Meine Freundin Helga

Meine Freundin Helga

Liebste Helga,

wie geht es Dir?

Wir haben lange nichts voneinander gehört.

Eigentlich seit Corona.

Wir telefonierten noch einmal, als die Pandemie ausgebrach.

Du regtest Dich furchtbar auf, dass Du nun nicht mehr in Dein Fitnessstudio gehen konntest.

Drei mal in der Woche gingst du dort hin, um Deinen Körper fit zu halten.

Und dann Dein Italienischkurs, der nun virtuell stattfinden musste, und das nur über Deinen Mann möglich war, weil Du weder einen Computer noch ein Smartphone besitzt.

Ich gebe zu, ich klagte auch darüber, dass ich nicht schwimmen gehen konnte, und nicht in meine Schreibwerkstatt.

Für mich war und ist es allerdings immer noch am schlimmsten, das ich meine Lieben nicht umarmen und knuddeln kann, sehen kann ich sie ja inzwischen wieder.

Auch meine Enkelin, die Du immer grüßen und herzen ließest in Deinen Briefen.

Ich schreibe immer noch Leas Tagebuch, Stell Dir vor.

Ja, wir beide haben uns viele Briefe geschrieben in den letzten Jahren, in denen wir unsere intimsten Gefühle miteinander teilten. Unsere imaginären Sexpartner, mit denen wir heimlich unsere Männer betrogen.

Junge Männer aus unserem Bekanntenkreis.

Du bist ja immerhin schon 79 Jahre geworden.

Ich habe Dir nicht zu Deinem Geburtstag gratuliert. Sorry.

Aber nach unserem Telefongespräch war es mir nicht möglich.

Wegen Corona wollte ich im Moment keine Briefpost von Dir haben, aufgrund der Schmierbakterien, die sich auf dem Papier befinden könnten.

Es hieß, dass sie sich mehrere Wochen halten.

Ich bat Dich, mir die E-Mail Adresse Deines Mannes zu geben, damit ich Dir meine Geschichten, die Du immer so liebtest, schicken kann.

Du sagtest zu mir, Dein Mann hätte schon genug mit deinem Italienischunterricht zu tun.

Ich sagte zu Dir:

„ Dann müssen wir eben telefonieren, und ich lese Dir die Geschichten vor.“

So endete unser Gespräch.

Zugegeben, ich war beleidigt, dass Du mir nicht diese E-Mail Adresse geben wolltest.

Bis jetzt haben wir nichts mehr voneinander gehört.

Corona wütet seit mehr als drei Monaten.

Manchmal haben wir uns auch getroffen. 

Immer irgendwo in einem schicken Restaurant.

Da haben wir dann stundenlang gesessen, und uns über Gott und die Welt unterhalten.

Nein,  nicht über Gott und die Welt, das wäre super gewesen.

Meistens hast Du über die Unzulänglichkeiten und Aussehens Deines Körpers und Deines Alters gejammert.

Du kannst nicht alt werden, Helga.

Du hast immer gesagt und geschrieben, ich wäre Deine beste Freundin.

Ich Dir auch.

Waren wir wirklich beste Freundinnen?

Sollte ich diesen Brief abschicken, wünsche ich Dir liebe Helga, trotz Corona,

dass Du entspannt Deinem Alter entgegensiehst.

Vielleicht kannst Du ja auch schon wieder in Dein Sportstudio gehen.

Und jammere nicht auf hohem Niveau. 

Du hast oder hattest ein tolles Leben.

Ich umarme Dich

Deine Moni

( © Monika Zelle 23.06.2020 )

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