Herd aus Fenster zu?

 

Hat sie wirklich den Herd ausgeschaltet?

Sie steht an der Bushaltestelle und überlegt.

Sie muss zurück.

War die Ampel jetzt rot oder grün.

Die Autos hupen.

Menschen schütteln mit dem Kopf.

Kinder rufen „ Rotgänger Totgänger!“

Sie rennt weiter nach Hause.

Haustür aufschließen.

In die Küche gehen.

Nachschauen.

Der Herd ist aus.

Hatte sie doch extra einen Aufkleber von der Polizei an der Haustür:

„ Herd aus? Fenster zu?“

Sie geht erneut zur Bushaltestelle.

Steigt in den Bus.

Teilnahmslos winkt der Busfahrer sie durch.

Hatte er überhaupt ihre Fahrkarte gesehen?

„ Reeperbahn“, erklingt es aus dem Lautsprecher.

War der Herd jetzt aus oder nicht?

Schnell steigt sie aus dem Bus und rennt zur gegenüberliegenden Haltestelle.

Wartet. Fährt zurück.

Rennt nach Hause. Die Micheluhr fest im Blick.

Hetzt die Treppe zu ihrer Wohnungstür hoch.

Schließt auf.

In der Küche, der Herd ist aus.

Jetzt muss sie sich aber beeilen, wenn sie noch rechtzeitig zu ihrem Kurs kommen will.

Wieder im Bus kommen ihr erneut Zweifel.

Sei fragt den Herd:

„ Habe ich Dich jetzt ausgeschaltet oder nicht?“

Der Herd kann ihr natürlich nicht antworten, soweit kommt es noch.

Sie ist verzweifelt.

Richtig verzweifelt.

Wieder zurückfahren.

Tränen rinnen ihr übers Gesicht.

Der Herd ist natürlich abgestellt.

Sie schüttelt ihr greises Haupt.

Würde sie es zum Kurs noch schaffen?

Sie bezweifelt es.

Ein Taxi nehmen?

Aber würde der Fahrer es noch rechtzeitig schaffen?

Bestimmt nicht.

Soll sie es dennoch versuchen?

Sie ruft sich ein Taxi.

Der Taxifahrer überfährt jede rote Ampel.

Nun soll er umkehren.

Der Herd ist bestimmt noch an.

Sie hat vergessen ihn auszustellen, dessen ist sie sich sicher.

( © Monika Zelle  16.10.2018 )

 

 

Heideland

 

Jetzt stehe ich vor dem Zaun.

Wie einsam und verlassen mein Heideland ist.

Alles zugewachsen.

Ah, da sind ja noch die Hütten.

Völlig verfallen.

Die Geburtstagsfeiern im Sommer, legendär mit ihren Tortenschlachten.

Die ganze Familie, versammelt an den Tapeziertischen mit den weiß gestärkten Tischdecken, die am Vortage noch von Wind und Sonne getrocknet wurden.

Eine bunte Gesellschaft, je später der Nachmittag, desto lustiger.

Meine Onkel, alle spielten sie ein Instrument, Balalaika, Querflöte, Gitarre.

Meine Mutter spielte Mundharmonika, und wir Kinder sangen dazu.

Meistens Volkslieder aus aller Welt, viele aus Russland.

Waren die Lieder verklungen, und der letzte Tropfen Portwein, den Onkel Paul von See mitgebracht hatte, ausgetrunken, wollte Tante Erna immer zum Brunsberg wandern.

Im Dunkeln. Keiner wollte mit. Alle waren müde, und wollten nach Hause zum Flidderberg, und zur Tannenallee.

Ach ja, hier war ich auch mit meiner ersten großen Liebe.

Wir lagen im Zittergras, schauten in die Wipfel der hohen Kiefern.

Dieter, mit Gitarre und Elvistolle.

Ob die Bücher noch da waren, wo mein Vater sie 1933 in einer Stahlkiste vergraben hatte?

Bücher von Heinrich Heine, Erich Kästner, Bert Brecht, Kurt Tucholski.

Wie oft hatten wir sie schon gesucht.

Wahrscheinlich steht die Hütte meiner Mutter darauf, da muss es ungefähr gewesen sein.

Viele Kinder waren wir seinerzeit, eine ganze Fußballmannschaft.

Fußball haben wir gespielt, jeden Tag, nur in der Mittagspause von 13 bis 15 Uhr war Ruhe.

Dann gingen wir in den Wald, Bickbeeren sammeln. 50 Pfennige das Pfund hat der Grünhöker uns dafür gegeben.

Ausbeutung.

Hängt da etwa noch der Leinenbeutel an der Pforte?

Dann hielt der Milch-und Bäckerwagen immer an.

Frische Brötchen, frische Milch, frische Eier.

Tante Gertrud kam dann zu uns, um sich vier Eier für den Kuchen auszuleihen.

Jedes Mal. Sie kann aus 50 Pfennig eine Mark machen, höre ich meinen Vater noch sagen, aber backen kann sie.

Fünfzig Jahre Heideland.

Bei Wind und Wetter.

Später mit meinen Kindern, die Geburtstage auch legendär.

Gezeltet haben sie, mit all ihren Freunden.

Dann wollten sie angeln, in der Seeve. Eine Bachforelle musste dran glauben, mein Sohn hat sie getötet. Gegessen? Nee.

Alexander, sein bester Freund und ich haben sie gebraten und gegessen.

Sie schmeckte moorig.

Alexander ist schon tot.

Und jetzt?

Alles öde und verlassen.

Bonjour Tristesse.                      ( © Monika Zelle 19.10.2016 )