Das Steckenpferd, das bei uns zu Haus herumgaloppierte, konnte man in form von Büchern finden, und zwar überall in unserer Wohnung verteilt.
Ungeordnet , aber wenn wir eines suchten, wussten wir sofort, wo wir es finden würden.
Der einzige in unserer Familie, der es nicht so mit Büchern hatte, war mein Bruder.
Mein erstes Buch, das ich bewusst selbst lesen konnte, hieß „ Elle Kari“.
Es handelte von einem kleinen Mädchen aus Lappland, das mit seinen Eltern, seinen Geschwistern und seinem Hund Tjappo in einer Jurte hoch oben im Norden Skandinaviens lebte. Als ich das Buch geschenkt bekam, lies ich es wochenlang nicht aus den Fingern, es war mein ständiger Begleiter. Auch ich wollte damals unbedingt in einer Jurte leben.
Elle Kari kam dann viele Jahre später bei meiner ehrenamtlichen Tätigkeit als Vorleserin in einer Förderschule zum Einsatz.
Die Kinder dort konnten mit 10 Jahren noch nicht lesen.
Zu Hause bei ihnen gab es zwar viele Kinder, aber leider keine Bücher.
Wenn sie Geburtstag hatten, schenkte ich ihnen ihr erstes Kinderbuch.
Ich sehe noch die Freude in ihren Gesichtern, wenn sie es in ihren Händen hielten.
Als ich noch nicht lesen konnte, verging kein Abend, an dem mein Vater oder meine Mutter mir nicht vorlasen oder vorsangen.
Mein Vater las mir oft das Gedicht „Der Erlkönig vor, dann weinte ich mich in den Schlaf.
Heute hypnotisiere ich meine Enkelin mit Büchern.
Wenn sie bei mir schläft, lese ich ihr abends mindestens noch vier bis fünf Bücher vor, die sie aus ihrem eigenen Bücherregal bei uns angeschleppt hat.
Lese ich ein Wort falsch, berichtigt sie mich sofort, denn sie kennt die Texte inzwischen alle auswendig.
Ihr Lieblingsbuch ist „ Mama Muh liest“.
Auch in meinen Jugendjahren verbrachte ich die meiste Zeit mit Lesen.
Zu der Zeit verschlang ich die Romane von John Knittel, aber auch Kafka, Kästner, Heine, Fallada, Simmel, Francoise Sagan und viele andere Bücher von bekannten Autoren gehörten zu meiner bevorzugten Lektüre.
Zu der Zeit durften die Bücher jener Autoren ja zum Glück wieder gelesen werden.
In den 1930iger Jahren hat mein Vater viele Bücher von ihnen auf unserem Grundstück in der Lüneburger Heide in einer Eisenkiste vergraben, damit sie nicht verbrannt wurden.
Leider haben wir sie dort nie wieder gefunden.
Heute besitze ich an die tausend Bücher, auch nicht geordnet. Es gibt zwar Regale, aber viele liegen überall in unserer Wohnung herum, und es kommen immer noch welche hinzu.
Hatte ich früher einen Freund, war die erste Frage meines Vater:“ Gibt es dort Bücher bei denen zu Hause?“
Eine Wohnung ohne Bücher war für uns eine leblose Wohnung.
Nur Bücher beleben einen Raum und machen ihn gemütlich, hieß es, und „ Lesen bildet“.
Das zweite Steckenpferd, was in der Familie herumgaloppierte, war das Schwimmen.
Unsere ganze Familie war schwimmverrückt, nur mein Bruder nicht.
Ich lernte es schon mit 4 Jahren. Mein Vater war ehrenamtlicher Schwimmlehrer im Schwimmverein Vorwärts.
Mein Onkel brachte als Schwimmmeister Schülern im Schwimmbad Hessepark das Schwimmen bei.
Meine Eltern waren begeisterte Schwimmer, die auch nicht davor zurückschreckten, die Elbe bei Krauel zu durchschwimmen, obwohl die Strömung nicht ungefährlich war, und zwei Kinder zu Vollwaisen geworden wären, hätten sie es nicht zurück geschafft.
Einmal war meine Mutter unter Wasser in eine Nebenkammer einer Kiesgrube geraten.
Da sie aber so eine gute und besonnene Taucherin war, ist sie dort wieder herausgekommen.
Im Schwimmverein hatten meine Eltern sich kennen und lieben gelernt.
Als ich viele Jahre später arbeitsbedingt an einer Arthrose in der Schulter litt, habe ich diese Erkrankung neben einer OP nur durch tägliches Schwimmtraining besiegt.
Nun das letzte Steckenpferd.
Meine Mutter war eine große Liebhaberin klassischer Musik.
Rudolf Schock und Anneliese Rothenberger waren ihre Lieblingssänger.
Ihr Vater, der einst ein reicher Müllersohn war, hatte sie für diese Musik begeistert.
Sie hatte 5 Geschwister, und alle hatten sich selbst ein Musikinstrument beigebracht.
Meine Mutter hatte wie ihr Vater eine wunderschöne Stimme, die sie mir und meinen Kindern vererbt hat.
( © Monika Zelle 03.01.2020 )