer gemütlichen Sitzecke mit Lesen.

Ihre Traumecke.

Der weite Fjordblick.

Manchmal wandert sie zu Fuß nach Hvide Sande, durch eine Dünenlandschaft, die Seinesgleichen sucht.

Begegnet sie Wanderern zu Fuß oder zu Pferd, grüßt sie freundlich, und wünscht einen guten Tag.

Bummelt sie durch Hvide Sande, führt ihr Weg als erstes zu Karen in den Töpferladen.

Karen macht hier alles selbst.

Ein paar Ohrringe wechseln immer die Besitzerin.

Dann geht`s zur Räucherei, leckeren Fisch essen, und im Cafe ein Softeis.

Am liebste allerdings zieht es sie ans Meer, sich den Wind um die Nase wehen lassen, mit bloßen Füßen im Sand, ihren Gedanken freien Lauf lassen, oder bei wenigen Graden Wassertemperatur nackt in die Nordsee springen.

Abends.

Der Sonnenuntergang.

Bei einer Flasche Bier.

Am Meer.

Am liebsten noch im Meer.

Würde sie gerne leben.

In Dänemark.

Mit den glücklichsten Menschen der Welt.

Vor Achtundvierzig Jahren hat sie Hvide Sande mit ihm besucht

Sie haben gezeltet.

Direkt an einer Düne.

Von oben konnte sie auf der einen Seite die Nordsee, auf der anderen Seite den Fjord sehen.

Dann kam das Gewitter.

Zitternd saß sie im Zelt.

Er sprang drum herum.

Die Heringe befestigen.

Nie wieder zelten.

Nach Hause will sie nicht, wenn sie hier ist.

Und überhaupt.

Am liebsten wäre sie immer unterwegs.

Nie irgendwo ankommen.

Nie wieder nach Hause kommen.

Außer in ihr Fjordhaus.

Das ist sie zu Hause.

( © Monika Zelle 25.08.2020 )

Karin oder das Wiedersehen

Karin

Als ich zum ersten mal wieder an einem Klassentreffen teilnahm, hatte ich meine Klassenkameraden 45 Jahre nicht gesehen.

Karin hatte mich telefonisch kontaktiert, und ihre erste Frage war:“ Was macht denn Dein Mann?“ „ Meinem Mann geht’s gut!“, war meine Antwort. Sie meinte aber etwas anderes.

Wolfgang hatte Christa und mich vom Hauptbahnhof abgeholt.  Gemeinsam sind wir  nach Lankau in unser Schullandheim in die Holsteinische Schweiz gefahren.

Als ich dort aus dem Auto stieg stand mein Klassenlehrer Herr Böhme plötzlich vor mir.

Wir waren alle so um die 60 Jahre alt, unser Lehrer circa  75 Jahre.

„ Du siehst toll aus, Monika!“, bemerkte er.

„ Ich gehe ja auch jeden Tag zum Schwimmen!“, meine Antwort.

„ Ich schwimme auch jeden Tag!“, sagte mein Lehrer. Alle lachten.

Die meisten meiner Klassenkameraden erkannte ich sofort wieder, sie mich auch.

Karin nahm mich sofort in Beschlag, und wich nicht wieder von meiner Seite.

Eigentlich mochte ich ihre weinerliche Stimme nicht.

Das Treffen wurde ein voller Erfolg.

Zu Karin nahm ich keinen telefonischen oder persönlichen Kontakt mehr auf.

Das nächste Treffen war ein paar Jahre später auf der Hallig Langeneß.

Unser Lehrer fuhr auf einer Klassenreise mit uns hierher, als wir 10 Jahre alt waren.

Ein Erlebnis.

Als Kinder schliefen wir hier noch auf dem Heuboden, wuschen uns mit kaltem Wasser, und putzten unsere Zähne mit Salzwasser. 

Jetzt bezogen wir auf einer Warft ein modernes Haus mit Duschen und beheizten Zimmern.

Bernd, der diese Reise organisiert hatte, sprang als erster in die höchstens 12° kalte Nordsee. Ich tat es ihm nach. Als abgehärtete Schwimmer machte uns die Kälte nichts aus.

Auch auf diesem Treffen wich Karin nicht von meiner Seite, was mir nicht gefiel.

Als Kind hatte ich ihr immer bei den Deutschhausaufgaben geholfen.

Nach diesem Treffen rief sie mich einige Male an. 

Die Klasse traf sich von nun an jeden 2. Dienstag im April in einem Restaurant in Wandsbek, immerhin noch fast 20 Schüler und Schülerinnen, und unser Lehrer, der mittlerweile über 80 Jahre alt war.

Nach dem ersten Treffen fuhr ich mit zu Karin nach Hause.

Blitzsauber und peinlichst aufgeräumt, ihre Wohnung. 

Nicht mein Ding.

Dann starb ihr Ehemann an Lungenkrebs, was mir leid tat,  mich aber nicht veranlasste, sie öfters anzurufen. Ganz im Gegensatz zu ihr. 

Auf ihr Drängen besuchten mein Mann und ich sie dann doch.  Wir spielten Rummykub .

Mit Kaffee, Kuchen und Abendbrot hatte sie sich viel Mühe gegeben.

Sie hatte sich verändert, war bestimmter und selbstbewusster geworden. Bei Problemen stand sie mir mit Rat und Tat zur Seite. Auch ich verstand sie besser, und kümmerte mich um sie.

Sie besuchte uns zu Hause, und wir hatten eine gute Zeit. Auch ich gab mir große Mühe, sie gut zu bewirten. 

Bis heute macht uns das Rummykub Spielen  sehr viel Spaß, und wir sind noch im hohen Alter beste Freundinnen geworden, und immer füreinander da.

( © Monika Zelle 12.08.2020 )

Aila

Aila

Aila wo bist Du? Warum schreibst Du nicht mehr?

Kannte sie Aila eigentlich richtig?  Doch meinte sie, Aila durch ihre vielen Briefe kennen zu müssen.

Dann kamen keine Briefe mehr.

Sie erinnerte sich an die wenigen Besuche in Heide, an die warme, durch einen Holzofen beheizte große Küche, wenn Aila, ihr Mann und ihr Sohn mit ihr am Küchentisch saßen, leckere von Aila selbst gemachte Pizza aßen, und danach Karten spielten.

Später ging sie mit Aila in ihr Refugium, ein Nähzimmer, wo Stoffe und Wolle aufgetürmt um die Nähmaschine herumlagen, die fast nicht mehr zu sehen war.

Sie gingen stundenlang in Wald und Feld spazieren, tauschten sich aus über Sorgen und geheime Wünsche, oder sie schwiegen, und lauschten dem Rauschen der Wälder und dem Zwitschern der Vögel.

Jetzt erinnerte sie sich plötzlich, dass Aila ihr einmal von einer Liebschaft in St.Peter Ording erzählt hatte. Sie hatte Haus und Hof Hals über Kopf verlassen.

War dann aber doch reumütig nach Hause zurückgekehrt.

Was war das für eine Liebschaft? Wie sah der Mann aus? Warum hatte Aila sich so unsterblich in diesen Mann verliebt. Darüber hatte sie nie gesprochen.

Morgen würde sie noch einmal in Heide anrufen, und den ebenso schweigsamen Mann wie Sohn fragen.

Einmal hatte sie wegen einer schweren Migräne stundelang in Aila`s Garten auf einer Liege verbracht. 

Aila mochte keine Krankheiten, und auch nicht darüber sprechen.

Sie zeigte ihr lieber, wie man Männersocken am praktischsten zusammen legt.

Sie sprachen und schrieben meistens op Platt. 

Dat wär eehre Modersprook.

Sie waren beide in demselben Stadtteil von Hamburg aufgewachsen.

Nein, anrufen würde sie die beiden Drömels lieber nicht noch einmal, hatte Aila`s Mann sie einst ziemlich schroff am Telefon abgefertigt.

„ Aila ist eben weg!“

Jetzt erinnerte sie sich daran, dass Aila einmal zu ihr sagte, sie würde zum Sterben in den Wald gehen. Auf  keinen Fall wollte sie in einem Krankenhaus oder Pflegeheim dahin vegetieren, dann lieber wie ein Tier sterben.

Aber wann sollte das sein? Wie weiß sie, dass sie sterben muss?

Ob Aila schon tot ist? Das hätte man ihr doch aber mitteilen können.

Ihre Briefe fehlten ihr so.

Aila hatte sie sogar einmal in Hamburg besucht, als sie sich den Fuß verstaucht hatte.

Sie waren zusammen Eis essen gegangen.

Immer wenn sie über den Nord-Ostsee-Kanal nach Dänemark fuhr, schaute sie sehnsüchtig über den Kanal, und ihre Gedanken waren bei Aila.

Aila, wo bist Du?

( copywrite Monika Zelle 02.10.2013)

Am Bahnhof

Am Bahnhof

Genug ist genug.

Am Pferdekopf in der Einöde mitten im Wald der Lüneburger Heide.

In einem schicken Kostüm und hochhackigen Pumps stöckelt Tante Gertrud den Waldweg entlang. 

Sie hat sich stadtfein gemacht.

Eine Landpomeranze war sie noch nie.

Und ausgehalten hat sie es in der Heide auf ihrem Grundstück höchstens 14 Tage lang.

Sie muss wieder den Duft der großen weiten Welt riechen.

Stadtluft schnuppern, auf den Dom und ins Kino gehen.

Einkaufen in der Mönckebergstraße bei Karstadt.

Das ist ihre Welt.

Papa und ich begleiten sie auf dem Weg drei Kilometer durch den Wald nach Holm-Seppensen. 

Hohe Kiefern säumen den Weg. Lichtdurchflutet fallen die Sonnenstrahlen wie kleine Sternschnuppen auf die drei hernieder.

Sie erreichen den kleinen um die Jahrhundertwende erbauten Bahnhof.

Ein Fachwerkhaus wie auf einer Miniatureisenbahnanlage.

In einer halben Stunde kommt der Triebwagen nach Buchholz.

Bei Lorenz, dem einzigen Feinkostladen im Dorf, kauft meine Tante frische Brötchen, Butter und Leberwurst.

Wir setzen uns auf die Bank an der Bahnstation.

Ein Messer hat Tante Gertrud immer dabei.

Sie schneidet die Brötchen auf, schmiert Butter und Leberwurst drauf, und reicht Papa und mir eines.

Es schmeckt köstlich an der frischen Waldluft.

Der Gedanke, dass meine Tante jetzt in die Stadt fährt, macht mich ganz nervös.

Bittend schaue ich Papa an:

„ Ich möchte mit nach Hamburg fahren!“, bettle ich.

„ Das muss ich erst mit Deiner Mutter besprechen!“, meint er.

„ Die sagt sowieso nein!“, wende ich ein“, und sehe jetzt schon ihren bösen Blick.

„ Lasse sie doch mitfahren, Bruno!“, sagt meine Tante zu ihrem Bruder,

ist doch nur eine Woche.

„ Monika hat doch gar keine Sachen dabei“, meint Papa.

„ Die kaufe ich ihr in Hamburg, kein Problem!“, sagt Tante Gertrud.

Papa schüttelt mit dem Kopf und sagt:“ Meinetwegen.“

Glücklich schaue ich ihn an, meinen Papa, gutmütig, verständnis-und liebevoll wie immer.

Der Bummelzug fährt ein.

An der Hand meiner Tante steige ich in den Zug, winke meinem Papa lachend zu, und denke an meine Mutter.

Was wird sie dazu sagen?

( © Monika Zelle 04.08.2020 )

Wenn sie nicht….dann hätte sie nicht….

Wenn Sie nicht… dann hätte Sie nicht…

Wenn Sie nicht 1971 bei der Standard Bank Limited gekündigt hätte, dann hätte Sie  nicht im selben Jahr bei der Behörde angefangen, und dort ihre Kollegin Helga kennen

gelernt.

Wenn Sie nicht im März 1973 auf Helgas beiden Kinder aufgepasst hätte, dann hätte sie dort nicht ihren früheren Verlobten und späteren Mann getroffen, der sich sofort in Sie verliebt hat.

Wenn Sie nicht mit einer Langspielplatte von Udo Jürgens und einer Azalee für ihre Eltern zum Hochzeitstag an dem Abend noch mit zu ihm gefahren wäre, dann hätte er Sie nicht einfach geküsst, und Sie wäre heute nicht 47 Jahre mit ihm verheiratet.

Wenn er nicht 1973 ihr Ehemann geworden wäre, dann hätte Sie nicht 1975 ihren Sohn Stefan zur Welt gebracht.

Wenn Sie nicht ihren Sohn bekommen hätte, dann hätte Sie vielleicht doch vorher nach Australien auswandern können.

Wenn Sie nicht 5 Jahre nach der Geburt ihres Sohnes noch ihre Tochter zur Welt gebracht hätte, dann hätte Sie nicht nach der Geburt eine schwere Erkrankung bekommen.

Wenn Sie nicht diese beiden Kinder groß gezogen hätte, dann wäre Sie vielleicht jetzt in Australien verheiratet, oder hätte sich dort mit ihrer Cousine selbständig gemacht.

Wenn Sie nicht den jetzigen Vater ihrer Kinder geheiratet hätte, dann wäre auch nicht ihre Enkeltochter Lea auf der Welt.

Wenn Sie nie geheiratet hätte, dann hätte Sie wahrscheinlich beruflich die Karriereleiter  erklommen,  immer Vollzeit gearbeitet,  viel mehr Geld verdient, und wäre jetzt nicht so eine arme Rentnerin.

Wenn Sie nicht ihre Mutter 10 Jahre gepflegt hätte, dann wäre Sie nicht an den Schultern operiert worden, weil viel zu viel Gewicht auf ihnen lastete.

Hätte, hätte Fahrradkette.

Was wäre wenn.

Es ist aber nicht so, wie wäre es wenn.

Es ist wie es ist.

Nützt ja nichts. 

( © Monika Zelle 28.07.2020 )

6-Minutentext Schreibwerkstatt

Himmel

Sternengewimmel

Zum ersten Mal in der Stadt

Was Corona nicht alles zu bieten hat

Saubere Luft

Leere Straßen

Und Gassen

Ruhe 

Wie auf dem Land

Das ist unbekannt

Im Stadtgewimmel

Ein klarer Sternenhimmel

( © Monika Zelle  03.08.2020 )