Ich

 

 

Zeitweise dachte ich, ich wäre gar nicht das Kind meiner Eltern, sondern das Kind meiner angeheirateten Tante, der ich, meiner Meinung nach, viel ähnlicher sah, als meinen Eltern.

Da gab es dann noch meinen Cousin, den Sohn meiner Tante, der mir ähnelte, wie ein Ei dem anderen, so dass ich der festen Überzeugung war, er ist mein Zwillingsbruder.

Mit dieser Annahme trieb ich meine Eltern zur Verzweiflung.

Meine Mutter stellte dann eine ganz logische Rechnung auf.

„ Dein Cousin kam am 10. Dezember 1947 zur Welt.

Du bist am 26. Mai 1947 geboren.

Wie soll Deine Tante schon nach einem halben Jahr wieder ein Kind geboren haben?

Das geht nach Adam Riese überhaupt nicht.

Wer war Adam Riese.

Kannte ich nicht.

Wollte ich auch gar nicht kennen.

„ Wir sind ein Zwillingspaar.

Ihr habt das Geburtsdatum gefälscht!“ behauptete ich.

Meine Mutter verdrehte die Augen und schwieg.

Ich verkroch mich in mein Zimmer, und grübelte, von wem ich wohl abstammte.

„ Vielleicht habt ihr mich adoptiert?“ fragte ich meine Mutter.

Sie holte meine Geburtsurkunde aus der Schublade, in der die Familiendokumente aufbewahrt wurden.

„ Hier, sagte sie, schau, lesen kannst Du ja schon!“

Da kann ja viel stehen, dachte ich, so kurz nach dem Krieg war alles möglich.

Bestärkt wurde ich in meiner Annahme noch durch meine Freundin Christa.

Auch sie glaubte, nicht das leibliche Kind ihrer Eltern zu sein.

„ Das schlimmste sei, dass sie uns nicht einmal gefragt haben, ob wir ihre Kinder werden wollen!“ philosophierten wir.

„ Bei so einem strengen Vater hätte ich niemals Kind werden wollen“, sagte meine Freundin.

Meine Mutter verpasste mir fast jeden Tag eine Ohrfeige, da hätte ich auf ihr Kind sein auch gut verzichten können.

Meine Tante war viel freundlicher, und ich beschloss, zu ihr zu ziehen.

Wie schön wäre es, jeden Tag mit meinem Zwillingsbruder verbringen zu können.

Daraus wurde leider nichts.

Mein gutmütiger Vater wollte auf keinen Fall auf mich verzichten.

Ich eigentlich auch nicht.

Ich war doch seine Prinzessin.

 

 

( copywrite Monika Zelle  21. November 2016 )

 

 

 

 

Die Hand meiner Mutter

 

Karin, Marion, Ingrid und ich spielten, wie fast an jedem Tag, in unserem Innenhof am Aschhaus Geschichtenball.

Die Hoftüren, über die man durch das Treppenhaus die Straße erreichen konnte, waren meistens abgeschlossen, damit wir Kinder nicht auf die Straße laufen konnten.

Wir hatten in diesem Hof alles was wir brauchten, sogar zwei Klettergerüste und eine Sandkiste.

Karin Rieck konnte die spannendsten Geschichten erzählen.

Wenn sie den Ball runter fallen ließ, kam die nächste von uns dran.

Der Müll im Aschhaus roch bestialisch.

Gefesselt von unseren Geschichten bemerkten wir den Gestank nicht mehr.

„ Es war einmal eine dicke alte Frau……..“, sagte ich gerade, als das Küchenfenster in der dritten Etage unseres Mietshauses aufflog.

Meine Mutter lehnte sich heraus und schrie:“   M O N I K A  !“

Ich lief zum Fenster:“ Was ist denn schon wieder?“

„  Ich habe die Milch für die Pfannkuchen vergessen, lauf mal schnell zum Milchmann!“

Eingewickelt in Zeitungspapier flog die verbeulte Blechmilchkanne mit dem Heiermann aus dem Fenster.

In Windeseile erledigte ich die mir aufgetragene Aufgabe, Widerreden waren zwecklos.

Die Geschichten am Aschhaus hatten ihren Lauf genommen, ich hatte das meiste verpasst, und war wütend.

Karin sagte:“ Wir müssen uns etwas überlegen wegen Deiner Mutter!“

Fragend schauten Marion, Ingrid und ich sie an:“ Was meinst Du damit?“

Am nächsten Tag, dasselbe Theater. Ich wollte gerade anfangen, meine Geschichte von gestern weiter zu erzählen, als wieder das Fenster aufflog, und meine Mutter meinen Namen rief.

Blitzschnell ergriff Karin meine Hand und zog mich um die Ecke des Aschhauses.

„ Was machst Du?“

Karin legte den Finger an ihren Mund.

Dann kamen Marion und Ingrid dazu.

Karin lief zu meiner Mutter ans Fenster.

„ Monika ist nicht da!“

„ Was soll das heißen, sie ist nicht da?“

Schnell lief Karin zu uns zurück.

Weiter gings im Text.

Ich war glücklich, verpasste ich doch heute nicht die Fortsetzung von Karins aufregender Geschichte, und endlich konnte ich auch mal meine Geschichte weiter erzählen.

Wurden die Gaslaternen angezündet,  mussten wir rauf.

Ein bisschen mulmig war mir schon, als ich die Treppenstufen zu unserer Wohnung hinaufstieg.

Ich klingelte.

Meine Mutter öffnete die Wohnungstür.

„ Wo warst Du heute Nachmittag!“

„ Wo soll ich denn gewesen sein?“

Eine schallende Ohrfeige landete auf meiner Wange, die Finger der Hand meiner Mutter konnte ich noch tagelang auf meinem Gesicht spüren.

 

( © Monika Zelle 27.11.2018 )