Kostgänger

 

Günther Wolff, ein angeheirateter Cousin, kam jeden Tag in seiner Mittagspause zu uns zum Mittagessen, warum auch immer.

Meine Mutter bereitete ein vorzügliches Mal, und es gab sogar Kaffee und Kuchen zum Nachtisch.

Günther Wolff, ein außergewöhnlicher Möbeltischlermeister, selbständig, der seinesgleichen suchte.

Er baute für mich einen Klappschreibtisch, mit einer roten resopalbeschichteten Platte, und einem hellblauen Rand, den er aus Platzgründen an die Wand meines schmalen Zimmers schraubte.

Ich fand ihn toll. Den Schreibtisch natürlich.

Dazu baute er mir einen rotgepolsterten Wiegehocker. Sehr hübsch.

Der Hocker.

Nach dem opulenten Essen schaute ich meistens aus unserem Fenster in der dritten Etage unseres Mietshausen den Fußballspielen auf dem Sportplatz zu.

Günther Wolff stellte sich dann mit seiner zweiten Tasse Kaffee in der rechten Hand ziemlich dicht hinter mich, so, dass ich seinen Atem in meinem Nacken spürte.

Den Geruch von Holzleim in meiner Nase.

Freundschaftlich legte er seine freie linke Hand auf meine linke Schulter.

Weil ich frech zu ihm wurde, meinte meine Mutter, ob ich nicht netter zu ihm sein könne.

War es wegen des Schreibtisches?

Oder des Hockers?

Günther Wolff war 20 Jahre älter als ich.

Und, ich hatte einen Freund.

Dieter.

Dieter war 2 Jahre jünger als ich.

Ich glaube, meine Mutter war etwas verliebt in Günther Wolff.

Sie war 15 Jahre älter als er.

Sollte ich mal mit meinem Vater reden?

Nach dem Fußballspiel setzte ich mich an meinen neuen Schreibtisch und übte Maschineschreiben und Stenografie.

Ich besuchte eine Berufsfachschule.

Günther Wolff war dann wieder in seine Werkstatt abgetaucht, die keine fünf Minuten von uns entfernt lag.

Eines Tages stand er wieder dicht neben mir am Fenster, und kam mir mit seinem Gesicht ziemlich nahe.

Ich verpasste ihm eine Ohrfeige.

Von nun an schmeckte das Essen nicht mehr so gut.

 

 

( © Monika Zelle 6.11.2018 )

 

 

 

 

 

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