Der Verbesserungsvorschlag

Der Verbesserungsvorschlag

Bruno Klein war gelernter Autoschlosser und Vergaserspezialist bei den Hamburger Gaswerken.

Ständig tüftelte er an den Vergasern der Autos herum, um den Abgaswert zu verbessern.

Eines Tages hatte er es geschafft. 

Es war ihm in vielen Überstunden  gelungen, die Vergaser der LKWs und PKWs im Fuhrpark des Werkes so mager einzustellen, dass der Abgaswert um einiges verringert werden konnte. Zudem hatte er noch ein selbst gebasteltes Ventil in den Vergaser eingebaut.

Was er nicht wusste war, dass sein Arbeitskollege Willi Martens diese Errungenschaft sofort zu Papier brachte. 

Bruno Klein musste es ihm im Vertrauen erzählt haben. 

Als Bruno nach dem Duschen an Feierabend seine Kleidung aus dem Schapp holte, zog er sie an, obwohl sie furchtbar nach Essig stank.

Als er zu Hause ankam und sich seiner Klamotten entledigte, breitete sich der furchtbare Essiggeruch in der ganzen Wohnung aus. Brunos Schulter hatte sich inzwischen grün verfärbt.

Sein Nachbar Ferdinand Koch brachte ihn mit seiner Taxe sofort ins Krankenhaus. Die Klamotten warf seine Frau Anne Christine in den Müll. 

Inzwischen hatte Willi Martens den Verbesserungsvorschlag den Chefs des Werkes unterbreitet. Er erhielt dafür eine Zuschlag von 200 DM und eine Gehaltserhöhung.

Bruno Klein war monatelang im Krankenhaus, bekam von alldem nichts mit.

Als er seine Arbeit im Werk wieder aufnahm, erfuhr er, dass sein Verbesserungsvorschlag von Willi Martens schon eingereicht worden war.

Wie sollte er das seiner Frau erklären. Sie lebten ohnehin von der Hand in den Mund, und dann das!!

Schon immer wollte Anne Christine, dass Bruno als Schichtarbeiter arbeitete, damit mehr Geld ins Haus kam.

Das lehnte Bruno aber stets ab, weil er mit seiner Arbeit vollauf zufrieden war.

Als er dann jedoch erfuhr, dass Willi Martens zum Vorarbeiter befördert wurde, ging er zu seinen Chefs, und erklärte, das er die Verbesserung für die Vergaser erfunden hatte.

Da seine Chefs Bruno als ehrlichen,  loyalen Mitarbeiter und sehr guten Autofahrer  schätzten, der sie stets zu irgendwelchen Versammlungen und Veranstaltungen fuhr, glaubten sie ihm. 

Die beiden Kollegen wurden aufgefordert, einen Vergaser an zwei neuen Fahrzeugen umzubauen, samt der Ventile. 

Willi Martens tat sich schwer. Bruno Klein hatte die Arbeit in kürzester Zeit erledigt.

Als Willi Martens dann der Zuschlag, die Gehaltserhöhung, sowie der Vorarbeiterposten streitig gemacht, und alles auf Bruno übertragen wurde, kündigte er. 

Von einer Klage wegen des Essigsäureanschlags sah Bruno Klein ab, was ja auch zu beweisen gewesen wäre. 

( © Monika Zelle 18.04.2023 )

Hella Borgward

Hella Borgwart

Denke ich an die Hofpausen auf unserem Schulhof, denke ich gleichzeitig an die vielen Kinder, die auf ihm herum tobten. Manche standen in Grüppchen zusammen, schwatzten und lachten. Ich stand zusammen mit Sybille und Christa am Zaun.

„ Sie merkt überhaupt nicht, wie lächerlich sie da steht, und ihr Brot mümmelt, die dicke Kuh!“, meinte Sybille. Christa grinste.

Ich schaute Sybille streng an, und dachte, ob sie überhaupt kein Mitleid hatte mit Hella, wie sie dort stand, in ihrem dicken Teddymantel, und ihrer Schmalzstulle. Sie hatte Schwierigkeiten, mit ihrer überdimensionalen Zahnspange vom Brot abzubeißen, ihre Spucke tropfte aus den Mundwinkeln auf ihren Mantel. 

Sybille und Christa wandten sich von mir ab, gingen auf die andere Seite des Schulhofes und tuschelten. 

Die Pausenglocke klingelte. Alle Kinder stellten sich in Reih und Glied auf, um in das Schulgebäude zu gehen. Zwei Lehrer, die Aufsicht hatten, achteten darauf, dass alles gesittet ablief.

In der nächsten Stunde hatten wir Sport. Geräteturnen, ausgerechnet, nicht meine Lieblingssportart, und Hellas bestimmt auch nicht. Ängstlich schaute sie auf das Gerät.

Wir sollten uns einfach nur auf die unterste Stufe des Barrens schwingen, was weder Hella noch mir gelang. Als Hella es versuchte und abglitt, ertönte ein lautes Gejohle.

Bei mir lachte niemand. 

Ein komisches Gefühl machte sich in meiner Magengrube breit. In der nächsten Pause werde ich mich zu Hella gesellen, vielleicht tauscht sie mit mir ihr Schulbrot. Sie hatte immer Schmalz drauf. Ich nie, obwohl ich es so liebte. 

Nachdem wir uns nach der Sportstunde umgezogen hatten, klingelte es wieder zur Pause.

Wir rannten alle auf den Schulhof.

Ich suchte Hella. Sie stand wie immer abseits. Aber was war das? Sie hatte ihren Teddymantel gar nicht an, obwohl Minusgrade draußen waren, zudem fing es noch an zu schneien. Zitternd  stand sie da, ihr Brot konnte sie kaum halten. Die Tüte Kakao auch nicht. 

Ich suchte den Schulhof nach Sybille und Christa ab. Sie waren nicht zu sehen.

Ich schaute wieder auf Hella. Jetzt verzog sich ihr Gesicht zu einer Grimasse. Weinte sie etwa? 

Dann sackte sie in sich zusammen. 

Eine Lehrerin, die Pausenaufsicht hatte, rannte zu ihr. Ich auch. Dann sah ich Sybille, wie sie auf Hella herab schaute.

Aber,  war das nicht Hellas Teddymantel? Ja, Sybille hatte Hellas Mantel an.

Am liebsten hätte ich ihr den Mantel vom Leib gerissen, und Hella damit zugedeckt, die immer noch furchtbar zitterte. Da war ja auch Christa. Die Lehrerin wies sie an, ins Lehrerzimmer zu laufen, und den Rektor zu rufen.

Wenig später hörten wir in der Ferne die Sirene des Rettungswagens.

Ich schaute mich um. Sybille war wieder verschwunden. Sollte ich nach ihr suchen?

Ich weiß nicht mehr, was dann passiert ist, es ist einfach zu lange her. 

Ich weiß nur, dass Hella in den nächsten Wochen nicht in die Schule kam. 

Hella kam überhaupt nicht mehr in unsere Schule. Es hieß, sie sei mit ihren Eltern fortgezogen.

( © Monika Zelle 28.03.2023 )

Das Salz in der Suppe

Das Salz in der Suppe

Es war noch früh, als ich das Büro unseres Referates betrat. 

Luise war schon da.

Sie saß an ihrem Schreibtisch, und starrte vor sich hin.

Nach und nach trafen meine Kolleginnen ein. Hatten sie Luise überhaupt begrüßt? Mir hatten sie kurz zugenickt. Jetzt tuschelten sie miteinander, und schauten auf Luise.

Das Telefon klingelte. 

Luise beantwortete die Fragen des Anrufers oder der Anruferin immer kompetent, präzise und sachgemäß, ganz nach Recht und Gesetz. Sie konnte Briefe und E-Mails mit ihrem perfekten Schreibstil sogar auf Englisch beantworten. Wenn Luise sich aus der Teeküche einen Kaffee holte,  fragte sie uns meistens, ob sie einen Kaffee mitbringen solle. Sie bekam keine Antwort.

Von mir schon.

Warum verhielten sie sich so? Mit mir plauderten sie über Gott und die Welt.

Dann sagten sie zu mir, dass sie sich mit Luise und mir zur Mittagspause verabreden wollten. 

Als Luise mit ihrem Kaffee zurückkam, taten sie plötzlich freundlich und zugewandt, und fragten sie, ob sie wüsste, was es heute in der Kantine zu essen gab.

Erstaunt schaute Luise sie an und stotterte:“ Königsberger Klopse.“

„Wollen wir zusammen zur Mittagspause gehen?“, fragten die beiden sie.

Unsicher schaute Luise zu mir herüber.

„ Ich komme auch mit“, sagte ich. Luise nickte.

Um punkt 12h trafen wir uns vor dem Eingang der Kantine. Alle entschieden sich für die Königsberger Klopse.

„ Oh, ist das fade, ich brauche Salz!“, rief die eine Kollegin, griff nach dem Salzfass, und streute etwas über ihr Essen. „ Du auch?“, fragte sie Luise.

Als diese gerade verneinte, hielt die Kollegin das Salzfass über Luises Essen, der Deckel löste sich.

Ich sah Luise nur noch aufspringen und fluchtartig den Raum verlassen.

In den nächsten Tagen vermisste ich ihre warme Stimme, ihr gepflegtes Äußeres, ihr hübsches vertrautes Gesicht. 

Meine beiden Kolleginnen waren bester Laune. 

Ich hätte meine Referatsleiterin fragen können, was mit Luise sei, oder sie anrufen.

Die Kolleginnen meinten sarkastisch:“ Ach die spielt doch nur wieder krank!“

Es dauerte eine Weile, bis Luise wieder an ihrem Arbeitsplatz saß. Berge von Akten türmten sich vor ihr auf. Ich alleine hatte es nicht geschafft, sie abzuarbeiten. 

Luise empfand es glaube ich als angenehm, sich hinter ihren Akten zu verschanzen, die Kolleginnen sprachen ohnehin wieder nicht mit ihr.

Manchmal traf Luise Einzelfallentscheidungen, für die sie sich dann bei der Referatsleitung rechtfertigen musste. Sie erhielt Dankesschreiben von jungen Ehepaaren, die gerade Eltern geworden waren, mit einem Foto des Neugeborenen.

Luise lächelte dann ein Lächeln, wie ich es noch nie an ihr gesehen hatte.

Bis heute weiß ich nicht, was geschehen war, dass Luise gar nicht mehr zur Arbeit erschien. 

Eines Tages entdeckte ich am schwarzen Brett eine Anzeige.

„ Unsere geliebte Tochter Luise

   ist plötzlich und unerwartet 

   von uns gegangen.

   Wir vermissen sie sehr“

   Ihre Eltern   ihr Bruder   und Jonas

( © Monika Zelle  27.03.2023 )

Stadt Hamburg an der Elbe Auen

Stadt Hamburg an der Elbe Auen

Wie bist Du herrlich an zu schauen.. Mit Deiner Türme hoch Gestalt…. Mit Deiner Schiffe Mastenwald. 

Ja, die Türme der 5 Hauptkirchen stehen immer noch da, wie eh und je, aber der Schiffe Mastenwald gibt es schon lange nicht mehr in dieser sogenannten Metropole. Als Metropole würde ich meine Heimatstadt allerdings nicht bezeichnen, da denke ich eher an Paris oder Berlin….. Die Mastenwälder wurden verdrängt von den vielen Kreuzfahrtschiffen, die mir hier mit ihren Abgasen meinen Balkon verdrecken.

Ja, die Perle am Hafenrand.

An fing es in den 1980iger Jahren mit dem Bau des Verlagshauses Gruner & Jahr, das mitten in unser Viertel der südlichen Neustadt geklotzt wurde. Ein großer Abenteuerspielplatz mit einem Rodelberg musste weichen. Hunderte von Bäumen wurden gefällt. 

Entlang des Fischmarktes entstanden hohe Bürohäuser, und hier am Hafen wurde nach und nach die Hafencity, mit futuristischen Gebäuden aus dem Boden gestampft.

Als ich vor fast einem halben Jahrhundert in dieses Viertel zog, sagten meine Bekannten und Verwandten:“ Was da wohnst Du? Da kann man doch keine Kinder groß ziehen, so in der Nähe der Reeperbahn.

Und heute? Heute sagen sie:“ Oh, da wohnst Du? Das ist ja toll!“

Ja, so hat sich unser Viertel mit der Perle am Hafenrand verändert.

Früher wohnten hier Hafenarbeiter, teilweise auch Kapitäne. 

Und heute? Das Entlein hat sich zum Schwan gemausert. 

Heute wohnen hier fast nur noch sogenannte Bessergestellte, die die einfachen Leute an den Stadtrand verdrängen, in Getthos wie Mümmelmannsberg auch Bunny Hill genannt, oder den Osdorfer Born.  

Die Mieten in Hamburg sind exorbitant gestiegen. Viele Mietwohnungen wurden in Eigentumswohnungen umgewandelt, die sich Otto Normalverbraucher  nicht mehr leisten kann.

Wenn wir nicht mit unserer Bürgerinitiative in den 1980iger Jahren dafür gesorgt hätten, dass in einigen Straßenzügen die Erhaltenssatzung greifen konnte, wären noch mehr Wohnungen von den Investoren über den Schnabel genommen worden.  

Unser kleiner Venusberg Park sollte mit Eigentumswohnung bebaut werden. Auch das haben wir mit unserer INI,  sowie den Lehrern*Lehrerinnen der hiesigen Schulen und den Erziehern*Erzieherinnen der Kindergärten und natürlich auch zusammen mit den Kindern verhindert.

Dann wollte der Spiegelverlag direkt hinter unserem Wohnblock mit einem weiteren Verlagshaus dieses Viertel verschandeln. Dagegen hat sich zum Glück unser damaliger Michelpastor Adolphsen zusammen mit unserer INI erfolgreich gewehrt. Es wurden 100 Sozialwohnungen gebaut. Direkt daneben allerdings wieder ein Wohnblock, mit Wohnungen für 30,00 Euro der Quadratmeter. Ich frage Dich, wer soll das bezahlen?

Auch in vielen anderen Stadtteilen, wie die Schanze oder Barmbek, wo ich aufgewachsen bin, haben sich Investoren eingekauft, und Bessergestellte bevölkern die Cafes und Restaurants in den Straßen, wo eine Kaffee Latte 5,00 Euro kostet.

Auf der Schanze ist meine Mutter geboren, früher ein Arbeiterviertel. 

Sie würde es nicht wiedererkennen. 

Natürlich, meine Heimatstadt Hamburg ist immer noch eine wunderschöne Stadt mit ihrer Alster, ihrem Hafen und ihren Fleeten und Kanälen, es sollen mehr sein als in Venedig. Die schönste Stadt der Welt behaupten Viele. Na ja…..

Früher war das Alsterhaus meine zweite Heimat, ich bin jeden Tag, mit meinen beiden Kindern im Schlepptau dort einkaufen gegangen. Und Heute? Was meinst Du wie es heute dort aussieht. Ein Luxustempel, in dem man keine Handtasche unter tausend Euro kaufen kann. 

Und wenn ich durch den Neuen Wall schlendere, entdecke ich ein Modelädchen neben dem nächsten. Nur sind da keine Kunden drin. Der Laden ist leer. Ich frage Dich, wie überleben die Inhaber*Inhaberinnen dieser Geschäfte. 

Ein SUV hinter dem anderen fährt durch diese angebliche Nobelstraße, und verpestet die Luft.

Und eines noch! Hier in meinem Viertel wurde ein Hotel nach dem anderen gebaut, mit Luxussuiten, wie Du sie wohl nie bewohnen wirst. Wahrscheinlich für die Touristen und Touristinnen der vielen Kreuzfahrtschiffe, die hier im Sommer tagtäglich anlanden. 

Ich frage mich nur, was die Touries  denken, wenn sie vor den Hotels oder unter den Brücken am Hafen die vielen Obdachlosen liegen sehen, die hier im Winter reihenweise erfrieren, in unserer reichen Stadt Hamburg. 

Findest Du nicht auch, dass die Obdachlosen dann in den Hotels übernachten könnten, die im Winter fast  leer stehen?

Nein, das ist nicht mehr unsere südlichen Neustadt, wie sie früher einmal war. 

Ich muss jeden Tag Angst haben, dass ich die Miete meiner Wohnung nicht mehr wuppen kann, oder dass sie in eine Eigentumswohnung umgewandelt wird.

Dann müsste ich raus aus meiner Stadt Hamburg an der Elbe Auen.

Eins noch, gleichwohl empfinde ich es teilweise als sehr angenehm mit besser gestellten Menschen Tür an Tür zu leben. Sie sind nett und im Umgang kultiviert. Findest Du nicht auch?

Vielleicht würden sie uns ja sogar unter die Arme greifen, wenn wir unsere hohen Mieten nicht mehr bezahlen können. Wir sollten uns mit ihnen anfreunden. Was meinst Du?

( © Monika Zelle 21.03.2023 )

Hafentreppe

Hafentreppe

Wie jeden Tag dreht Lina S. ihre Runde, vorbei am Seewetteramt auf dem Balkon, wo sie stets Fotos vom Hafen macht. Ihr geschulter Blick erfasst ein Kreuzfahrtschiff im Dock von Blohm & Voss, das sie sofort ablichtet. Rechts das neue Riversidehotel.

Sie schlägt nicht wie sonst den Weg zu den Landungsbrücken ein, sondern geht rechts in die Davidstraße. 

Plötzlich hört sie einen Schrei. Gegenüber der Herbertstraße bleibt sie wie angewurzelt stehen. Das Tor öffnete sich. Zwei Luden schubsen eine Frau in den Rinnstein und schlagen auf sie ein. 

Dann entdecken sie Lina und starren sie an. Sie dreht sich langsam weg, und setzt sich in Bewegung. Richtung Reeperbahn. Im Blickwinkel sieht sie, dass die Luden sie verfolgen. So schnell es geht rennt sie um die Ecke zum St. Pauli Theater. Das Theater ist geschlossen. Sie versteckt sich im Eingang des Theaters. Die Luden rennen an ihr vorbei. Schnell geht sie ein paar Schritte nach links, die Stufen hoch in die Davidwache. 

Lina S. schildert, was sie gesehen hat. Die Wachhabenden versichern ihr, dass so etwas hier jeden Tag vorkommt, und die Zuhälter würden sich schon wieder beruhigen, und einer alten Frau ohnehin nichts tun. Sie solle man jetzt nach Hause gehen. 

Als Lina S. die Wache verlässt, sind Weit und Breit keine Luden zu sehen. Um diese Zeit ist selbst der Kiez menschenleer. Soll sie jetzt die Reeperbahn entlang nach Hause gehen, oder lieber zurück durch die Davidstraße am Hafen entlang. Sie entscheidet sich für die Davidstraße. Die Nutte ist verschwunden. Als sie gerade die Hafentreppe hinunter gehen will, hört sie einen schrillen Pfiff. Als sie sich umdreht, sind sie wieder da, die Luden.

Lina geht so schnell sie kann, und das ist nicht wirklich schnell, die Treppe hinunter zu den Landungsbrücken. Weil es in Strömen regnet, sind auch hier wenig Menschen unterwegs. Ein kurzer Blick nach hinten. Die Luden stehen oben an der Treppe und winken. 

Als Lina die Brücke 10 erreicht hat, sind sie plötzlich hinter ihr, packen sie bei den Armen, und ziehen sie Richtung Kaimauer, so als wollten sie sie ins Hafenbecken stoßen.

Die Passanten gehen vorüber. Sie denken vielleicht die Männer machen einen Spaß.

Dann reißen die Luden Lina S. zurück, ihre Münder verziehen sich zu einem hämischen Grinsen, ihre Augen blicken eiskalt auf sie herab. Dann lassen sie sie los, und gehen ihrer Wege.

Kreidebleich wankt Lina S. den Kuhberg hinauf nach Hause. An Fotografieren ist heute nicht mehr zu denken. 

Im Treppenhaus angekommen schließt sie mit zitternden Fingern die Eingangstür ab.  Als sie später noch zu ihrem Briefkasten geht, um nach der Post zu schauen, entdeckt sie darin einen blutverschmierten Briefumschlag. Als sie ihn öffnet, liegt darin ein abgeschnittener Finger mit einem schwarzlackierten Fingernagel, auf dem Finger steckt ein Totenkopf. 

Lina ruft bei der Davidwache an. Dieselben Wachhabenden raten ihr, den Finger einfach in den Müll zu werfen, niemand würde ihn vermissen. 

Am nächsten Tag liest sie im Hamburger Abendblatt, das im Hafenbecken eine weibliche Leiche mit nur drei Fingern und einem Daumen an der linken Hand gefunden wurde. Von dem Täter oder der Täterin fehle jede Spur. 

( © Monika Zelle 13. März 2023 )

Yesterday

Yesterday

Flachsland, Haus der Jugend, unser Haus der Jugend, unsere zweite Heimat.

Jeden Tag fanden wir uns nachmittags dort ein, spielten Tischtennis und Billard.

Meistens spielte ich mit Michael, Sanne und Jürgen zusammen.

Eines Tages hing ein Plakat an der Wand.

Am Dienstag, dem 17. Mai im großen Saal 1. Stock findet ein kostenloser Tanzkurs statt.

Wer noch nicht tanzen kann, ist herzlich eingeladen. Ich konnte tanzen, aber kostenlos?

Ist ja toll, da gehe ich hin. Wir gingen alle hin. 

Erwartungsvoll saßen die Mädchen auf ihren Stühlen, herausgeputzt, als wollten sie in die Oper. Gespannt schauten wir auf die Jungen gegenüber. Alle im Anzug mit Schlips und Kragen.

Der Tanzlehrer hob die Hände, und bat uns aufzustehen. 

Seine Frau saß am Klavier. Er gab ihr ein Zeichen. Eine Melodie erklang. Ein langsamer Walzer, dachte ich bei mir. Alle Mädchen wurden aufgefordert. Nur ich nicht. Das war ja klar. Zu klein für diese Welt, und ich sah aus wie ein Kind. Der von meiner Mutter selbst genähte Faltenrock, viel zu lang, obwohl Mini modern war.

Ich schaute noch eine Weile zu, wie sich die Pärchen ungelenk drehten und schloss meine Augen. 

Zwei Flügeltüren öffneten sich, ein großer Blonder, muskulös, in einem dunkelblauen Nadelstreifenanzug schritt durch den Saal,  steuerte direkt auf mich zu, und forderte mich auf. Mit zitternden Knien erhob ich mich und sank in seine Arme. 

Das Lied der Beatles „ Yesterday all my troubles seems so far away“ entsprang dem Klavier, ich schmolz dahin. Wir schwebten durch den Saal. Als das Lied endete, klatschten alle. Mein Tänzer verbeugte sich formvollendet. Ich machte einen tiefen Knicks, so etwas wie einen Hofknicks bei Queen Elizabeth. Die Tanzstunde war beendet. Der Schönling führte mich zur Garderobe, half mir in meinen roten Mantel, hielt mir die Tür auf, und wies mit seinem Zeigefinger auf einen roten Porsche Cabrio.

Mit einem Satz sprang er hinein, zeigte auf den Beifahrersitz. Ich stieg ein. Er fuhr los. Ein lauwarmer Fahrtwind verfing sich in meinen lockigen schwarzen Haaren, er reichte mir eine Sonnenbrille. Bei herrlichem Frühlingswetter umrundeten wir die Alster. Er parkte sein Cabriolet am Feenteich.

Wir gingen in das Restaurant von Bobby Reich, den er überschwänglich umarmte und herzte. Ich ließ meinen Blick über die Alster schweifen, und bewunderte die vielen Segelschiffe, die auf den sonnendurchfluteten Wellen rauschten. 

Ich war im siebten Himmel.

Später spielten Michael, Sanne, Jürgen und ich noch Billard, wobei ich jede Kugel ins Loch schoss.

Ich war in Siegerlaune, als wir durch die engen Straßen des Dulsberg, vollkommen baumlos, vorbei an den hohen Mietskasernen, mit ihren kleinen schäbigen Gärten, nach Hause gingen. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden die Ruinen, einst erbaut von Kurt Schumacher, wieder aufgebaut. Aus zwei Wohnungen wurden drei gemacht. Viele Menschen suchten händeringend Wohnraum. Wir wohnten alle in einem Wohnblock mit  Innenhof, einem Aschhaus, Sandkiste und Turnreck. Als wir noch kleiner waren, bewahrten uns unsere Mütter in diesem Hof auf, wo sie uns vom Fenster aus beobachten konnten. Die Türen zum Hof waren stets abgeschlossen. 

Doch dann kamen die Zeiten wo wir ausbrachen aus dem Gefängnishof.

Als Schlüsselkinder konnten wir ihn wann wir wollten verlassen, und in die sogenannte Freiheit verschwinden.

( © Monika Zelle  07.03.2023 )

Egal

Dieter

Ihr erster fester Freund.

Er 14 sie 15.

Ist es Liebe?

Egal.

Er kann Gitarre spielen und wie Elvis singen.

Sie träumt von Elvis und seinem Hüftschwung.

Dieter sieht aus wie James Dean.

Sie träumt von James Dean.

Der ist schon tot.

Egal.

Dieter pfeift vor ihrem Fenster und auf der Straße hinter ihr her.

Sie hasst es.

Egal.

Bei seinen Eltern ist sie wie Kind im Haus.

Es gibt oft Salat mit Hühnchen, Spargel, Erbsen und Mandarinen.

Lecker.

Dort ist sie mit Dieter oft allein.

Er küsst gut.

Egal.

Seine Tante arbeitet als Platzanweiserin und Kassiererin im Rondeel Kino.

Es gibt Karten umsonst.

Jeden Sonntag.

Heute „ Denn sie wissen nicht was sie tun“, mit James Dean.

Sie liebt Kino.

Dieter liebt Knutschen.

Egal.

Sie liebt Tanzen und träumt von Elvis und James Dean.

Dieter fordert Manu auf.

Sie schaut weg.

Egal.

Dieter holt sie von der Arbeit am Jungfernstieg ab.

Er pfeift.

Sie fahren mit dem Alsterdampfer bis Saarlandstraße.

Er sagt ihr, dass es Aus sei wegen Manu.

Sie schaut auf die schäumenden Wellen am Heck.

Tränen?

Egal.

Endlich frei. Auf zu neuen Ufern.  Auf den Spuren von Elvis und James Dean.

( copyright Monika Zelle 13.02.2023 )

Skinny Minny

Onkel Alfi

Onkel Alfi liebte es, seine Stiefenkelin Brigitte und seine Nichte Gabriele auf dem Schoß zu haben, während Tante Trudi ihren 2-stündigen Mittagsschlaf hielt. 

Dann durften die Kinder am Pferdekopf auch nicht auf dem Grundstück Fußball spielen.

Nun trug es sich aber zu, dass Brigitte und Gabriele am Badeteich zwei Jungen aus Hamburg-Eimsbüttel kennen lernten.

Klaus und Hinrich suchten noch nach einem günstigen Zeltplatz, weil der auf dem Campingplatz am Teich gerade nicht billig war.

„ Wir kennen da ein lauschiges Plätzchen auf einer Lichtung mitten im Wald!“, meinte Brigitte. 

„ Abends könnt ihr hier eine Ricke mit ihrem Kitz am Waldessaum sehen“, sagte Gabriele. Hand in Hand gingen sie den Heideweg hinauf. Der weiße Sand glitzerte in der Sonne, so wie die Augen der Mädchen.

Klaus und Hinrich bauten an besagter Stelle ihr Zelt auf, und sorgten für Abwechslung.

Sie hatten sogar einen kleinen Plattenspieler dabei. Brigitte und Gabriele waren entzückt.

Und dann noch die Singles mit ihren Lieblingssongs Skinny Minny, und Sit`n in the Ya Ya wait`n for the La La….., zu der die Vier ausgelassen tanzten.

Die viel zu laute Musik kam nun aber auch Onkel Alfi zu Ohren.

Er verließ sein Heideland, was nicht oft passierte, denn er war ein sehr kluger Mann, las lieber in seinem Lexikon, und erklärte Tante Trudi und seinen Mädels die Welt. Zudem liebte er Vögel, und konnte deren Stimmen täuschend echt nachahmen.

Er folgte also der Musik. Es dauerte nicht lange, und er hatte die jungen Leute auf der Lichtung entdeckt. Über das weiche Moos schlich er sich weiter heran.

Was er da sah, raubte ihm schier den Verstand.

Eng umschlungen tanzten die jungen Leute nach dem Rhythmus der Musik. 

Onkel Alfi stürmte auf die Vier zu, und schlug mit einem Stock, den er kurz zuvor im Wald gefunden hatte,  auf sie ein.

„ Das wird Euch teuer zu stehen kommen!“, schrie er die beiden Jungen an.

Er packte Brigitte und Gabriele am Arm, schleifte sie durch den Wald zurück zum Heideland, und zeterte was das Zeug hielt.

„ Ihr Schweinepack, was habt ihr getrieben im Wald, was habt ihr überhaupt da zu suchen mit den Jungs, seid ihr verrückt geworden?“

„ Ihr wisst doch, das es verboten ist, im Wald zu campieren, ich hole die Polizei, und dann können diese Dreckskerle sehen, wo sie bleiben!“

Telefon gab es zu der Zeit noch nicht am Pferdekopf, und mit dem Fahrrad ins Dorf zur Polizei zu fahren, lohnte sich nicht, denn dann würden die beiden Jungen vermutlich längst über alle Berge sein.

Gabriele lief verängstigt und zitternd zu ihrem Papa, und erzählte ihm alles.

Ihr Papa war sehr liberal.  Er liebte Gabriele über alles, und sprach mit Onkel Alfi zu Lebzeiten kein einziges Wort mehr. Seine Tochter beschimpfte niemand mit derartigen Worten. 

Natürlich klärte er Brigitte und Gabriele über das Zeltverbot im Wald auf, aber das wussten die beiden ja auch….Die Versuchung war einfach zu groß.

Seit diesem Ereignis saßen Brigitte und Gabriele nie mehr auf Onkel Alfis Schoß, was ihn natürlich sehr ärgerte.

Als er jedoch nach Wochen erfuhr, dass seine Stiefenkelin Brigitte schwanger war,

fiel er aus allen Wolken. 

( © Monika Zelle  20.12.2022 )  

Time is money

Der Hauptbahnhof platzt aus allen Nähten.

Die Menschen strömen den Eingängen, den Zügen, durch die Bahnhofshallen den Ausgängen zu. Corona scheint vorbei zu sein. Manche frühstücken bei den Bäckern, oder trinken in der Früh schon Bier oder härtere Sachen. So wie Kurt.

Er nimmt seinen Koffer und geht in Richtung Hauptbahnhof Nord zu den Taxis.

Gerade will er in das erste Taxi steigen, als ihm eine Frau zuvor kommt.

Kurt: „“Ey, das ist mein Taxi, ich war zuerst hier, schleich Di!“

Elsa:“   Sie werden doch einer Dame den Vortritt lassen, oder!“

Kurt:“  Ja, ja im Zeitalter der Emanzipation wollen die Damen immer noch den Vortritt?“,

              Aber sagen Sie mal, kennen wir uns nicht?

Elsa:“   Kennen?, warum sollten wir!  Ich war zuerst da, mein Koffer ist schon im Koffer

              raum.  Stimmts?“ Sie schaut den Taxifahrer erwartungsvoll an. 

Kurt: „ Weißt Du nicht mehr, als wir in der Handelsschule nebeneinander saßen, und die             

              Lehrer mit unserem Gelaber zur Weißglut gebracht haben?“

Elsa:     Ach, sind wir jetzt schon beim Du?“

Kurt:“   Na ja, wir waren immerhin sowas wie……

Elsa:“    Was sowas wie?“

Kurt tritt von einer Stelle auf die andere. Sein Koffer neben ihm schwingt mit.

Elsa:“   Würden Sie bitte losfahren?“ Ich habe keine Zeit mehr. Time is Money.

Schnell schwingt Kurt sich neben Sie ins Taxi. 

Der Taxifahrer fährt los.

Elsa fängt laut an zu lachen. Zu laut.

„ Ihr Koffer gluckst sie!“

Kurt:“ Schei…….halten Sie sofort an, mein Koffer steht noch dahinten.

Elas:“ Sie fahren weiter, und zwar sofort, ich muss in 10 Minute im zoologischen Institut sein.

Kurt:“ zoologischen was?

Elsa:“ Du riechst nach Alkohol, trinkst Du schon am frühen Morgen?

Kurt:“ Weißt Du nicht mehr? Wir haben uns doch schon vor dem Unterricht die Kante 

             gegeben. 

Elsa:“ Duzen Sie mich bitte nicht! Ich hasse Säufer!“

Kurt rückt näher an Elsa ran.

Kurt:“  Wie ist es Dir denn so ergangen in den letzten Jahren.

Elsa:“ Wenn Sie nicht sofort von mir abrücken, zeige ich Sie an, wegen sexueller 

            Belästigung!“

Das Taxi hält. 

Elsa wirft dem Fahrer 20 Euro nach vorne und steigt aus.

Kurt:“ Wohnst Du noch in der Dithmarscher Straße bei Deiner Mutter?“

Elsa nimmt ihren Koffer und rauscht ab ins Institut.

( © Monika Zelle 13.12.2022 )

Steckrüben

Steckrüben

Elena Sukowa saß auf ihrem Sofa. Es ist still um sie geworden.

Die Kaffeemaschine blubberte leise vor sich hin. Sie wartete auf ihren Morgenkaffee, den sie auf dem Balkon zu sich nahm, egal wie kalt oder warm es draußen war.

Seit Tagen wurde es nicht mehr richtig hell. Wann wird sich die Sonne einmal wieder sehen lassen. Ihre geliebte Sonne. Sie dachte an die Ferientage mit Kind, Kegel und Bulli in Südfrankreich. Bis spät in die Nacht saßen sie vor ihrem Zelt, genossen Wein, Gesang und gute Gespräche mit den Nachbarn auf dem Campingplatz.

Sie holte ihren Kaffeebecher, den Kaffee mit reichlich Milch ohne Muh, und setzte sich auf ihren Balkon. Er dampfte köstlich. Sie schlürfte ihn in kleinen Zügen, Genuss pur. 

Dunkle Wolken zogen vorbei. Hoffentlich würde es nicht regnen.

Denn dann könnte es glatt draußen werden. In der Nacht herrschten schon Minusgrade.

Dann müsste sie die Spikes über ihre Stiefel ziehen, was ihr zunehmend schwer viel.

Heute wollte sie sich Brot besorgen. Vielleicht würde es auch einen Tag ohne Brot gehen. Im Krieg gab es monatelang kein Brot, oder Maisbrot und Steckrüben bis zum Abwinken. Die Hungersnöte in Hamburg und all den anderen zerbombten Städten waren groß nach dem 2. Weltkrieg.

Sie dachte an ihre Eltern. Ihre Mutter aß leidenschaftlich gern Steckrüben mit Schweinebauch. Doch ihr Papa sagte immer:“ Steckrüben kommen mir nicht mehr ins Haus, dann werfe ich den Topf aus dem Fenster. 

Sie musste innerlich lächeln, denn fortan aß sie, aus Solidarität zu ihrem Papa, auch keine Steckrüben. Bis heute hat sie so ein Essen nicht angerührt. Allein der Geruch, dachte sie.

Wenn ihr Vater gewerkschaftlich unterwegs war, brachte Tante Charlotte manchmal ein Glas mit Steckrüben und Schweinebauch zu ihrer Mutter, die dann noch tagelang davon schwelgte. Wenn ihr Papa dann nach Hause kam, roch er es natürlich, aber den Topf konnte er nicht mehr aus dem Fenster werfen, weil er ja längst leer gegessen war. 

Ja, ihr Papa und Tante Charlotte, sie waren ja schon ein halbes Jahrhundert tot.

Ihre Mutter hat ihren Papa um 30 Jahre überlebt. Wo war nur die Zeit geblieben. 

Jetzt waren von ihrer Familie nur noch die Kinder und ein einziges Enkelkind übrig.

Ihre Enkeltochter sieht sie auch nur selten. Schule und andere Aktivitäten nehmen das Kind ständig in Beschlag. Ja, ich bin ziemlich einsam, dachte sie.

Der Kaffeebecher war inzwischen leer. Sie erhob sich, und schaute über die Balkonbrüstung. Geranien im Dezember. Auch aus ihren Balkonkästen lugten noch vereinzelt Geranienblüten durch die Adventstanne. 

Die Müllmänner schoben die Ascheimerwagen zum Müllauto, die mit lautem Getöse entleer wurden. 

Weihnachten ist nicht mehr weit.

Sie geht nur wegen ihrer Tochter und ihrer Enkelin dort hin. Für Geschenke wird sich ohnehin meistens nicht bedankt.

Oh, das Telefon klingelt.

„ Oma, können wir Lena und Sarah zusammen spielen?, ich gehe heute nicht in die Schule, weil ich eine Bronchitis habe!“

Im Hintergrund sagt ihr Schwiegersohn etwas zu ihrer Enkelin.

Kein Gruß, kein wie geht es Dir, obwohl die Telefone auf „ Laut „ gestellt sind.

Sie sagt:“ Hallo Igor!“

Keine Antwort. 

( © Monika Zelle 06.12.2022 )